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Nachricht vom 16.07.2021    

Touch Tomorrow: Westerwald-Gymnasium begegnet der Zukunft

Von Thomas Sonnenschein

Mitten auf dem Schulhof entdeckten die Schüler des Gymnasiums in Altenkirchen in der letzten Woche vor den Ferien einen gewaltigen futuristischen Truck – zwei Stockwerke hoch – voll mit technischer Innovation. Touch Tomorrow: Berühre die Welt von Morgen, so heißt die Devise. Doch was steckt dahinter?

MINT erleben: Unter dem Eindruck der virtuellen Brille sieht das Chassis wie ein Motor aus. (Fotos: Thomas Sonnenschein)

Altenkirchen. Er sah aus wie die Kulisse zu einem Star-Wars-Film und stand eine Woche lang mitten auf dem Schulhof des Westerwald-Gymnasiums. Schüler durften die Technik der Zukunft im Inneren auf zwei Stockwerken mit eigenen Sinnen erleben und erfahren. Dahinter steht ein erlebnispädagogisches Konzept, das in ihrer Zielgruppe, nämlich Mittel- und Oberstufenschülern, in Deutschland einzigartig ist. Die Dr. Hans-Riegel-Stiftung entwickelte diesen Truck und das dahinterstehende Konzept aufwendig in Zusammenarbeit mit diversen Instituten und Universitäten. Durch die Begegnung sollen die Jugendlichen ihre eigenen Talente in den sogenannten MINT-Themen mit Begeisterung entdecken.

MINT: Was nach frischem Durchatmen klingt, ist das Kürzel für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Wie leben wir morgen? Und wie arbeiten wir morgen? Das sind die Themen dieses besonderen Trucks. Dabei geht es keineswegs um Science-Fiction, sondern um realistische Technik der Zukunft, die heute schon in der Entwicklung steckt. Die Stationen im Inneren des Trucks wirken aus heutiger Sicht immer noch surreal, auch wenn all das bald zum Alltag dazugehören wird.

So dürfen Schüler nur mit ihren Gedanken eine virtuelle Kugel über eine Hindernisbahn steuern. Das ist keine Telepathie, sondern ein Meilenstein der Technologie, die auf vielen Gebieten Anwendung finden wird, zum Beispiel im Bereich medizinischer Prothesen. An einer anderen Station wird ein Metallchassis unter dem Eindruck einer virtuellen Brille zu einem Motor, den es zusammenzusetzen gilt. Auch diese Methode hält verstärkt Einzug im Bereich der Produktentwicklung, vor allem bei aufwendigen und kostspieligen Projekten.

Den meisten Menschen, die an die Zukunft denken, fällt sofort ein Roboter ein. Deshalb fehlt natürlich auch nicht die Station, bei der die Bewegungen eines Roboters frei programmiert werden dürfen. Allen Stationen gemein ist die Erzeugung eines Erfolgserlebnisses und die damit verbundene Entdeckung der eigenen inneren Nähe zu den MINT-Bereichen. Weitere Themen sind künstliche Intelligenz und Ernährung, Industrie 4.0, Modedesign und IT, Plastik aus Holz und Mobilität der Zukunft. Die MINT-Inhalte sind dabei stets konkreten Berufsbildern zuerkannt. Eine Extra-Station demonstriert die entsprechenden Möglichkeiten an MINT-Studiengängen. Die Begeisterung der Jungs und vor allem auch der Mädchen belegt eindrucksvoll den positiven Effekt dieses Konzeptes.

Schon seit einigen Jahren tourt der Truck durch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg. Diese Länder unterstützen das Projekt bereits, Rheinland-Pfalz tut sich derzeit noch schwer. Mit Station in Bad Neuenahr hat die Dr. Hans-Riegel-Stiftung nach der Coronabedingten Zwangspause an den Schulen das nördliche Rheinland-Pfalz erreicht. Von dort ging es direkt nach Altenkirchen. Die IHK Koblenz hat sich insbesondere in Zusammenarbeit mit den Regionalgeschäftsstellen dafür eingesetzt, dass dies möglich wurde.

Kristina Kutting, IHK-Regionalgeschäftsführerin Altenkirchen und Neuwied unterstrich, dass es auch darum gehe, den einzelnen Menschen mit seinen Talenten den Möglichkeiten näher zu bringen, die die heimische Industrie biete. Deshalb hätten auch ortsansässige Unternehmen die Möglichkeit gehabt, ihren Betrieb und die dortigen Ausbildungsmöglichkeiten von Mensch zu Mensch persönlich nahe zu legen. Letztlich gehe es darum, junge Talente in der Region zu halten und sich für eine Stärkung des Kreises einzusetzen.



Dieses Anliegen unterstützte auch Lars Kober, Leiter der Wirtschaftsförderung des Kreises Altenkirchen, der bedauerte, dass überdurchschnittlich viele Oberstufenschüler nach ihrem Schulabschluss in andere Regionen abwandern würden. Dabei sei die heimische Industrie gut aufgestellt und zum Beispiel im Bereich Maschinenbau oder Mechatronik zukunftsweisend. Besorgniserregend sei, dass der Pool an Nachwuchskräften immer kleiner werde. „Es wird zu einem Kampf um die Köpfe kommen“, prognostiziert Kober.

Nicht Think-Tank, sondern MINT-Tank sei deshalb die Devise zur Konzeption dieses Trucks gewesen, äußerte sich Professor Ingeborg Henzler, Vorstandsvorsitzende der Dr. Hans-Riegel-Stiftung. Sie ist überzeugt, mit diesem Konzept ganz im Sinne des verstorbenen Stiftungsgründers zu handeln, den sie noch persönlich kannte. Riegel, der mit der Marke Haribo Bekanntheit erlangte, sei stets bestrebt gewesen, junge Talente zu finden, fördern und zu vernetzen. Vor allem aber wollte er den Nachwuchs für wirtschaftliches und soziales Engagement begeistern.

„Die Investition in Bildung bringt die besten Zinsen“, konstatiert Henzler. Die einzelnen Stationen im Touch-Tomorrow-Truck seien so gewählt, dass bewusst keine Separierung der Geschlechter notwendig sei. Wenn sich Mädchen für das Thema Design interessieren, dann funktioniere das in der modernen Berufswelt nicht mehr ohne IT-Kenntnisse.

Im Auftrag der Stiftung betreuten sechs MINT-Coaches von IW Medien in Altenkirchen permanent die Stationen und standen mit Rat und Tat zur Seite. Uwe Slosinski, der Projektleiter „Science-Truck“ sagte, MINT sei auch ein Weckruf, denn es gäbe ja Schüler, die sich für Naturwissenschaften und Mathematik zunächst einmal überhaupt nicht interessieren. Deshalb sei es immer wieder interessant zu sehen, wenn zum Beispiel ein Ethik-Kurs den Truck besuche, welche Symbiosen sich daraus zu MINT ergeben würden. Ein ganz simples Beispiel sei das Handy, das ohne MINT nicht funktioniere.

Damit die teilnehmenden Schülergruppen auch nach dem Besuch im Truck und den damit verbundenen Aha-Effekten langfristig profitieren, erhielt jeder einen Ikosaeder mit nach Hause. Dieser würfelähnliche Gegenstand aus 20 gleichseitigen Dreiecken enthält einen Code, mit dem die Schüler ihr persönliches Erlebnis nachträglich im Internet bei touch-tomorrow.de abrufen können. Auch die begleitenden Lehrkräfte erhielten im Nachgang eine anonymisierte Analyse.

Schulleiter Heiko Schnare zeigte sich beeindruckt von dem MINT-Konzept. Er wünsche sich ähnliche Konzepte auch schon für jüngere Schüler, denn für viele sei es ab der achten Klasse bereits sehr spät, um ihre eigenen MINT-Talente bewusst wahrzunehmen. Professor Ingeborg Henzler antwortete, diese Überlegungen würden derzeit ganz aktuell in der Stiftung behandelt.

Die Professorin selbst stammt aus Neuwied, von daher ist ihr die nächste Station des Trucks in ihrem Herkunftsort nach den Sommerferien eine besondere Herzensangelegenheit.

Der Truck ist, sofern es die Corona-Pandemie zulässt, an rund 220 Tagen im Jahr im Einsatz. Rund 25.000 Schüler pro Jahr haben das Privileg, das 105 Quadratmeter große Innere kennen zu lernen. Die Warteliste beträgt derzeit 1,5 Jahre. Solange ist der Truck ausgebucht. (Thomas Sonnenschein)






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