Graffiti auf Parkdeck Betzdorf: Jugendliche sprühen ihre Corona-Gefühlswelt an Wand
Gut gelaunte Jugendliche brausen im Bus los. Das lähmende Coronavirus in Dunkelrot, umhüllt von einer grauen Wolke, lassen sie hinter sich. Eine Symbolik, die als Graffiti in Betzdorf entsteht. Das Motiv drückt in düsteren und hellen Farben die Emotionen und Erwartungen von Heranwachsenden aus.
Betzdorf. „Pfffffft“ macht es aus der Sprühdose. Der 13-jährige Enes füllt die angezeichnete Fläche auf der Wand mit schwungvollen Bewegungen. Knallgelb wird der Bus am Ende sein, den er und neun weiter Jugendliche an die Wand im Parkdeck Viktoriastraße bringen – ein Symbol für eine Klassenfahrt, die aus der Pandemie führt. Die Heranwachsenden haben aber nicht nur helle und freundliche Farbe in petto. Denn das Graffiti ist eine Schnittstelle, zwischen dem, was aus Sicht der Jugendlichen in der Zeit der Pandemie geprägt hat, und dem, was sie sehnlich vermissen. Allemal Freiheit, die sie sich zurückwünschen. Die linke Wandhälfte kommt eher düster und bedrohlich daher. In Grautönen gehalten sind auf dieser Wandhälfte „Stay Home“ und „Homeschooling“ zu lesen. Das Virus ist mit Maske dargestellt.
Diese beiden Gegensätze waren bei dem gemeinsamen Streetart-Projekt der Jugendpflege der Verbandsgemeinde Betzdorf/Gebhardshain und der Caritas Betzdorf im Vorfeld erarbeitet worden – mit und von den Jugendlichen. Nun werden die Gedanken, die Gefühle, Empfindungen und Erwartungen als Graffiti an die Wand gebracht.
Jugendliche vermissen Treffen mit Freunden oder Klassenfahrten
Julian Irlich ist an ihrer Seite. Der Graffitikünstler aus Brachbach ist nun ein weiteres Mal mit seiner Streetart bei einem Projekt der örtlichen Jugendpflege mit von der Partie. Diesmal unter dem Motto „Kunst im Parkdeck“, wie es die Jugendpflege und Caritas für das gemeinsame Projekt vorgegeben haben. Letzteres ist weit entfernt davon, nur bunte Farbe an die Wand zu bringen oder sich mit der Technik von Graffiti zu beschäftigen. Bei einem Brainstorming am Pfingstwochenende äußerten die Teilnehmer, was sie als negativ in der Zeit der Pandemie erachten, aber eben auch, was sie besonders stark vermissen. Es wurden dabei die Aspekte herausgestellt, die Jugendliche mit Corona und Pandemie verbinden. So vermissen sie zum Beispiel, sich mit Freunden treffen zu können – und Klassenfahrten. Letzteres wurde aufgegriffen, mit dem Bus, in dem fröhlich alle dicht an dicht sitzen, schilderte Irlich. Aus den ganzen Gedanken entwarf er die Skizze für das Graffiti.
Es werden unterschiedliche Aspekte verknüpft, bei dieser ersten Präsenzveranstaltung der Jugendpflege seit dem Spätsommer 2020, berichtete Jugendpflegerin Jenny Müller. Bewusst habe man sich für eine Outdoor-Veranstaltung mit einer Begrenzung auf zehn Teilnehmer entschieden, trotz miserablem Wetter. Und es gibt alle zwei Tage einen Schnelltest für alle. Darum kümmert sich Lorena Müller. Die gelernte Krankenschwester studiert Sozialarbeit und ist nun als Praktikantin in der Jugendpflege. Sie ist zertifiziert, um Schnelltests, die alle zwei Tage bei „Streetart“ für alle verpflichtend sind, vorzunehmen. Die Teilnehmer hatten sich zunächst sogar im digitalen Rahmen getroffen, weil man nicht noch geglaubt hatte, dass die Werte so schnell sinken, um doch in Präsenz „Kunst im Parkdeck“ anbieten zu können, so Jenny Müller. Für die digitale Alternative wurden Kreativ-Tüten an die Jugendlichen verteilt, mit Skizzenblock, Bleistift und Ähnlichem bestückt.
„Es ist eine ganz schwierige Zeit, die es den Jugendlichen schwer macht“
Ursprünglich, berichtete Jenny Müller, war die Veranstaltung schon im Herbst 2020 geplant, da noch unter dem Oberthema „Zukunft“. Man habe jedoch den Eindruck gewonnen, dass Jugendliche in der großen Diskussion rund um Corona und die Pandemie vergessen werden, sagte die Jugendpflegerin: „Was bedeutet es, in der Pandemie ein Jugendlicher zu sein, das kommt in der Debatte nicht vor.“ Es sei schließlich eine Zeit, in der Jugendliche sich die „Hörner abstoßen“ und die Freunde wichtig seien.
Eben genau in dieser wichtigen Phase der Entwicklung würden die Jugendlichen in die Familien reingedrängt. „Es ist eine ganz schwierige Zeit, die es den Jugendlichen schwer macht“, unterstreicht sie. Das erlebt sie auch bei der Streetart-Veranstaltung: „Die drehen auf und müssen einfach mal Energie ablassen.“ Sie hörte aber auch von Teilnehmern: „Ich möchte nicht mehr über dieses Thema sprechen.“ Das könne sie gut verstehen, räumte die Jugendpflegerin ein. Die Veranstaltung sollte auch ablenken – mit Spielen wie Kicker und Tischtennis sowie dem Planen des abschließenden Grillens am Samstag.
Die Verantwortlichen sind mit unterschiedlichen Methoden an das Thema herangegangen, um ein Stimmungsbild bei den vier Teilnehmerinnen und sechs Teilnehmern im Alter von zwölf bis 19 Jahren einzufangen. Bei einer Befragung sei klar geäußert worden: „Ich habe mich während der Pandemie einsam gefühlt.“ Und es gab auch einen Blick auf die Nach-Corona-Zeit: Die Jugendlichen sollten äußern, was sie sich für die Zeit nach der Pandemie wünschen. „Freiheit zurück“, „endlich was erleben“ und „feiern, dass Corona vorbei ist“ wurde unter anderem geäußert – und das wurde kreativ in eine Kristallkugel zum Mitnehmen eingearbeitet.
Inspiration dank digitaler Streetart-Führung
Eingebunden war auch eine Streetart-Führung in Köln, die digital präsentiert wurde. Alle waren vom Gesehenen in den Straßen der Domstadt begeistert. Das seien auch Stadtbürgermeister Benjamin Geldsetzer und Verbandsgemeindebeigeordneter Joachim Brenner gewesen, als die Jugendpflege von dem angedachten Projekt im Parkdeck erzählt habe. Die Verwaltungsspitzen von Stadt und Verbandsgemeinde begrüßten die Initiative und gaben freie Hand, es einfach mal zu machen. „Wir mussten uns auch nicht das Motiv absegnen lassen“, betonte Jenny Müller: „Das ist keine Selbstverständlichkeit.“
Es wurde natürlich auch fleißig gearbeitet. Denn das von Irlich mit den Teilnehmern entworfene Motiv sollte nicht nur als angedeuteter Skizzenumrisse auf der 16 mal vier Meter großen Wand zu sehen bleiben. Der Brachbacher erzählte von der Graffiti-Geschichte und führte die Jugendlichen an die Technik heran, um mit Farbe in allen Nuancen eine Geschichte zu erzählen. Denn das macht das Motiv – und zwar die Geschichte von Jugendlichen in der Pandemie. Aber eben auch mit der hoffnungsvollen Erwartung für danach. Wenngleich die „fehlende Klassenfahrt“ beziehungsweise abgesagte Abschlussfahrt von den Teilnehmern bedauert wurde, so ist dies in dem Motiv zu einem hoffnungsvollen und dynamischen Symbol umgewandelt worden, nämlich um buchstäblich aus der Zeit von Corona, Pandemie und Einschränkungen „herauszudüsen“.
Tristesse des Parkdecks ganz nebenbei verschwunden
Bei dem Gemeinschaftsprojekt war auch Sozialpädagoge Steffen Ernst von der Caritas mit von der Partie. Das Präventionsprojekt wird von der Leitstelle „Kriminalprävention“ des Ministeriums des Inneren und für Sport Rheinland-Pfalz gefördert. Aufgrund der Förderung ist das Projekt kostenlos für die Teilnehmer. Ziel des Projektes ist unter anderem das Auseinandersetzen mit dem eigenem Sozialraum. Apropos Raum: Die Tristesse des Parkdecks ist ganz nebenbei auch verschwunden.
Am Samstag, den 29. Mai, wird das Graffiti schließlich fertiggestellt sein – was mit einem gemeinsamen Grillen gefeiert werden wird. (tt)
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