Aufsuchende Jugendarbeit in Altenkirchen: Kontakte trotz Corona nicht abgerissen
Treffpunkte in großen Städten und kleinen Gemeinden, wo Alkohol und Drogen regieren, Gewalt und Hinterlassenschaften der unschönen Art ebenfalls an der Tagesordnung sind, bilden quer durch die Republik keine Ausnahme mehr. Gefahrenabwehrverordnungen sollen helfen, die Lage in den Griff zu bekommen. In Altenkirchen kommt als weitere unterstützende Maßnahme die aufsuchende mobile Jugendarbeit hinzu.
Altenkirchen. Über Jahre hinweg war das Geschehen am Konrad-Adenauer-Platz in Altenkirchen ein Dorn im Auge vieler: Drogen-, Alkoholexzesse, Belästigungen, Gewaltausbrüche, Kriminalität und wenig appetitliche Überbleibsel menschlicher Verdauungsprozesse bedingten den Ruf nach mehr staatlichem Handeln. Selbst Altenkirchens Ex-Stadtbürgermeister Heijo Höfer war des Themas derart überdrüssig, dass er vorübergehend Tische und Bänke abmontieren ließ. Viele Diskussionen in städtischen Gremien, Beratungen mit Polizei und Institutionen, die in Jugendarbeit involviert sind, mündeten schließlich in der Verabschiedung einer Gefahrenabwehrverordnung, die am 1. Juli 2019 für den Stadtbezirk in Kraft trat (seit dem 1. Mai 2021 für die gesamte Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld gültig) und vor allem der Polizei mehr und effektivere Handlungsmöglichkeiten einräumt. Parallel wurde vereinbart, nicht nur den Arm des Gesetzes verstärkt ins Spiel zu bringen, sondern dem Übel auch mit einem niederschwelligen Angebot, der aufsuchenden mobilen Jugendarbeit, zu Leibe zu rücken.
Startschuss fiel im Juni 2019
An das evangelische Kinder- und Jugendzentrum Kompa in Altenkirchen angedockt, fiel der Startschuss für die Tätigkeit an diesem Brennpunkt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnhof im Juni 2019, wie Wiebke Herbeck, die Leiterin der Einrichtung in der Wilhelmstraße, dem städtischen Ausschuss für Jugend, Klima und Zukunftsfragen in dessen jüngster Sitzung berichtete. „Wir wollen präventiv arbeiten“, stellte sie heraus und nannte Gespräche als das allerwichtigste Mittel, um Zugang zu der Szene zu erhalten. Dabei komme es darauf an, nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Mitglieder dieser Gruppe zuzugehen, sondern einfach deren Sprache zu sprechen. „Wir sind mit vielen problemlos in einen Dialog gekommen“, erläuterte Herbeck. Umgehend hätten sich Probleme wie verdeckte Obdachlosigkeit, Beschaffungskriminalität oder Drogen- und Alkoholabhängigkeit herausgestellt, die „schnell und offen dargestellt wurden“. Vielfach wurde um Hilfe gebeten. „Wir waren überrascht, wie stark unser Angebot angenommen wurde und wird“, lautete das Fazit Herbecks, „und wir haben gleichfalls einen Einblick erhalten, wie Strukturen sich ergeben haben.“
Bindungen überstehen Corona-Zwangspause
Bei allem Engagement hatte auch Herbeck die Corona-Pandemie nicht auf der Rechnung - mit der Folge, dass im vergangenen Jahr zwei Drittel der geplanten Arbeit gestrichen werden musste. Und auch bis vor wenigen Wochen war ein Kontakt vor Ort so gut wie nicht möglich. Und dennoch: Bindungen rissen nicht ab, auch, weil Gesprächsmöglichkeiten am Jugendzentrum geboten wurden. „Viele haben sich gemeldet, sind ans Haus gekommen oder haben sich online beraten lassen“, freute sich Herbeck, dass die Tätigkeit der ersten Monate nicht komplett für die Katz war, und sprach von „guten Erfolgen“. Sie bezifferte die Zahl der Kontakte seit dem Start des Projektes mit 1500, wobei das nichts über die Qualität der Beziehungsarbeit aussage. Grundsätzlich wende sich Jugend- und -sozialarbeit an 6- bis 27-Jährige. In erster Linie gilt das Hauptaugenmerk am Brennpunkt in der Unterstadt den Teens (ab 14 Jahre) und dann den 18- bis 21-Jährigen, „die durchs Raster fallen“. Vielfach werden Jugendliche angetroffen, die ihre Geschwister im Kindergarten- oder Grundschulalter im Schlepptau haben, „weil sie auf sie aufpassen müssen“, stellte Herbeck dar.
„Runden Tisch im Herbst“ gefordert
Die Erfahrungen vor Augen, forderte Herbeck einen „Runden Tisch zum Herbst hin“, um einen Gesamtüberblick zu erhalten und um Unterstützung für die Arbeit zu bitten. „Vertreter der Schulen, der Polizei und sozialen Einrichtungen sollten teilnehmen“, bemerkte sie, „einige wissen noch gar nichts von unserer Tätigkeit. Dabei gibt es so viele Überschneidungen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, wir müssen viel mehr für diesen Sozialraum tun“, der indes nicht nur den Konrad-Adenauer-Platz umfasst. Neuralgische Zonen sind laut Herbeck auch der Weyerdamm, das Wiesental (Gruppe der Kastanienbäume) und die Passage zum ehemaligen Rewe-Center. Ihre Überlegungen gehen inzwischen über ein bloßes Treffen hinaus, sie möchte eine viel stärkere Vernetzung der „Akteure im Sozialraum“ wie beispielsweise mit der neuen Abteilung der ASG Altenkirchen „Street & Action“ erreichen.
Eine Vollzeitstelle
Für die aufsuchende mobile Jugendarbeit steht eine unbefristete Vollzeitstelle zur Verfügung (39 Wochenstunden). Herbeck und ihre Kollegin Katja Manz-Schumann teilen sich diesen Job, wobei die Kompa-Leiterin von mittwochs bis freitags zwischen 12 und 16 Uhr auf dem Konrad-Adenauer-Platz anzutreffen ist. Manz-Schumann hat vor allen Dingen mittwochs und freitags die anderen Schauplätze im Blick und kann flexibel reagieren, wenn erforderlich. Individuelle Einzelfallberatung wird „auf der Straße“ per Termin vereinbart und in den Räumen des Kompa in einem Vier-Augen-Gespräch fortgeführt. Die Finanzierung der Stelle erfolgt aus Mitteln der Landesregierung über die Jugendstrategie „Jes!“, des Kreises Altenkirchen, der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld und der Stadt Altenkirchen. (vh)
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