Lesepause am Gymnasium Betzdorf-Kirchen: „Selbst in Krisen können wir zusammenstehen“
Von Daniel-David Pirker
Ein Vorleseprojekt des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums war als Maßnahme gegen den Lockdown-Blues und für die Stärkung des Zusammenhalts in Homeschooling-Zeiten gestartet. Seit längerem wird es auch erfolgreich in der Wechselunterrichtsphase fortgeführt. Doch hinter der „Lesepause“ verbirgt sich angesichts des Auslaufens der Bibliotheksstelle noch mehr.
Betzdorf. Es heißt, Krisen bringen das Schlechteste und das Beste in den Menschen hervor. Mit seiner letzten (virtuellen) Abitur-Entlassfeier hatte das Gymnasium Betzdorf-Kirchen bewiesen, dass zumindest Letzteres stimmen muss. Zu diesem Schluss kam der Autor dieses Artikels in seinem Bericht über die Verabschiedung der Gymnasiasten im März. Tatsächlich sind es die Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen, die von den Pandemie-Maßnahmen unter besonderen Druck gesetzt werden. Nun kann man sich davon unterkriegen lassen – oder eben das Beste draus machen, ja sogar unter den Herausforderungen wachsen. Das Gymnasium hat sich offenbar grundsätzlich genau dafür entschieden. Und das gilt nicht nur für die Abitur-Entlassfeier, wie ein in der letzten Schulschließungs-Phase der Pandemie geborenes Projekt aktuell beweist. Ursprünglich digital während der Homeschooling-Phase vor einigen Monaten gestartet, erfreut sich die „Lesepause“ nun in Zeiten des Wechselunterrichts großer Beliebtheit in der Schulgemeinschaft.
Damals lasen täglich Schüler oder Lehrer eine Geschichte, ein Gedicht oder ein Kapitel ihrer Wahl vor. Die aufgezeichneten Beiträge konnten sich dann online angehört werden. Der kommissarische Schulleiter Joachim Langhauser sprach wahrscheinlich den jüngeren und älteren Zuhörern aus der Seele, als er dem AK-Kurier sagte: „Mir tut es unglaublich gut, die Stimmen der Schüler und Kollegen zu hören.“ Für ihn bedeutet das Lauschen der Vorträge auch „einen Moment der Entspannung, der sehr hoch einzuschätzen ist“.
Die Lehrerin für Kunst und Englisch, Kathrin Ehrlich, war Ideengeberin, um die sich schnell Mitstreiter aus der Schülervertretung und der Leseförderungs-AG versammelten. Maßgeblich beteiligt waren zum Beispiel Andreas Schmidt für die technische Logistik oder die Lehrer Christian Seiffarth oder Carsten Poppe.
„Lesepause“ wurde zum Selbstläufer
Die „Lesepause“ war auch entstanden als Kontrapunkt vor dem dauerhaften passiven Sitzen vor Bildschirmen, so Langhauser. Erfolgreich konnte man ein positives Signal gegen den Lockdown-Blues aussenden und gleichzeitig die auseinandergerissene Schulgemeinschaft virtuell versammeln. Letztlich war die „Lesepause“ zu einem Selbstläufer geworden. Vorleser mussten nicht angeworben werden, sondern fragten von selbst an. Mittlerweile sind dutzende Online-Beiträge abrufbar – quasi ein von Schülern und Lehrern selbst erstelltes Audible, der digitale Hörbuch-Dienst von Amazon.
Von Anfang war geplant, das Projekt auch in die Post-Homeschooling-Zeit zu übertragen. Momentan befindet sich auch das Gymnasium noch im Wechselunterricht. Bei einem Vor-Ort-Termin in der Schulbibliothek wird deutlich, wie die „Lesepause“ die nächste Stufe meistert – vom Digitalen, ins Hybride, wahrscheinlich demnächst komplett in die analoge Welt.
Schüler der 5b von Klassenleiterin Barbara Meyer stellen im Rahmen des Unterrichts ihre Lieblingsbücher vor, zugeschaltet sind über ein Notebook auch die restlichen Schüler. Im Anschluss liest Schülersprecher Colin Haubrich den Kleinen im Rahmen der „Lesepause“ vor. „Selbst in Krisen können wir zusammenstehen“, erklärt er dem AK-Kurier die tiefergreifende Bedeutung des Projekts für Schülerschaft und Lehrerkollegium.
„Bibo“ unverzichtbare Anlaufstelle für Schüler
Für Ideengeberin Ehrlich bedeutet das Live-Stattfinden der „Lesepause“ auch ein Zurückkommen in den Normalzustand. „Ein schönes Gefühl.“ Folgt man Ehrlich und den Worten der weiteren Verantwortlichen ist der Erfolg des Projekts allerdings auch ein Symbol, grundsätzlich für die pädagogische Bedeutung des Lesens und konkret für herausgehobene Bedeutung der schuleigenen Bibliothek. Und der gewohnte Betrieb steht bekanntermaßen auf der Kippe. Noch sorgt Bibliothekarin Annette Schuster dafür, dass die Schulbibliothek weit mehr ist als eine Lagerstelle für Bücher.
Für die Schüler stelle die „Bibo“ einen wichtigen und Lebensraum dar, einen „Wohlfühlort“, so Lehrerin Ehrlich. Gerade für die „Kleinen“ sei sie ein unverzichtbarer Anlaufpunkt – und Schuster eine unverzichtbare Ansprechpartnerin. Doch Schusters Stelle will der Kreis aus Kostengründen auslaufen lassen, wenn sie in den wohlverdienten Ruhestand geht. Vor einiger Zeit war der Bibliotheksbetrieb schon einmal nur im Notbetrieb gelaufen, als Schuster krankheitsbedingt ausgefallen war. Damals wurde deutlich, wie sehr die Bibliothekarin fehlen würde, erklärt Ehrlich. Aber die Schulgemeinschaft kämpft um ihre „Bibo“.
„Lesepause“ auch Signal an die Politik für Erhalt der Bibliotheksstelle
Vor dem entsprechenden Kreistagsbeschluss hatten die Schüler bereits für den Erhalt demonstriert. Aus Sicht des kommissarischen Schulleiters Langhauser würden gewachsene Strukturen zerstört, würde der Kreistagsbeschluss Realität. Die „Lesepause“ sei auch eine Fortführung der Arbeit, die so oder so außerhalb der Pandemie geleistet werde. Bibliothekarin Schuster und Schülersprecher Haubrich betonen im Gespräch mit dem AK-Kurier auch die Bedeutung der Einrichtung für Schülerfacharbeiten. Auch die Förderung des sinnerfassenden Lesens für jüngere Schüler werde hier geleistet. Vor diesem Hintergrund kann die „Lesepause“ auch als ein weiteres Signal an die Politik gesehen werden. (ddp)
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