Altenkirchen: Addition von Urnen- und Briefwahl relativiert AfD-Resultat
Es wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird: Der flüchtige Blick auf die offenbar hohen Resultate der AfD in der Stadt Altenkirchen bei der Bundestagswahl sorgte zunächst vielerorts für Entsetzen. Die Ergebnisse von weit über 20 Prozent bei Erst- und Zweitstimmen waren jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Altenkirchen. So mancher an Politik interessierte Mensch reibt sich verdutzt und womöglich auch in Sorge die Augen beim Blick auf das offizielle Abschneiden der AfD in der Stadt Altenkirchen bei der Bundestagswahl. Auf der Internetseite des Landeswahleiters werden 23,6 bei den Erst- und 23,2 Prozent bei den Zweitstimmen ausgewiesen. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn diese Werte bilden lediglich die Ergebnisse ab, die sich aus dem Urnengang in den vier Stimmbezirken errechneten. Die Auswertungen der Stimmzettel, die in Briefen die Verbandsgemeindeverwaltung Altenkirchen-Flammersfeld erreichten, relativieren den Wahlausgang. Bei den Erststimmen bleiben 14,8, bei den Zweistimmen 15,0 Prozent übrig. Dennoch: Die Stadt pendelt sich klar über dem Abschneiden der AfD auf Landes- (Erst: 8,8/Zweit: 9,2 Prozent), auf Wahlkreis- (9,4/9,7) und VG-Ebene (10,0/10,3) ein. Diese Zahlen liegen auf einer Wellenlänge mit denen aus den anderen rheinland-pfälzischen Wahlkreisen - mit regional unterschiedlich bemessenen Veränderungen nach oben oder nach unten.
Zwei interessante Resultate
Zwei Ortsgemeinden in der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld fallen aufgrund hoher Urnenstimmenwerten für die AfD auf: In Orfgen liegt sie bei den Zweitstimmen mit 20,6 vor der CDU und der SPD, die es auf jeweils 19 Prozent bringen. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Hemmelzen (Zweitstimmen): AfD 25,4, CDU 19,7 und SPD 18,3 Prozent. Zur Sicherheit: Briefwahlstimmen werden aufgrund Vorgaben aus der Bundeswahlordnung in kleinen Gemeinden ohne eigenen Briefwahlvorstand nicht örtlich eingerechnet, sondern nur dem großen Ganzen einverlaibt. Beim Rückblick auf die Bundestagswahl 2017 mit deutlich weniger Briefwählern trifft für Altenkirchen ein ähnlicher Effekt wie vor wenigen Tagen zu. Über die Stimmzettel, auf denen die Kreuzchen für die AfD gemacht und in die Urnen geworfen wurden, setzt sich laut „www.wahlen.rlp.de“ dieses Bild zusammen: 325 (16,9 Prozent) Erst- und 367 (18,9 Prozent) Zweitstimmen. Die Briefwähler korrigieren es zum Gesamtergebnis nach unten: 385 (13,5 Prozent) bei den Erst- und 438 (15,3 Prozent) bei den Zweitstimmen. Die Wahlbeteiligungen liegen bei 66,4 (2021) und 64,5 Prozent (2017)
„Stimmenanteil hat mich erschreckt“
Altenkirchens Stadtbürgermeister Matthias Gibhardt zeigt sich beinahe fassungslos ob der Bilanz: „Der hohe Stimmenanteil der AfD hat mich erschreckt, einer Partei, der nachgewiesenes und gerichtlich festgestelltes rechtsextremes Gedankengut zugerechnet wird. Wie wir als Stadt damit umgehen, darüber kann man viel spekulieren.“ Für ihn kommen zwei Faktoren für die Werte in Betracht: Spätaussiedler neigten zu dieser Partei. In Kommunen mit gleicher Struktur wie in Altenkirchen habe es ähnliche Ergebnisse gegeben. „Diese Menschen fühlen sich abgehängt. Wir können mit unserem Engagement auf Menschen zugehen, damit sie sich in unserer Stadt weiterhin wohlfühlen“, versucht Gibhardt, sich einer Aufarbeitung zu nähern. Als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld stellt Fred Jüngerich vorneweg einmal klar. „Das Ergebnis der Altenkirchener Urnenwahl verzerrt das Gesamtergebnis, weil die Auswertung der Briefwahlergebnisse auf VG-Ebene und herunter gebrochen auf die Stadt doch einiges relativiert. Die Urnenwahl ist nicht repräsentativ.“ Ansonsten könne er sich gut vorstellen, dass viele Wählerinnen und Wähler ein Stück weit politikverdrossen seien und „dann einen Weg einschlagen, der der falsche ist, nämlich weg von demokratischen Grundwerten und hin zu extremen Ansätzen, die für unser Land nicht gut sind“.
Kritik an Bundeswahlordnung
Letztendlich verhindern restriktive Vorgaben der Bundeswahlordnung, die wirklichen Resultate einer jeden Ortsgemeinde zu errechnen und auch abzubilden. „Unsere Ortsgemeinden legen beispielsweise Wert darauf zu wissen, wie die bundes- und landespolitische Gesinnung im Dorf ist. Diese Wertvorstellung wird nun durch das Verbot, bei der Bundestagswahl die Briefwahlstimmen in das Ergebnis der Urnenwahl beim gemeindlichen Wahlvorstand einpflegen zu dürfen und bei gleichzeitiger Zunahme des Briefwahlanteils untergraben“, kritisiert Jüngerich. Die Ergebnisse des Urnenwahlgangs hätten daher so manchen Ortsbürgermeister sehr überrascht. „Betrachte ich das gesamte Ergebnis in unserer Verbandsgemeinde, so relativiert sich manches wieder, insbesondere der zum Teil sehr hohe Anteil an AfD-Stimmen in den einzelnen Ortsgemeinden und der Stadt AK bei der Urnenwahl“, bekräftigt er, „das Gesamtergebnis der Urnen- und Briefwahl in der Verbandsgemeinde weist einen AfD-Anteil von rund 10 Prozent aus.“
50er-Regelung nur bei Bundestagswahl
Verstärkt werde der beschriebene Effekt, so Jüngerich, noch durch die sogenannte 50er-Regelung laut Bundeswahlordnung, „die besagt, dass wenn weniger als 50 Wähler ihre Stimme beim Urnenwahlgang abgegeben haben, sodann die Wahlurne von dem abgebenden Wahlvorstand einem aufnehmenden Wahlvorstand im Nachbarort zu übergeben ist und die Stimmzettel des abgebenden Wahlvorstands in die Wahlurne des aufnehmenden Wahlvorstands einzupflegen sind. Dies verzerrt die Frage ,Wie hat unser Dorf denn gewählt?‘ nochmals“. Das Groteske sei, dass beide Regelungen bei der Kommunal- und der Landtagswahl keine Anwendung fänden. „Diese Situation monieren unsere Ortsbürgermeisterinnen und Ortsbürgermeister zurecht“, fährt Jüngerich fort und hat bereits die Initiative für ein Gegensteuern ergriffen: „Ich habe mich als Vorsitzender der Gemeinde- und Städtebund-Kreisgruppe mit der Führung dieses Zusammenschlusses in Verbindung gesetzt. Unser Dachverband wird diese Frage nicht ruhen lassen. Ob dies aber je zu einer Änderung der Bundeswahlordnung, wieder vergleichbar mit dem Kommunal- und Landeswahlrecht, führen wird, ist ungewiss. Andere Bundesländer kennen diese Problematik wegen anderer Kommunalstrukturen so nicht.“ (vh)
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