Im Siegerland geboren – jetzt an der Spitze des Williams-Formel-1-Teams
INTERVIEW | Eine immens erfolgreiche berufliche Karriere rund um Autos und Motorsport: Jost Capito, geboren in Neunkirchen (Siegerland) und einst gemeinsam mit seinem Vater Karl-Friedrich der erste deutsche Gewinner der legendären Rallye Paris-Dakar, ist heute Vorstandsvorsitzender und Teamchef des britischen Formel-1-Teams von Williams.
Region. Solch eine berufliche Laufbahn sucht mit diesen Stationen in führenden Positionen ihresgleichen: BMW, Porsche, der Schweizer Rennstall Sauber, Ford, Volkswagen (mit dem Gewinn mehrerer Rallye-Weltmeisterschaften), McLaren, Volkswagen R und nun Williams: Jost Capito, geboren in Neunkirchen (Siegerland), führt den britischen Formel-1-Traditionsrennstall seit dem 1. Februar als Vorstandsvorsitzender (CEO) und seit Juni in Personalunion als Teamchef.
Der 62-Jährige, der zu Beginn seiner aktiven Motorsportkarriere Enduro- und Motocrossrennen fuhr, war gemeinsam mit seinem Vater Karl-Friedrich (gestorben am 3. Januar 2002) schon vor über drei Jahrzehnten erstmals ins Scheinwerferlicht getreten: Das Duo gewann mit einem Unimog U 1300 L im Jahr 1985 die legendäre Wüstenrallye Paris-Dakar, die damals noch wirklich von der französischen in die senegalesische Hauptstadt führte, in der Lkw-Klasse. Capito/Capito waren die ersten Deutschen überhaupt auf dem obersten Podest des Siegertreppchens. Den Erfolg vor über 36 Jahren komplettierten Karl Wilhelm Ströhmann und Josts Bruder Volker, die den zweiten (serviceorientierten) Kraftprotz aus dem ehemaligen Werk in Gaggenau auf den dritten Rang steuerten. Nur noch einmal durfte Deutschland über Platz eins jubeln: Jutta Kleinschmidt (Köln/Monaco) war 2001 mit ihrem Mitsubishi im Gesamtklassement allen Mitbewerbern voraus -als bisher immer noch einzige Frau.
„Wüstenfüchse“ aus dem Siegerland
Anfang und Mitte der 1980er-Jahre hatte die von Thierry Sabine (gestorben bei einem Hubschrauberabsturz während der achten Auflage 1986) erfundene Konkurrenz die Familie Capito wahrlich in ihren Bann gezogen. Karl-Friedrich konnte sie 1981 auf seinem Motorrad wegen eines Unfalls des Servicewagens nicht beenden. Zwei Jahre später verhinderte eine Erkrankung die Teilnahme des Vaters. Ein kaputter Simmerring im Lenkgetriebe eines Unimogs bedeutete 1984 das vorzeitige Aus. 1986 gaben die Siegerländer schließlich auf, weil ihrer Ansicht nach die Sicherheit nach dem Tod Sabines nicht mehr gewährleistet gewesen sei. In einem Exklusiv-Interview mit dem AK-Kurier äußert sich Jost Capito im Rückblick auf den großen Triumph, wie er ihm für seine berufliche Karriere geholfen hat und wie es um die Situation im Williams-Formel-1-Team bestellt ist. Das Gespräch im Wortlaut:
Ein Berufsleben im Zeichen des Motorsports: Wie hat sich der Erfolg bei der Rallye Paris-Dakar auf Ihre berufliche Karriere ausgewirkt?
Das ist eine gute Frage: Ich glaube, er hatte einen großen Einfluss. Wenn man wie wir als Privatteam bei der Paris-Dakar unterwegs war, musste man eigentlich alle Aspekte des Motorsports selbst klären und erledigen. Ob als Mechaniker, Ingenieur, Fahrer, Beifahrer, Sponsorensucher, also Geldbeschaffer, oder Navigator - um alles mussten wir uns selbst kümmern, zumal wir nur mit vier Personen in zwei Lkws unterwegs waren. Wenn man alle diese Aspekte lernt, hat man gute Voraussetzungen - vor allem, wenn man in ein größeres Team kommt, sei es Porsche, Sauber, Formel 1 oder was auch immer. In diesen Teams gibt es dennoch für jede spezielle Aufgabe eine eigene Abteilung. Und wenn man diese alle versteht, tut man sich grundsätzlich wesentlich leichter.
Wenn Sie auf Anfang/Mitte der 1980er-Jahre zurückblicken: Wie stark lebt die Erinnerung an die Erfolge/die Pannen auf afrikanischem Boden fort?
Was ich aus dieser Zeit gelernt habe: Wenn in einem Auto ein kleines Problem auftritt, muss man es sofort lösen. Sonst wird ein viel größeres daraus. Das ist ungeheuer wichtig. Wenn sich irgendwo ein Problem ergibt, darf man nicht auf Selbstheilung hoffen, die sich dann natürlich nicht einstellt. Das ist ganz wichtig, was wir und ich damals aus den positiven und negativen Vorkommnissen bei der Paris-Dakar gelernt haben.
Werden Sie in Ihrem Team auf diese längst vergangene Zeit überhaupt noch angesprochen?
Das geschieht immer noch relativ oft, muss ich sagen. Die Rallye fasziniert noch immer viele Motorsportfans und auch diejenigen, die in der Formel 1 arbeiten, sind interessiert an der Paris-Dakar von damals, weil wir ganz ohne moderne Technik wie beispielsweise GPS drei Wochen unterwegs waren und meistens nur zwei Stunden am Tag geschlafen haben.
Haben Sie noch Kontakt zu den Menschen, die damals in vorderster Linie standen (Karl Wilhelm Ströhmann, Bruder Volker) und diejenigen, die im Hintergrund wirkten?
Ja, natürlich zu Karl Wilhelm Ströhmann und natürlich zu meinem Bruder und weiteren Menschen, die uns damals geholfen haben wie beispielsweise Gerhard Demmer, der zu dieser Zeit bei der Firma Reifenberg gearbeitet hat. Wenn man rund um eine Veranstaltung so wie wir eng und intensiv zusammengearbeitet hat, bindet das fürs Leben. Man muss auch wissen, woher man kommt.
Wie ist es um die Beziehung zu Ihrem Geburtsort überhaupt bestellt?
Meine Tochter wohnt nach wie vor in Neunkirchen mit meinen drei Enkelkindern. Dazu kommt natürlich noch die Verwandtschaft. Onkel und Tanten leben ebenfalls in Neunkirchen. Das heißt für mich, dass ich sie natürlich regelmäßig besuche.
Weilt der Sieger-Unimog noch irgendwo unter ausgestellten Fahrzeugen?
Das Fahrzeug wurde nach Japan verkauft und ist gecrasht worden. Es gibt eine Replika, die hin und wieder zu sehen ist. Auf einem Foto, das ich bekommen habe, wurde sie bei der Motorwelt in München gezeigt. Ich habe diesen Unimog vor einigen Jahren auf der Essener Motorshow selbst auch gesehen.
Der große damalige Gegner war DAF-Fahrer Theo de Rooy: Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Es gab schon Kontakte über ein paar Jahre hinweg, diese sind aber immer weniger geworden.
Was ist aus der Firma Reifenberg-Solarien geworden, für die die Rallye-Fahrzeuge Werbung unter anderem auf den Planen gemacht haben?
Die Firma ist vor vielen Jahren verkauft worden, als mein Vater ausgestiegen ist. Das ist schon eine Ewigkeit her. Es muss wohl vor dem Jahr 2000 passiert sein.
Verfolgen Sie heute noch die Paris-Dakar?
Ja, klar. Aber noch einmal an den Start gehen? Nein, daran habe ich absolut nicht gedacht. Ich war eben immer zu beschäftigt. Wenn es sich beruflich ergeben hätte, hätte ich es mir vielleicht einmal überlegt. Aber es hat sich nie ergeben.
Was ist für Sie persönlich der interessantere Motorsport - Rundstrecke oder Gelände mit Rallye-WM etc.?
Das ist schwer zu sagen. Ich würde keinen Unterschied machen, denn jeder Motorsport hat seine Reize. Beim Rundstreckensport kommt es darauf an, sehr präzise zu fahren, eine Runde wie die andere, und sich stetig zu verbessern. Im Rallyesport stellt sich die Situation ganz anders dar. Da hat der Fahrer einen Beifahrer, der ihm die Strecke ansagt, also mitteilt, wo es hingeht. Man muss mehr improvisieren. Es gibt unterschiedliche Untergründe, auf denen das Auto unterwegs ist und mit denen man zurechtkommen muss im Vergleich zur Rundstrecke, da immer auf Asphalt gefahren wird. Ich kann nicht sagen, dass die eine Variante attraktiver als die andere ist. Jede Motorsportart, ja jede Sportart, ist, wenn man zu den Besten zählen will, anstrengend. Sowohl Talent als auch harte Arbeit sind jeweils erforderlich.
Wie groß ist der Druck, der momentan auf Ihnen und dem gesamten Team in der Formel 1 lastet?
Der Druck ist nicht groß. Wir konnten das Auto vom vergangenen zu diesem Jahr nicht groß weiterentwickeln. Das neue Reglement, das greifen sollte, wurde wegen Covid um ein Jahr verschoben, und deswegen mussten wir die Weiterentwicklung einstellen, da die Teams wegen der Pandemie nicht gleichmäßig hätten arbeiten können. Da war es schon ein Riesenerfolg, in der zurückliegenden Saison 17 Rennen über die Bühne zu bringen. Deswegen haben wir für dieses Jahr auch nicht viel erwartet. Die erste Hälfte der 23 Rennen ist dennoch besser gelaufen, als wir sie uns überhaupt vorgestellt haben.
Wo liegen die Probleme des aktuellen FW43B?
Es ist wohl eine Kombination aus verschiedenen Komponenten, aber nicht wegen des Motors, denn wir erhalten den gleichen Motor, den auch Mercedes verwendet. Da Williams in den zurückliegenden Jahren in keiner guten finanziellen Situation war, wirkt sich das natürlich auch auf die Entwicklungsgeschwindigkeit aus. Das Auto ist weder vom Fahrwerk noch von der Aerodynamik her konkurrenzfähig. Es ist relativ schwer zu fahren, und deswegen ist es schwierig, im Rennen gute Ergebnisse zu erhalten. George Russell hat schon gezeigt, dass er im Qualifying gute Ergebnisse erreichen kann, wenn er alleine auf der Strecke unterwegs ist. Aber im Verkehr ist das Auto aufgrund der Aerodynamik schwierig zu fahren.
Gibt es eine Zielvorgabe, die am Ende der sehr langen Saison erreicht sein soll?
Nein, aber zunächst einmal hoffe ich, dass wir uns weiter stetig verbessern. Ganz klar: Ich wünsche mir natürlich weitere Punkte. Wir sind in der Konstrukteurswertung momentan Achter, aber der Abstand zum Siebtplatzierten Alfa Tauri ist so groß, dass wir wohl nicht zu diesem Team aufschließen können. Unser Ziel muss es jetzt sein, den achten Platz zu verteidigen. Das wird auch nicht einfach sein, denn unser Auto und das von Alfa Romeo sind in etwa gleich schnell. Eine Punktevergabe wie auf dem Hungaroring zu unseren Gunsten kann sich auch einmal andersherum ergeben.
Wie nutzen Sie und Ihr Team die dreiwöchige Pause bis zum nächsten Rennen in Spa-Francorchamps am 29. August?
In dieser Sommerpause gilt ab Montag, 9. August, ein Shutdown. Das Team darf am Auto nicht arbeiten. Alles, was mit Technik und Auto zu tun hat, muss pausieren. Die Autos wurden direkt nach dem Rennen auf dem Hungaroring schon für Spa vorbereitet, was zeitlich schon knapp war. Zwei Wochen ist die Firma bis auf die Personalabteilung beispielsweise geschlossen. Die Crew muss Urlaub machen. Sie darf keine E-Mails oder WhatsApps schreiben, da alles von der FIA überprüft werden kann. Weil unmittelbar nach Spa direkt Zandvoort und Monza mit nur wöchentlichem Abstand folgen, wird es hart. So eine Pause macht grundsätzlich Sinn, denn sonst hätten die Beschäftigten in der Formel 1 null Zeit, Urlaub zu machen, zumal rund um Weihnachten und Neujahr Hochkonjunktur rund um das neue Auto herrscht. Die Saison geht normalerweise von Mitte Februar bis Dezember, sodass es ohne diese Sommerpause unmöglich wäre, Ferien zu machen, da an Wochenenden auch gearbeitet werden muss. Jobs in der Formel 1 sind kein Honigschlecken. Aber viele wollen in der Formel 1, der höchsten Motorsportkategorie, arbeiten. Entweder man macht den Job ganz, oder man muss ihn bleiben lassen. Du bist mit 18 Jahren natürlich nicht sofort in der Formel 1, sondern musst zunächst Erfahrungen in anderen Motorsportkonkurrenzen sammeln, bevor man als Mechaniker in ein Formel-1-Team kommen kann.
Wie lange sind denn Mitarbeiter in vorderster Front tätig?
Es ist ein Job, den die meisten nicht ewig machen können und wollen. So steigen Mitarbeiter am Ende eines Jahres aus, die die Reisestrapazen nicht mehr wollen und die dann einen Job in der Firma in England erhalten. Das macht natürlich unheimlich Sinn. Wenn man in der Produktion oder in der Entwicklung Mitarbeiter hat, die wissen, was Rennen bedeuten, was abgeht und was wichtig ist, ist das eine gute Entwicklung. Das kommt natürlich auch auf die familiären Verhältnisse an. Wie viele Jahre Mitarbeiter im Durchschnitt mit um den Globus reisen, kann ich nicht beziffern. Mir liegt keine Statistik vor.
Ihre berufliche Laufbahn weist einige exklusive Adressen auf. Wie lange gedenken Sie, den Job in dieser Branche überhaupt noch zu machen?
Ich bleibe so lange, wie dieser Beruf mir Spaß macht. Im Rückblick bereue ich auch keine Station, denn alle waren gut. Einen Abschied verknüpfe ich mit keinem Alter. Um den Job zu machen, muss man fit sein, es körperlich können. Und natürlich bleibe ich, solange mich Williams will. (vh)
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