Erinnerung mit Blick auf die Gegenwart
Ein bedrückendes Bild bot der Hammer Synagogenplatz zur jährlich stattfindenden Gedenkveranstaltung. 26 leere Stühle erinnerten an die jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die einst in Hamm lebten. Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion im Kulturhaus statt, die sich mit den Fragen Integration und Einwanderung beschäftigte.
Hamm. In der Nacht vom 9. auf den 10. November brannte vor 72 Jahren die Hammer Synagoge. Am Abend der Gedenkveranstaltung waren auf dem einstigen Grund des jüdischen Gotteshauses 26 Stühle gestellt, auf jedem Stahl lag ein Namensschild. Zur Erinnerung an die Menschen, die verschleppt, deportiert und von den Nazis umgebracht wurden und aus dem Leben der Ortsgemeinde verschwanden.
Die gemeinsame Gedenkveranstaltung der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde, der Ortsgemeinde und der Verbandsgemeinde fand im Kulturhaus Hamm statt, ein Ort der eigentlich jeden Tag an die jüdische Gemeinde erinnert. Die bedrückend wirkende Installation auf dem Synagogenplatz hatte Pfarrer Holger Banse initiiert. Banse mahnte die Verpflichtung der Gesellschaft an, nicht zu vergessen. „Es kam damals nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, auch die Kirchen machten bei dem Naziterror gegen Juden mit. Wehret den Anfängen, den Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hat auch heute wieder ein Gesicht“, sagte Banse. Für die katholische Kirchengemeinde sprach Pfarrer Frank Aumüller und forderte die Pflicht der Nachgeborenen ein, die Erinnerung an die grausamen Geschehnisse wach zuhalten. „Niemals mehr darf ein Mensch in Deutschland wegen seiner Religion, Rasse oder Herkunft zu Schaden kommen“, sagte Aumüller. Ohne Erinnerung an die Vergangenheit gebe es keine Chance auf Frieden für die Zukunft.
Zur Gedenkstunde gehörte Musik, die von der Formation „Quattro Donne“, unter anderem mit Musik von Mordecai Gebirtig, ansprechend präsentiert wurde. Ortsbürgermeister Bernd Niederhausen verlas die Namen der Männer, Frauen und Kinder, die einst als Mitbürger jüdischen Glaubens in Hamm lebten. Das jüdische Totengebet (Kadisch) wurde verlesen und gemeinsam sang man das Lied „I have a Dream“. Aus den Reihen der Teilnehmer gab es Kritik, denn sie hätten lieber die Gedenkveranstaltung draußen erlebt, dort wo sie seit Jahren am ehemaligen Ort der Synagoge immer stattfand.
Nach einer Pause ging es in eine Podiumsdiskussion, die der Fragestellung „Schafft Deutschland sich ab?“ nachgehen wollte. Im Podium waren die Landtagsabgeordneten Dr. Peter Enders (CDU) und Thorsten Wehner (SPD), die Rechtsrefendarin Nilgün Ergüven, Olcay Kanmaz vom Beirat für Migration und Integration, und Landeskirchenrat i.R., Jörn-Erik Gutheil. Die Moderation hatte Pfarrer Holger Banse. Er zitierte aus dem umstrittenen Buch Thilo Sarrazins, las von der Fäulnis inmitten der Gesellschaft vor, die Sarrazin entdeckt haben will und von der problematischen Zuwanderung aus Afrika und dem nahen Osten. Banse zog Parallelen zu den geistigen Brandstiftern die vor mehr als 80 Jahren den Boden für die Reichspogromnacht bereitet hatten.
In den ersten Beiträgen der Podiumsteilnehmer wurde das Machwerk kritisch gesehen. Es habe eine politische Diskussion zu Migration und Integration angeheizt, die man in Deutschland von Seiten der Politik verschlafen habe. Kanmaz berichtete, das die muslimischen Mitbürger die Thesen mit Empörung aufgenommen hätten und man erwarte von den christlichen Kirchen, dass sie den Muslimen bestehen. Gutheil will eine klare Trennungslinie zu den Geschehnissen von vor 80 Jahren und der jetzigen Diskussion. „Wenn wir über nur über Sarrazin reden, bedienen wir den Stammtisch“, mahnte er. Der Mann habe eine gefährliche Stimmungslage getroffen, auf die eine klare Ansage der Politik fehle. Die Kirchen setzten sich seit mehr als zehn Jahren für die muslimischen Gemeinden im Land ein, führte er aus und warb dafür, das Zusammenleben gemeinsam zu gestalten.
Integration - darum drehte sich dann weiten Teilen die Diskussion. Die junge Nilgün Ergüven aus Bonn gab einiges aus ihrem Lebensweg bekannt. „Integration darf nicht am Kopftuch festgemacht werden“, sagte sie. Kritisch sah sie die vielen Vorurteile, die es in der Gesellschaft gebe und forderte, mehr die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen.
Sprache und Bildung seien die Schlüssel einer erfolgreichen Integrationspolitik, die habe man in Rheinland-Pfalz nicht verschlafen, stellte Wehner heraus. Die Sprachförderprogramme seien bereits in den Kindertagesstätten angesiedelt und es gebe gute Ergebnisse. Man dürfe Rheinland-Pfalz nicht mit Berlin vergleichen, wo die Probleme ganz anders zu sehen seien. Enders wies darauf hin, dass sich in den großen Städten Parallelgesellschaften gebildet hätten. Hier sei das Bildungsproblem besonders gravierend und er fand es unangemessen, dass es Migranten gebe, die in der dritten Generation im Land lebten, aber die deutsche Sprache nicht beherrschten. Er forderte auch ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz, mit allen Facetten, wie der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Religionsfreiheit, die auf gegenseitiger Toleranz basieren müsse. Wer sich einer Integration verweigere, müsse auch Konsequenzen tragen, forderte Enders.
Kanmaz kritisierte die deutsche Bildungspolitik, von den fehlenden Sprachkenntnissen seien nicht nur Migrantenkinder, sondern mittlerweile auch viele deutsche Kinder betroffen. „Integration heißt doch nicht Assimilation, hier ist meine Heimat, deshalb muss man mir doch meinen Glauben und meine Kultur lassen“, sagte Kanmaz. Die diffusen Ängste in der Gesellschaft vor Überfremdung seien von der Politik und den Medien geschürt, ein solches Buch verstärke dies Ängste.
Gutheil führte den Zuhörern vor Augen, dass man vor mehr als 50 Jahren Arbeitskräfte ins Land geholt habe, es seien aber Menschen gekommen. Um die habe sich niemand gekümmert. Die Sprache sei ein Schlüssel zur besseren Verständigung, aber dazu müsse jeder beitragen, differenziert vor Ort. Integration könne nur als gemeinsamer Prozess gesehen werden.
Die Diskussion, in die im letzten Drittel auch die Zuhörer zu Wort kamen, zeigte eines deutlich: Der sprachliche Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen und Ländern bedarf ebenfalls dringend neuer Überlegungen. Zueinander finden, die Mitbürger in gemeinsame Aktivitäten einbinden, könnte den geistigen Brandstiftern vom Schlage eines Sarrazins den Nährboden entziehen. (hw)
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