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Nachricht vom 08.11.2014    

Demografiekonferenz des Kreises zeigte Probleme auf

Der zunehmende Ärztemangel in der Region, die Bindung von jungen Fachkräften, zwei zentrale Fragen, die eine wichtige Rolle in der Demografiekonferenz des Kreises Altenkirchen in der Betzdorfer Stadthalle spielten. Es gab interessante Lösungsvorschläge, vor allem zum Thema Ärztemangel. Ein Projekt aus Hessen stieß auf Interesse.

Bestsellerautor Markus Albers stellte vor, welche Ansprüche die junge Generation an die Arbeitswelt hat. Fotos: Daniel Pirker

Betzdorf. Der Kreis Altenkirchen wird in den nächsten zehn Jahren einen massiven Schwund an Allgemeinmedizinern erleiden. Wie kann man also Ärzte für das AK-Land begeistern? Dieser Frage widemete sich die Demografiekonferenz des Kreises in Betzdorf. Dabei wurde klar: Nicht nur die kommende Generation von Ärzten verlangt andere Arbeitsbedingungen.

Nein, Landärzte könne man nicht aus dem Hut zaubern, sagte Landrat Michael Lieber auf der Demografiekonferenz des Kreises in der Betzdorfer Stadthalle. Auf der Veranstaltung ging es vielmehr darum, anhand konkreter Beispiele Lösungen aufzuzeigen. Der Mangel an Medizinern läuft letztlich auf eine übergeordnete Frage zu, die ebenfalls von drohender Bedeutung für den Landkreis ist: Wie können Fachkräfte in der Heimat gehalten werden oder sogar neue für die Provinz gewonnen werden?

Der Blick richtete sich naturgemäß auf die kommende Generation von Fachkräften, auf die nach 1980 geborenen, die am Anfang des Berufslebens stehen oder sogar noch die Schule besuchen. Bestseller-Autor Markus Albers („Morgen komm ich später rein“) porträtierte diese neue Generation von Fachkräften. Und die scheint so ganz anders zu sein als die meist graumelierten Kommunalpolitiker, Unternehmensvertreter und Ärzte in der vollbesetzten Stadthalle.

Das gesamte Leben in ein und der gleichen Firma für die man sich loyal aufopfert? 9-to-5-Jobs? Für die „Generation Y“ zählen vielmehr Freiheit und Flexibilität, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Homeoffice, moderne und offene Bürostrukturen oder die Möglichkeit, eine Auszeit („Sabbatical“) zu nehmen. Ein solches Arbeitsleben ziehe natürlich nicht nur positive Folgen mit sich, wie ständige Erreichbarkeit oder das Wegfallen eines klassischen Feierabends. Gleichzeitig eröffneten sich aber auch Chancen, wie Selbstverwirklichung oder persönliches Wachstum – beides Ansprüche, die viele junge Arbeitnehmer an einen Job stellten. Immer mehr lebten und arbeiteten Arbeitnehmer wie Unternehmer. Folglich müssten Unternehmen ihre jungen Angestellten, wie Selbstständige im eigenen Haus behandeln: „Wenn man solche Leute haben will, muss man sie wie Unternehmer behandeln.“

Generell sei die Zukunft der Arbeit stärker ergebnisorientiert und auf Zusammenarbeit ausgerichtet. Und gerade letzeres sei die Herausforderung schlechthin. Das veranschaulichte Hagen Hundhausen, Professor für Personalmanagement und Verantwortlicher bei Federal Mogul, in der späteren Diskussionsrunde. Immerhin würden sich die jungen Arbeitnehmer stark von den erfahrenen Entscheidungsträgern unterscheiden. Es müsse vor allem darum gehen, wie die verschiedenen Generationen produktiv zusammenfinden.

Aber reicht das alles aus, um junge Fachkräfte ins AK-Land zu holen? Albers machte Hoffnungen: Die Sehnsucht nach dem „Haus am See“, das Peter Fox im gleichnamigen Lied besingt, sei durchaus vorhanden. Außerdem könne der moderne Arbeitnehmer von überall aus seinen Job ausüben. Voraussetzung sei nur eine schnelle Internetverbindung. Berno Neuhoff, der Referatsleiter Demografie in der Kreisverwaltung, betonte hier, dass der Landkreis da gerade am Aufholen sei.

Schnelles Internet und offene Bürostrukturen, das wurde in der späteren Diskussionsrunde mit Ärzten und Kassenvertretern bitter deutlich, werden bei weiten nicht ausreichen, um junge Mediziner ins AK-Land zu locken. Komplett unterscheiden sich die Ansprüche von Jung-Ärzten dann aber doch nicht. Einen aufrüttelnden Appell richtete Dr. Thomas Urbach (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Bad Marienberg) an die Kommunalpolitik angesichts des abzeichnenden Medizinermangel: „Wir haben Viertel vor zwölf!“

Weitere Erkenntnisse der Runde mit Urbach, Tom Rutert-Klein (Abteilungsleiter Sozialversicherungen) aus dem rheinland-pfälzischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, Dr. Klaus Kohlhas (Obmann der Kreisärzteschaft, Gebhardshain), Thomas Christ (Leiter Versorgungungforschung der Kassenärztlichen Vereinigung RLP) sowie Dr. med. Detlef Kuhn (Oberarzt Uniklinik Gießen):



- Krankenhäuser sind für junge Mediziner „Einflugschneisen“ in eine Region. Die Krankenhäuser in Kirchen und Altenkirchen halten aber zu wenige lockende Chancen bereit (Kohlhaas).

- Während bereits jetzt ein drastischer Mangel an Hausärzten prognostiziert werden kann (zwischen 69 und 100 Prozent in den Verbandsgemeinden des Kreises), fehlen bereits jetzt überdurchschnittlich viele Fachärzte.

- Bundesweit fehle es an Ärzten. Verantwortlich hierfür ist auch ein Numerus Clausus von zurzeit 1,1.

- Hinzu kommen seit ein paar Jahren Regelungen, die Medizinern flexiblere und kürzere Arbeitszeiten erlauben – was wiederum heißt: Es werden mehr Ärzte benötigt.

- Ländliche Regionen sind nicht machtlos: Sie sollten angehende Mediziner bereits während dem Studium einladen und mit Zerrbildern aufräumen, wie dass in der Provinz kulturell nichts los sei (Rutert-Klein).

- Weiterbildungsmöglichkeiten locken junge Mediziner kaum oder nur für begrenzte Zeit in die Provinz. Der Gebhardshainer Arzt und Obmann der Kreisärzteschaft berichtete von vergeblichen Versuchen seiner Praxis Praktikanten zu gewinnen. Auch sei vor vier Jahren ein Weiterbildungsverbund als Pilotprojekt gestartet. Gemeldet hätte sich kein einziger Assistenzarzt.

- Eine Alternative könnten Akademische Lehrkrankenhäuser sein. Rutert-Klein vom Sozialministerium bot Hilfe für entsprechende Bewerbungen an.

- Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat einen immer größeren Stellenwert für junge Ärzte und vor allem Ärztinnen. Hier müssen Kommunen entsprechende Angebote halten und ausbauen. Insgesamt dürfen kommunale Leistungen nicht zurückgefahren und zentralisiert werden, damit der ländliche Raum nicht nur für Mediziner attraktiv bleibt oder wird.

Das forderte Dr. med. Detlef Kuhn, der nicht nur Oberarzt an Uniklinik Gießen ist, sondern auch Ortsvorsteher im hessischen Muschenheim. Eigentlich eine Randnotiz, spielte seine ehrenamtliche Funktion eine bedeutende Rolle auf der Konferenz. Denn in seiner Heimat imitierte der Arzt ein offensichtlich effektives Selbsthilfeprogramm vor einigen Jahren. Er konnte erfolgreiche Beispiele zu den Themen Wirtschaftsförderung oder Modernisierung der technischen Infrastruktur vorstellen.

Aber das für den Abend spannendste Projekt drehte sich um die Etablierung von Gemeindeschwestern – eine Art Antwort auf aktuelle Probleme und zukünftigen Versorgungsmangel. Die Schwestern übernehmen nur arztentlastende Tätigkeiten, messen zum Beispiel den Blutzucker oder Blutdruck, bieten aber auch zusätzliche Angebote, wie Hockengymnastik an. Die Kerngedanken bei dem Projekt: Zeitersparnis und weniger Aufwand bei den Patienten, die nicht extra zum Krankenhaus fahren müssen.

Kuhn machte sich vor der Umsetzung des Projekts keine Illusionen über die finanziellen Möglichkeiten der Kommune. Deshalb ging seine Gemeinde den ehrenamtlichen Weg und gründete einen Förderverein. Die fachliche Aufsicht übernahmen Hausärzte der Region. Laut ihm erfährt das Projekt einen großen Zuspruch in der Bevölkerung, mittlerweile hat es sich auch auf umliegende Stadtteile ausgedehnt.
Tatsächlich wäre das Projekt nie möglich gewesen ohne den ehrenamtlichen Einsatz der Bürger. Sie ließen sich in die Pflicht nehmen und renovierten beispielsweise verlassene Gemeindehäuser, sodass die Gemeindeschwestern dort ihre Stationen einrichten konnten.

Gerade der ehrenamtliche Aspekt wird Andrea Rohrbach sehr interessiert haben. Sie ist Ehrenamtskoordinatorin des Kreises und stellte ihre Arbeit vor. Vor allem zwei Projekte standen hier im Vordergrund: Die Einführung eine Ehrenamtskarte und ein Ehrenamtsportal im Internet. Die Karte soll die Leistung von Ehrenamtlichen honorieren – beispielsweise durch Vergünstigungen bei Konzerten. Das Ehrenamtsportal soll nicht nur einen Überblick über die Angebote im Kreis Altenkirchen liefern, sondern auch als eine Aufgabenbörse fungieren. (ddp)


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