Wieso gelten bei uns Ausgangsbeschränkungen – und im Kreis Siegen-Wittgenstein nicht?
Von Daniel-David Pirker
Die nächtliche Ausgangssperre gilt als eine der Maßnahmen, die im AK-Land dafür sorgen sollen, die Inzidenzwerte wieder unter 100 zu drücken. Doch wieso verzichtet der benachbarte Kreis Siegen-Wittgenstein auf diese Einschränkung? Immerhin hat hier das Infektionsgeschehen mittlerweile ebenfalls ein besorgniserregendes Niveau erreicht.
Region. „Hier zählt wirklich jeder Tag." Die Worte, die der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein wählte, um Lockdown-Verschärfungen zu begründen, waren drastisch. Mittlerweile hat der Nachbarkreis wie das AK-Land die 200er-Marke bei den Corona-Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner gerissen. Nachdem die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 170 gestiegen war, ließ der Kreis Siegen-Wittgenstein der NRW-Landesregierung ein Maßnahmenkonzept zukommen zur Abstimmung. Seit Donnerstag, den 25. März, gilt nun eine neue Allgemeinverfügung im Nachbarkreis.
Verzichtet wurde allerdings auf die Einführung einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung – im Gegensatz zum Kreis Altenkirchen, wo man sich mit Ausnahmen zwischen 21 und 5 Uhr nicht außerhalb der eigenen Wohnung oder Unterkunft aufhalten darf seit 4. März.
Der Landrat des AK-Landes, Dr. Peter Enders, hat diese Maßnahme der von der Landesregierung genannten „Notbremse“ unseren Lesern gegenüber wie folgt begründet: „In Abstimmung mit der Landesregierung wurde die Ausgangsbeschränkung vor allem aus präventiver Sicht umgesetzt, da es viele Anhaltspunkte dafür gab und gibt, dass etliche Infektionen sich bei privaten, geselligen Anlässen ereignen.“
Die Ausgangsbeschränkung ist Teil des Maßnahmenkatalogs, den die Landkreise gemäß Corona-Bekämpfungsverordnung für Rheinland-Pfalz ergreifen müssen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz für mindestens drei Tage über 100 steigt, wie Landrat Enders in seiner Antwort auf entsprechende Leserfragen verdeutlichte.
In Nordrhein-Westfalen können Kreise, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz „nachhaltig und signifikant“ über 100 liegt, im Einvernehmen mit dem Landes-Gesundheitsministerium über die Coronaschutzverordnung hinausgehende zusätzliche Schutzmaßnahmen anordnen, wie es in der entsprechenden Allgemeinverfügung vom 24. März heißt.
Kreise Siegen-Wittgenstein beschränkt Zusammenkünfte in Wohnungen
Genau das ist nun im Siegerland geschehen. Wie im Kreis Altenkirchen hat man private Zusammenkünfte als einen mächtigen Infektionstreiber ausgemacht. Das betont auch Torsten Manges von der Pressestelle des Kreises Siegen-Wittgenstein im Gespräch mit dem AK-Kurier. Doch im Gegensatz zum AK-Land hat man noch stärker auch privat genutzte Räume und Grundstücke im Fokus. Der gemeinsame Aufenthalt ist seit letztem Donnerstag über den eigenen Hausstand hinausgehend nur gestattet mit einer Person eines anderen Hausstands sowie mit bis zu fünf Personen aus einem anderen Hausstand (Ausnahmen gelten unter anderem für Kinder).
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Laut Manges verfolge man mit dieser Regelung auch das Ziel, dass sich Kontakte immer auf den gleichen Personenkreis konzentrieren. Er unterstreicht: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann zu Ausgangsbeschränkungen kommen könnte.“ Dies sei allerdings erst der nächste Schritt auf der Eskalationsstufe, sagt er. Landrat Andreas Müller wird in der Siegener Zeitung ähnlich zitiert. In dem entsprechenden Artikel stellte er auch heraus, dass man „die Menschen nicht über Gebühr drangsalieren“ dürfe. Zudem sei eine Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum aus Sicht von Manges von der Kreispressestelle nicht relevant für das Infektionsgeschehen: „Ob die [Menschen] sich um 20 Uhr oder um 22 Uhr treffen, ist nicht ausschlaggebend.“ Am Ende gehe es immer noch um das Vermeiden von Kontakten.
Ausgangsbeschränkungen als präventive Maßnahme
Der Landrat des Kreises Altenkirchen hingegen begründete die Notwendigkeit einer Ausgangssperre mit ihrer präventiven Wirkung. Zur zeitlichen Eingrenzung dieser Einschränkung hatte er unseren Lesern geantwortet: „Natürlich ist es richtig, dass diese auch vor 21 Uhr stattfinden können, aber eine Regelung, die das private Treffen ab 21 Uhr unterbindet, hat eben schon mal eine gewisse Wirkung.“ Ein Blick in die Begründung für die aktuelle Allgemeinverfügung des Kreises Altenkirchen untermauert diesen Gedanken. Zwar sei der psychologische Effekt von einer Ausgangssperre noch nicht abschließend erforscht, doch man verspricht sich davon, dass sie die Ernsthaftigkeit „der epidemiologischen Lage erstmals oder erneut ins Bewusstsein ruft.“
Die Allgemeinverfügung zählt aber noch weitere Gründe auf: So dürfe die „gesicherte Erkenntnis“ feststehen, dass Mobilität die Ausbreitung des Virus beschleunige. Auch werden „unbeabsichtigte Kontakte von Menschen“ bei nächtlichen Spaziergängen oder zufälligen Begegnungen davor angeführt, etwa im Flur eines Mehrfamilienhauses. Außerdem verspricht man sich von Ausgangsbeschränkungen, „bestehende Anreize“ zur sozialen und geselligen Kontaktpflege, insbesondere in den Abendstunden, zu reduzieren. Zudem wird laut der Allgemeinverfügung angenommen, dass es für die Polizei und Vollstreckungsbehörden leichter sei, Verstöße festzustellen und Personen zu lokalisieren, die sich mit höherer Wahrscheinlichkeit, nicht an die Corona-Regeln hielten.
Wie schon hinsichtlich der psychologischen Wirkung von Ausgangssperren räumen die Verfasser der Allgemeinverfügung ein, dass sich die Wissenschaft nach wie vor nicht sicher sei, wie einzelne Mittel zur Virus-Eindämmung wirken. Doch gerade diese Ungewissheit erfordere, dass Maßnahmen, die nur möglicherweise effektiv seien, getroffen würden, solange ihre Nicht-Eignung nicht feststehe oder zumindest nicht ganz überwiegend anzunehmen sei. (Daniel-D. Pirker)
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