Pressemitteilung vom 05.07.2021
„Im Hof stand das Plumpsklo“ – So war die Kindheit auf dem Land
Smartphones, zwei Autos in der Garage oder eine tägliche Dusche? All diese heutigen Selbstverständlichkeiten waren in der Kindheit von Roswitha Lemm unvorstellbar. Die Autorin der Literaturwerkstatt Altenkirchen bietet spannende Einblicke in einen Alltag auf dem Land, der so weit entfernt scheint – und doch erst einige Jahrzehnte her ist.
Altenkirchen. Die Familie lebte zusammen in einem Haus, auch losledige Tanten und alte Junggesellen gehörten dazu. Sie unterstützten sich gegenseitig, arbeiteten und aßen zusammen. Familienkrach oder Streitereien waren jedoch selten ein Grund für eine Trennung der Wohnverhältnisse.
Kinder hatten still zu sein, wenn Erwachsene redeten. In die Schule oder die Kirche liefen wir zu Fuß bei jedem Wetter. Kopf oder Bauchschmerzen waren kein Grund zuhause zu bleiben.
Im Winter, wenn Schnee lag, trugen wir Gummistiefel. Gegen die Kälte wurden die Füße vor dem Anziehen in Zeitungspapier eingepackt.
Es gab keinen Fernseher und kein Handy. Nur der Bürgermeister hatte ein Telefon mit Wählscheibe von 1 bis 10. Immerhin besaßen wir ein Radio. Es brummte und stank verbrannt, wenn es angeschaltet wurde. Finger weg von den Knöpfen – das galt für uns Kinder. Nur der Vater durfte diese betätigen.
Samstags gabs immer Suppe. Fleisch nur am Sonntag. Zum Frühstück aßen wir überwiegend Brot mit selbstgemachter Marmelade.
Samstags wurde auch gebadet. Das Wasser wurde im Kessel heißgemacht und eine Wanne reichte für Vater Mutter und die Kinder. Ins Wasser kam Kernseife und im Restwasser wurde die Wäsche eingeweicht.
Unterhosen wurden die ganze Woche getragen und es gab Schelte, wenn man sich schmutzig machte.
Mutters ganzer Stolz war die Bettumrandung und die Tagesdecke im Schlafzimmer. Zudecken waren mit Federn gefüllt und bleischwer und klumpig. Matratzen waren mit Rosshaar gefüllt und dreiteilig.
Wäsche wurde im Keller im Waschkessel gekocht und Bettlaken und Tischdecken auf die Wiese zum Bleichen ausgebreitet.
In der Schule lief man ständig Gefahr, vom Lehrer verprügelt zu werden. Auch Mutter und Oma benutzten gerne den Kochlöffel für notwendige Erziehungsmaßnahmen.
Nach der Schule mussten wir die Hausaufgaben machen und dann helfen, im Garten oder auf dem Feld. Zum Spielen im Dorf mussten wir die jüngeren Geschwister stets mitschleppen und auf sie aufpassen. Wenn die Glocken läuteten, mussten wir zuhause sein.
Verwandte wurden mit Onkel und Tante angesprochen. Zur Begrüßung musste die „schöne“ Hand gegeben werden und ein Knicks oder ein Diener gemacht werden.
Mutter und Oma trugen stets Kittelschürzen. Kühe wurden im Stall mit der Hand gemolken.
Kleider und Hosen stammten meist von älteren Cousinen oder Cousins. Sie wurde so umgenäht, dass sie mindestens drei Jahre passten.
Dauerwellen wurden mit Hilfe ätzender Flüssigkeit beim Frisör in die vorhandene Haarfülle gebrannt. Niveacreme und eine Wattewurst rundherum sollte die Haut schützen. Saß die Haube zu dicht kam es trotzdem zu Verbrennungen 3. Grades im Nacken.
Danach saßen Oma und Mutter jeden Samstag mit Kröllesjen (Lockenwicklern) auf dem Kopf unter der Trockenhaube in der Küche.
Bei Familienfeiern gab es Bowle. Mutter trank Eierlikör aus einem Waffelbecher. Omas Fensterbänke zierten Flaschen mit Aufgesetztem Schnaps.
Im Hof stand das Plumpsklo. Dort gab es kein Licht und keine Lampe. Ein schwerer Holzdeckel verschloss das unheimliche, stinkende Loch. An der Wand war ein Nagel, daran hing Zeitungspapier.
Sonntags hatten wir Kinder die Aufgabe Vater aus der Kneipe vom Frühschoppen zum Essen zu holen. Zunächst gabs für uns eine Sinalco und einen Groschen für den Nüsschenautomaten. Wenn wir bis halb zwei nicht zurück waren, kam Mutter selbst...
Omas dritte Zähne befanden sich überwiegend in der Tasche ihrer Kittelschürze. Nur für den absolut notwendigen Gebrauch: Essen oder sprechen wurden sie flugs eingesetzt. Ab und an verlegte Oma ihre Zähne. Die Familie schwärmte aus zur Suchaktion und fand sie an den unmöglichsten Stellen.
Einmal im Jahr kam der Metzger auf einem Moped vorbei und schlachtete ein quiekendes Schwein unter freiem Himmel im Hof. Wir Kinder mussten das auslaufende Blut mit einem Kochlöffel kleppern, damit es für die Blutwurst nicht gerann. Anschließend gabs Wurstsuppe und Wellfleisch für das ganze Dorf. Ein oder mehrere Schnäpse machten die fette Brühe verdaulicher.
Es gab nur ein Auto im Dorf und das gehörte dem Bürgermeister. Onkel Alfred war reich. Er fuhr ein Motorrad mit Seitenwagen. Die ganze Familie hatte darin und darauf Platz.
Über Sex wurde nie gesprochen. Die Kinder brachte der Klapperstorch. Für Geschwister legten wir Zucker auf die Fensterbank.
Autorinnen-Profil:
Mein Name ist Roswitha Lemm, ich bin 68 Jahre alt und lebe hier im Westerwald – fast am Ende der Welt. Als Rentnerin habe ich nun Zeit für mein Hobby: dem Schreiben und Verfassen von allerlei Geschichten und Versen.
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