Werbung

Nachricht vom 19.09.2021    

Buchtipp: „G*tt w/m/d" von Veit Dinkelaker und Martin Peilstöcker

Von Helmi Tischler-Venter

Der Katalog im Auftrag der Frankfurter Bibelgesellschaft trägt als Titelbild genauso wie das Ausstellungsplakat die Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“, die die Vielfalt von Geschlechtlichkeit repräsentiert. Tom Neuwirth meinte, Conchita trage den Nachnamen Wurst, weil es eben wurst sei, woher man kommt und wie man aussieht. Vergleichbares formuliert die Bibel.

Buchtitel. Foto: Wolfgang Tischler

Dierdorf/Oppenheim. Galater 3,28 lautet: „Hier gilt nicht mehr Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht männlich und weiblich, sondern ihr seid alle eins.“ Die Erkenntnis der Geschlechter-Diversität ist nur scheinbar neu, in Wirklichkeit ist sie so alt wie die Menschheit. Ergo lautet der Untertitel: „Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten“. Ein Team von Experten analysiert aus verschiedenen Blickwinkeln die Geschichte der Vielfalt von Geschlechtlichkeit in Kunst, Religion und Kultur. Vermeintliche Klarheiten werden neu geprüft.

Seit 2017 gelten in der deutschen Gesetzgebung drei biologische Geschlechter: weiblich, männlich, divers. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die sowohl männlich als weiblich waren.

Unter der Überschrift „Gott, Göttin, Götter - Bibel und archäologischer Befund“ werden die Kleidung in der südlichen Levante in vorgeschichtlicher Zeit, Gender und Religiosität im Alten Israel, Pfeilerfigurinen in Judäa: nackte Frau oder Göttin, Gender-Polemik in der Bibel: Götzendienst als Hurerei!?, die Tempelsteuer und die Himmelskönigin - die Jüdinnen von Elephantine, Münzen als Bildträger und Genderforschung und Diversität in der biblischen Archäologie in den Blick genommen.

Bemerkenswert ist, dass in Galiläa geschlechtsspezifische Muster bei Kleidungsstücken während der lokalen Frühgeschichte nicht existieren, nur sekundäre Geschlechtsmerkmale bestimmen das Geschlecht des Trägers. Die hebräische Bibel erwähnt mehrere Göttinnen, die zum Teil kultisch verehrt wurden: Aschera, Anat, Astarte und die Himmelskönigin. Im Buch der Sprüche verschmelzen in JHWH Gott und Göttin zur Gott-Göttin in einem. Die biblische Archäologie brachte eine Reihe von Mischwesen zutage, zum Beispiel eine „Bärtige Göttin“, die Windbladh 2012 zu den Worten veranlassten: „Der moderne Mensch hat viel von der Vorgeschichte zu lernen, als die Menschen keine Probleme hatten Grenzen zu überschreiten und vielleicht weniger voreingenommen waren. Ihre Abhängigkeit und Verehrung von der sie umgebenden Natur ließ sie im Einklang mit der Natur leben und arbeiten. Im prähistorischen Mittelmeerraum könnten die vielen bisexuellen Figuren vielleicht darauf hindeuten, dass die Wahrnehmung von Androgynen sich von heute unterschied. In der modernen Gesellschaft werden queere Persönlichkeiten mit Verachtung und Argwohn betrachtet. In der Antike scheint es, dass sie als Halbgötter mit Ehrfurcht betrachtet wurden.“

Unter der Kapitelüberschrift „G*ttes Ebenbild, männlich und weiblich“ wird die Frage gestellt, ob G*tt entsprechend seinem Ebenbild männlich und weiblich ist. Laut Bibel (Buch Mose/Deuteronomium) zeugt und gebiert G*tt: „Den Fels, der dich gezeugt hat, hast du außer Acht gelassen und hast vergessen den Gott, der dich geboren hat.“ Im hebräischen Buch Hosea steht: „Denn Gott bin ich und nicht ein Mann.“ G*tt ist als (männlicher) JHWH auch (weibliche) Anat und Astarte?! „Der biblische Gedanke, dass G*tt sich im Menschen wiedererkennt, „männlich und weiblich“ (1. Buch Mose/Genesis 1,27) öffnet die Perspektive für ein Spektrum, das neu zu entdecken ist, obwohl es schon immer da war.“, schlussfolgert Veit Dinkelaker. Das Buch Mose sieht den von JHWH-G*tt aus „Lehm“ geschaffene Körper des Menschen doppelgeschlechtlich, bis Eva geschaffen ist - erst dann stehen sich Mann und Frau gegenüber: Doppelgeschlechtlichkeit als vollkommener Urzustand und Bestimmung ist G*ttebenbildlichkeit. In diesem Sinne formuliert auch der Koran: „Und Er ist es, der euch aus einer einzigen Selle erschaffen hat und der aus ihr ihren Partner/zweiten Teil erschaffen hat, damit er bei diesem Ruhe finde/wohne.“ (Sure 7,189)



In der christlichen Alchemie des Mittelalters und frühen Neuzeit steht der mann-weibliche Hermaphrodit für die stoffliche Vollkommenheit und der androgyne Adam ist somit Sinnbild für das Ziel der Alchemie schlechthin. Im Judentum gibt es laut Joshua Ahrens bis zu sechs Geschlechter, die Bibel verbietet die Diskriminierung aufgrund eines uneindeutigen Geschlechts. Mira Sievers bezeichnet die koranische Barmherzigkeit als stark weiblich assoziiert. Im islamischen Kontext werde ein drittes Geschlecht akzeptiert.

Seit Januar 2019 ist das dritte Geschlecht „Divers“ in allen deutschen Gesetzestexten festgeschrieben. Im Verlauf der Geschichte hatten Intersexuelle mit Diskriminierungen umzugehen, den Höhepunkt bildete das Dritte Reich mit grausamen Experimenten an Zwittern.

„Nicht männlich, nicht weiblich, sondern eins“ lautet die Überschrift des dritten Kapitels, das die Vielfalt der Geschlechter im Neuen Testament und frühen Christentum untersucht. Eunuchen, ein androgyner Christus und die Rolle der ersten Christinnen werden betrachtet. Der museale Kosmos der Skulptur von Conchita Wurst aus Holz, die der Volkskultur entliehen ist und Hybridisierung aller Heiligenfiguren darstellt, verdeutlicht, dass das Museum Europäischer Kulturen in Berlin Haltung für eine vielfältige Gesellschaft bezieht. Die Biologie, die die binäre Ordnung der Geschlechter als „naturgegeben“ attestieren soll, zeigt, wie erstaunlich variabel und multipel Erscheinungsformen von Individuen sind. Intersexualität trifft auf anatomischer Ebene auf 1 von 2.000 Geburten zu. Unter Einbeziehung chromosomaler Besonderheiten sind das in Deutschland mindestens 160.000 Menschen. Gerhard Schreiber konstatiert: „Geschlechtervielfalt ist Ausdruck der Vielgestaltigkeit der Natur, die Gott geschaffen hat.“ Texte zu gleichgeschlechtlichen Aktivitäten finden sich in der Bibel, sodass Menschen für sich entscheiden: „Ich werd jetzt nicht Mann oder Frau, ich werd Christ!“

Erschienen ist der mit 225 Abbildungen und 10 Karten versehene 208-seitige Katalog zur Ausstellung im Bibelhaus Erlebnismuseum Frankfurt im Nünnerich-Asmus Verlag, ISBN 978-3-96176-138-8. (htv)


Mehr dazu:   Buchtipps  

Jetzt Fan der NR-Kurier.de Lokalausgabe Dierdorf auf Facebook werden!


Anmeldung zum AK-Kurier Newsletter


Mit unserem kostenlosen Newsletter erhalten Sie täglich einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus dem Kreis Altenkirchen.

» zur Anmeldung



Aktuelle Artikel aus Kultur


Himmlische Weihnacht in Altenkirchen: Late-Night-Shopping mit Musik und Kulinarik

Altenkirchen. Am Donnerstag, dem 5. und Freitag, den 6. Dezember 2024, lädt der Aktionskreis Altenkirchen ab 16 Uhr zur "Himmlischen ...

Abwechslungsreiches Abschiedskonzert für Dirigent Michael Weib

Daaden. Das Konzert im Advent ist zugleich das Abschiedskonzert von Dirigent Michael Weib, der nach acht erfolgreichen Jahren ...

Mitsingkonzert für Jung und Alt am Vorabend zu Nikolaus im Kulturwerk

Wissen. Der Abend verspricht nicht nur festliche Musik, sondern auch ein gemeinsames Singen der schönsten Advents- und Weihnachtslieder ...

Buchtipp: "Von Aschenputtel bis Zwerg Nase - Märchen in politischen Karikaturen" von Horst Haitzinger

Dierdorf/Oppenheim. Der 1939 geborene Österreicher Horst Haitzinger denkt nach eigenem Bekunden in Bildern und der übliche ...

BAP in Koblenz – ein Konzert, nicht nur für Fans des Kölschrocks

Koblenz. BAP endlich wieder in Koblenz, kein Wunder, dass innerhalb kürzester Zeit alle zur Verfügung stehenden Tickets verkauft ...

Band und Orchester zelebrieren 45 Jahre "The Wall"

Wissen. Das Konzeptalbum thematisiert universelle Themen wie Entfremdung, Isolation und den Kampf mit inneren Dämonen. Die ...

Weitere Artikel


Kircheiber Kirche à la Christo und Jeanne-Claude verhüllt

Kircheib. Sie ist für Autofahrer, die auf der B 8 von Hennef in Richtung Altenkirchen unterwegs sind, mehr oder minder gut ...

Erste Hilfe am Hund: Kurs der Kreisvolkshochschule Altenkirchen

Altenkirchen. Dementsprechend ist eine angemessene tierärztliche Versorgung des Hundes durch dessen Halter zu gewährleisten. ...

Wissener Kolpingsfamilie traf sich zur Mitgliederversammlung

Wissen. Im Jahre 1889 wurde die Kolpingsfamilie Wissen gegründet und nur zu Kriegszeiten war das Vereinsleben so zum Erliegen ...

Verkehrsunfall in Schürdt: Rollerfahrer verletzte sich schwer

Schürdt. Der Rollerfahrer stürzte auf die Fahrbahn. Ersthelfer, hierunter eine Krankenschwester sowie eine Ärztin, eilten ...

Wohnungsbrand in Oberlahr: Mehrere Löschzüge waren im Einsatz

Oberlahr. Die Leitstelle Montabaur alarmierte die Feuerwehren Oberlahr und Flammersfeld über Sirene und die Funkmeldeempfänger. ...

„Wir Westerwälder“ auf der Konekt Netzwerkmesse in Koblenz

Dierdorf. „Für uns ist es sehr wichtig, dass wir unsere leistungsstarke und sympathische Region über ihre Grenzen hinaus ...

Werbung