Neiterser Wied-Scala nutzt Zwangspause für eine Teilrenovierung
Der Tag X liegt in gar nicht mehr allzu weiter Ferne: Für Kinobetreiber und Fans, die sich gerne Blockbuster oder Nischenproduktionen auf einer großen Leinwand mit exzellentem Ton anschauen, wird der 1. Juli, ein Donnerstag, mit Sehnsucht erwartet. Nach monatelang geschlossenen Türen dürfen die Lichtspielhäuser mit Beginn des zweiten Halbjahres endlich wieder ihre Pforten öffnen.
Neitersen. Auf der einen Seite steht der Frust, dass seit vielen Monaten die Projektoren ihre Arbeit nicht mehr verrichten durften; auf der anderen Seite kam die Zwangspause den Verantwortlichen der Wied-Scala, des einzigen Kinos im AK-Land in Neitersen, doch gar nicht so ungelegen. Rund 180.000 Euro steckten sie in die Renovierung des Lichtspieltheaters, das bereits seit 1956 in Betrieb ist und in dem Gebäude eine Werkzeugschmiede ablöste. „Wir haben eine neue Decke mit Wärmedämmung eingezogen“, beginnt Uli Hüsch, der gemeinsam mit Karin Leicher und Wilma Hüsch als Betreiber fungiert, die Aufzählung der Upgrade-Maßnahmen. Die Soundanlage verfügt nunmehr über das Dolby-Surround-Level 7.1 und ist somit von der Topkategorie Atmos nur noch Nuancen entfernt, wie Theaterleiter Samuel Tomasiello ergänzt. Diese Aufwertung bedingt, dass, wie die größeren Brüdern Cinexx in Hachenburg und Cine 5 in Asbach es bereits anbieten, Klassik-Konzerte in hervorragender Bild- und Tonqualität gezeigt als auch gehört werden können. Der Markt halte in dieser Sparte inzwischen viele Angebote bereit, weiß Uli Hüsch, „das sind inzwischen echte Renner geworden.“ Für die Premiere in der Wied-Scala ist der „Der fliegende Holländer“, eine romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner, vorgesehen, die 1843 uraufgeführt wurde und von den Bayreuther Festspielen übertragen werden soll.
Deutlich besserer Sitzkomfort
Freuen können sich Freunde dieses Musik-Genres (und nicht nur die) auf einen deutlich verbesserten Sitzkomfort, einem alles in allem „viel ansprechenderen Ambiente für Opernfreunde“. Die alte Klappbestuhlung wurde eliminiert, an ihre Stelle traten moderne, bequeme Kinosessel mit deutlich mehr Abstand, größerer Breite (63 Zentimeter), ausgedehnterer Beinfreit und kleinen Tischen in den Zwischenräumen. „Deswegen mussten wir die Sitzplatzzahl auch von 110 auf 72 reduzieren, davon sind 12 auf der Empore vorhanden“, blickt Karin Leicher auf die Zeit zurück, in der lediglich Bauarbeitern der Zutritt gewährt wurde, „die Maßnahmen hätten wir bei laufendem Betrieb gar nicht stemmen können.“ Das Schmuckkästchen habe eine klare Aufwertung für das Publikum erfahren. Dass das verantwortliche Trio die Investitionen nicht aus den eigenen Portemonnaies alleine bewerkstelligen konnten, liegt auf der Hand. Das Zukunftsprogramm Kino der Filmförderungsanstalt und das Staatsministerium für Kultur und Medien überwiesen Beträge, so dass das bereits vielfach für sein Programm ausgezeichnete Kino gar noch bessere Chancen hat, am Markt auch weiterhin bestehen zu können. Denn, so formuliert es Karin Leicher: „Die Wied-Scala hat schon viele Stammgäste.“
Öffnungszeiten wie gehabt
Mit Beginn der „neuen“ Spielzeit am 1. Juli wird sich an den Öffnungszeiten vorerst nichts ändern. „Wir werden weiterhin von Donnerstag bis Sonntag spielen“, sagt Samuel Tomasiello und deutet zudem Spätvorstellungen freitags und samstags an. Vorerst verzichtet werden muss auf die immer gerne genommene Reihe „Film mit Frühstück“, weil die Kulinarik in großem Stil noch nicht gestattet sei. Unmittelbar nach der Wiedereröffnung soll die Wied-Scala verstärkt Anlaufstelle junger Cineasten werden, denn die Schulkinowoche von Rheinland-Pfalz, eigentlich immer im November angesetzt, rückt in den Hochsommer (5. bis 9. Juli), die, so Leicher, bislang immer auf gutes Interesse gestoßen sei. Hatten vor der Pandemie Fußballfans während großer internationaler Turniere Abstecher nach Neitersen immer fest im Terminkalender vermerkt, ist Public viewing während der gerade stattfindenden Euro 2021 kein Thema - zum ersten Mal seit 1990 ist Rudelgucken nicht möglich.
Gemeinsames kulturelles Erlebnis
Dass das Trio fest an den Fortbestand von Filmtheatern glaubt, liegt trotz der Konkurrenz der Streamingdienste auf der Hand. Sonst wäre die Sanierung mit Sicherheit nicht erfolgt. „Die Leute haben es satt, bei Netflix und Co. irgendwas zu schauen, weil sie nicht mehr wissen, was sie dort schauen sollen“, äußert Uli Hüsch. „Das Kino wird bleiben. Die Leute wollen sich treffen. Es ist etwas anderes, als zuhause vor dem Fernsehen zu sitzen“, ist sich Karin Leicher sicher. In Zeiten zunehmender Isolation sei Kino eine Möglichkeit für ein gemeinsames kulturelles Erlebnis.
Nix einheitlich geregelt
Wie so oft in dieser Pandemie bereits, ist bundesweit nix einheitlich geregelt. Mit Stand vom 17. Juni muss beim Besuch eines Kinos in Rheinland-Pfalz bis zum Platz eine Maske getragen werden, gilt es einen Mindestabstand im Saal (maximal 100 Menschen) zu beachten, müssen Test-, Impf- oder Genesenennachweise erbracht werden, ist die Kontaktdatenerfassung sitzplatzgetreu Pflicht. Wenigstens gibt es kein Verzehrverbot. Vor dem Hintergrund des Flickenteppiches prangert die AG Kino-Gilde in einer Pressemitteilung die ihrer Ansicht nach zum Teil viel zu strengen, manchmal willkürlich erscheinenden Auflagen an. „Die rasch gesunkenen Inzidenzen und die immer höhere Impfquote führen in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu Lockerungen. Doch leider beobachten wir für die Kulturorte nach wie vor ein Zurückhalten, Aufschieben und Vertrösten der Politik,“ kritisiert Christian Bräuer, Vorsitzender der AG Kino-Gilde. Dabei hatte unter anderem das Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin bereits im Februar eine Studie veröffentlicht, nach der die Ansteckungsgefahr in Kinos geringer ist, als in Restaurants, Schwimmhallen, Fitnessstudios, Schulen oder Büros.
Kinobetreiber befürworten Infektionsschutz
Aus Sicht des Verbandes hat die Regelungsflut nur noch wenig mit Infektionsschutz zu tun, den alle Kinobetreiber ausdrücklich befürworten. Es sind willkürliche politische Momententscheidungen, die ein Engagement vorgaukeln sollen, zunehmend rechtlich fragwürdig sind und das verantwortliche Engagement der privatwirtschaftlichen Kulturanbieter gering schätzen. „Wenn Maßnahmen unfair und für Menschen nicht mehr nachvollziehbar sind, fördern sie nicht die Akzeptanz für den nach wie vor wichtigen Infektionsschutz in der Bevölkerung,“ ergänzt Bräuer, „Kinos brauchen wieder die Chance zu wirtschaften. Denn jetzt wird entschieden, ob Arbeitsplätze in der gesamten Filmwirtschaft entstehen oder dauerhaft verschwinden. Seit fast acht Monaten warten Filmemacher mit ihren Werken auf den Neustart der Kinos. Die Zeit ist überreif, die Kultur wieder in den Vordergrund zu rücken.“ (vh)
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