Kreistag befürwortet einstimmig Antisemitismus-Antrag
Welchem Flügel der Gesamtpartei sind die Mitglieder der AfD im Altenkirchener Kreistag zuzuordnen? Nach einer sachlichen, aber hart geführten Diskussion um den Antrag der CDU-Fraktion, in dem es um „Aktivitäten gegen Antisemitismus“ ging, hatte wohl jeder Angehörige des Gremiums seine persönliche Einschätzung gespeichert
Wissen. Die AfD ist seit der Kommunalwahl 2019 im Altenkirchener Kreistag vertreten. Waren es zunächst vier Mitglieder, halbierte sich die Zahl schon nach wenigen Wochen der neuen Legislaturperiode infolge interner Querelen. Seit diesem Zeitpunkt ist Ruhe eingekehrt, orientiert sich die politische Arbeit des verbliebenen Duos in öffentlichen Zusammenkünften eigentlich am „Mainstream“. Zum ersten Mal wurde in der Sitzung des Kreistages am Montagnachmittag (28. Juni) im Wissener Kulturwerk die Fraktion der Alternative für Deutschland massiv angegangen. Den Antrag der CDU-Fraktion, der sich um „Aktivitäten gegen Antisemitismus im Kreis Altenkirchen“ drehte, nutzte vor allen Dingen Anna Neuhof (Bündnisgrüne) zu einer Abrechnung mit der im Jahr 2013 gegründeten Partei: „Der Antisemitismus wird von der AfD in die Mitte der Gesellschaft verschoben“, sagte Neuhof bilanzierend, „wir sehen den Antrag zur rechten Zeit gestellt.“ Im Kreis Altenkirchen gebe es kein jüdisches Leben mehr, lediglich mit Gedenkstätten und Stolpersteinen werde daran erinnert.
Aufforderung zum Parteiaustritt
AfD-Fraktionsvorsitzender Frank Rüther wies entschieden zurück, dass die Partei „in dieser Form attackiert wird“ und „in diesem Hause als nicht demokratische Fraktion“ eingestuft werde. Aussagen von Parteimitgliedern in „exponierter Stellung“ träfen nicht auf die hiesige Fraktion zu, diese „weise ich ebenfalls in schärfster Form zurück“. Äußerungen von Alexander Gauland, einem der beiden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, nannte Rüther teils „sehr, sehr irritierend“, so dass Neuhof umgehend in dessen Richtung antwortete: „Wenn Sie eine Dissens mit der Partei haben, dann verlassen Sie doch die Partei.“
Arbeitsauftrag für Verwaltung
Für die CDU hatte Michael Wäschenbach den Vorstoß begründet und als jüngstes Beispiel für Antisemitismus den Anschlag auf die Synagoge in Ulm von Anfang Juni genannt, der große Betroffenheit ausgelöst habe. Deutschland sei ein Land der Gleichheit, der Freiheit und der Toleranz und die Heimat für Jedermann, der es seine Zuhause nenne. „Alle Schulen, alle Kommunen, alle Vereine und gesellschaftliche Gruppierungen und Religionsgruppen und Bildungsträger werden aufgerufen, sich gegen zunehmenden Antisemitismus zu wehren und Maßnahmen zu ergreifen, um für Toleranz und Abbau von Vorurteilen zu sorgen“, lautete die Formulierung, aus der ein Arbeitsauftrag an die Kreisverwaltung abgeleitet wurde: „Es soll eine Aufstellung der Antisemitismusarbeit im Kreis Altenkirchen zur Entscheidungsgrundlage über weitere Maßnahmen vorgelegt werden.“ Doris John (CDU) erklärte, dass es nur eine Betroffenheit geben könne, „wenn ich berührt bin“. Das könne zum Beispiel mit Besuchen in ehemaligen Konzentrationslagern geschehen. Sie sprach von „Leuchttürmen in der Schule“ und nannte als Beispiel die Veranstaltungen zum 9. November, die jährlich wiederkehren. Zudem sah sie in „fürchterlichen Apps, die unterwegs sind“, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das Heranreifen von Antisemitismus schon bei Kindergarten- und Grundschulkindern. Ach ja: Der Antrag der CDU wurde einstimmig beschlossen (also auch mit den Voten der beiden AfD-Verteter).
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Rückenwird für „wällermarkt“
Per fraktionsübergreifendem Antrag (logischerweise einstimmig gebilligt) wurde der „wällermarkt“ gutgeheißen. „Der Kreistag Altenkirchen begrüßt das regionale und genossenschaftliche Online-Marketing- und Logistik-Projekt ,wällermarkt‘ als Chance für die Stützung und Zukunftssicherung des Einzelhandels und der Direktvermarktung in den Kreisen Westerwald, Neuwied und Altenkirchen. Es ist Aufgabe der Wirtschaftsförderung und der gemeinsamen AöR für Regionalmarketing ,Wir Westerwälder‘, das Projekt weiterhin nach Kräften zu unterstützen“, war als Wortlaut erarbeitet worden.
Wie das „System Raiffeisen“
Benjamin Geldsetzer (SPD) nannte es „unterstützungswürdig und eine einmalige Chance für die Einzelhändler“. Für Jessica Weller (CDU) kann das „Projekt gelingen, wenn viele Leute mitmachen“. Eine Genossenschaft mache den Einzelnen stark, bemerkte Neuhof. Da die Logistik unabhängig von den großen Paketdienstleistern geplant sei, könne es ein Erfolgsmodell werden, resümierte Udo Piske (FDP). „Wenn die Amazons dieser Welt nur ein ,Ny‘ verlieren, ist es eine gute Sache“, erklärte Hubert Wagner (FWG). Für Udo Quarz (Die Linke) stellte das Projekt genau das „System Raiffeisen“ dar. „Der Präsenzhandel befindet sich in Schieflage. So kann Schub auf den Weg gebracht werden“, verdeutlichte Rüther. Der „wällermarkt“ ist eine genossenschaftliche organisierte digitale Vermarktungsplattform für regionale Einzelhändler und Erzeuger und wird in wenigen Wochen in Betrieb gehen.
Damenhygiene wird nicht kostenfrei vorgehalten
Mit 17-Nein- bei 16 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen sprach sich das Gremium gegen den von der SPD eingebrachten Antrag „Gesellschaftliche Solidarität mit Frauen und Mädchen: Damen-Hygieneartikel niederschwellig und kostenfrei verfügbar machen“ aus. „Es ist eine gute Möglichkeit für mehr Gleichheit und Wertschätzung“, nannte Matthias Gibhardt (SPD) einen Grund für den Plan und sprach von einem ersten Schritt, einem „Pilotprojekt“, bei dem vier weiterführende Schulen (Kreis als Schulträger) „damit ausgestattet werden sollen, um erst einmal einen Überblick über die Kosten zu erhalten“. Laut Anneliese Heß (CDU) gehörte das Thema nicht „zu den Aufgaben einer Kreisverwaltung, sich um Damenhygiene zu kümmern“. Auch Dr. Klaus Kohlhas (FDP) schlug in diese Kerbe: „Wir haben als Kreis keine Verpflichtung.“ Dazu käme noch das Problem des Vandalismus in Toiletten. Neuhof machte es kurz und bündig: „Lasst es uns ausprobieren, dann sehen wir, welche Resonanz es hat“. (vh)
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