„Altenkirchener Modell“ greift nicht bei Vorberatung des städtischen Haushalts
Das schon oft beschworene und vielfach erprobte „Altenkirchener Modell“, die beinahe schon unheimliche Einigkeit in den politischen Gremien der Stadt und der Verbandsgemeinde, droht einmal nicht zu greifen. Die Diskussion um den vorgeschlagenen städtischen Doppelhaushalt für die Jahre 2022 und 2023 hat durchaus tiefe Gräben unter den Fraktionen aufgeworfen.
Altenkirchen. Friede, Freude, Eierkuchen: Das ist seit vielen Jahren die Marschrichtung der politischen Gremien in der Stadt und der Alt- Verbandsgemeinde Altenkirchen (und auch in der mit der Alt-Verbandsgemeinde Flammersfeld fusionierten), wenn in öffentlichen Sitzungen Beschlüsse gefasst werden. Selten gibt es Enthaltungen, noch seltener Gegenstimmen. Was zuvor hinter den (nicht-öffentlichen) Kulissen gelaufen ist, bleibt meistens unter den Teilnehmern. Disharmonie größeren Ausmaßes förderte die Zusammenkunft des Hauptausschusses der Stadt am späten Dienstagnachmittag (23. November) zutage. Die vorberatende Zustimmung zum Doppelhaushalt der Jahre 2022/2023 gebar, vor allem zur großen Überraschung von Stadtbürgermeister Matthias Gibhardt, erhebliche Meinungsverschiedenheiten, die sich auch im Abstimmungsergebnis niederschlagen. Vier Ja- und drei Neinstimmen bei drei Enthaltungen fanden Aufnahme ins Protokoll. Dennoch wird Gibhardt, so seine Worte, den Etat in genau dieser Ausarbeitung in den Stadtrat einbringen, in dem das Zahlenwerk am Mittwoch, 15. Dezember, final beraten und verabschiedet werden soll. So bleibt noch Zeit genug, die Abweichler mit dem ein oder anderen Zugeständnis wieder auf Linie zu bringen und somit die Grundlage für eine deutliche Zustimmung beim Votum zu schaffen. Im Falle einer Ablehnung tritt eine vorläufige Haushaltsführung in Kraft, deren Ausgaben gedeckelt werden (begonnene und laufende dürfen fortgesetzt werden, neue nicht erfolgen), und die bis zur Verabschiedung eines neuen Haushalts in Kraft bleibt.
Überrascht und enttäuscht zugleich
Zu den Kompromissen, die in den Vorberatungen laut Gibhardt die Fraktionen eingegangen waren, zählten die Steigerungen der Steuerhebesätze, die nicht im kommenden, sondern erst im Jahr 2023 greifen sollen. Während die Grundsteuer A mit 330 v.H. unangetastet bleiben soll, könnten die Grundsteuer B von 430 auf 450 und die Gewerbesteuer von 420 auf 450 v.H. klettern. In Zahlen: Ein Plus von zehn Prozentpunkten bei der Gewerbesteuer würde der Stadt eine Mehreinnahme von 100.000 Euro (also 300.000 Euro insgesamt) verschaffen, zehn Prozentpunkte bei der Grundsteuer B brächten 30.000 Euro (also 60.000 Euro) zusätzlich. „Wir haben im August mit den Planungen begonnen. Was von den Fraktionen gewünscht wurde, wie die Verschiebung der Steuererhöhung auf 2023, ist eingeflossen. Es wundert mich, dass jetzt so deutlich negative Signale kommen“, zeigte sich Gibhardt ob des relativ breiten Widerstandes überrascht und enttäuscht zugleich. Den letzten Anstieg bei den Steuerhebesätzen habe es 2017 gegeben. Natürlich belaste diese Erhöhung die Menschen, dennoch liege ihm und dem Rat eine sozial gerechte Stadt am Herzen. Das zusätzliche Geld solle in erster Linie dazu dienen, freiwillige Leistungen im sozialen Umfeld, wie zum Beispiel Zuschüsse ans Kinder- und Jugendzentrum Kompa, zahlen zu können.
„Wir befeuern Preissteigerungen“
„Brauchen wir die Steuererhöhungen, die wir eingeplant haben?“, merkte Thomas Roos (FDP) an und stellte sie in den Kontext der allgemeinen Inflation wie bei Lebensmitteln, Energie oder Kraftstoffen. „Wir befeuern die Preissteigerungen für jedermann. Alles wird unglaublich teuer. Kleinvieh macht auch Mist“, fügte er an und spannte den Bogen zu den Investitionskrediten: „Wenn wir nicht erhöhen, werden wir auch weiter tilgen.“ Ralf Lindenpütz (CDU) erklärte, ein Mehr bei der Gewerbesteuer schrecke Ansiedelungen von Betrieben ab, nur mit dem niedrigen Satz „können wir Industrie und Gewerbe ermutigen, hier zu investieren“. In umliegenden Gemeinden liege der Gewerbesteuersatz deutlich niedriger. In Sachen Grundsteuer B erinnerte er an die bevorstehende, gerichtlich erzwungene Änderung der Berechnungsgrundlage, mit der es zu einer Nivellierung zwischen Alt- und Neubauten komme. „Wenn wir die Grundsteuer B nicht erhöhen, wird es die Stadt aushalten. Dann ist aber alles auf Kante genäht“, ergänzte er.
Weiteren Beratungsbedarf gefordert
„Wir haben noch keine Meinung und brauchen in der Fraktion weiteren Beratungsbedarf“, sagte Jürgen Kugelmeier (FWG). Nirgendwo in rheinland-pfälzischen Landkreisen gebe es höhere Hebesätze als hier im Kreis. Auch er stellte die Belastung durch die Verteuerungen von Strom und Gas sowie von vielen anderen Dingen „für gewisse Haushalte“ heraus. Für Daniela Hillmer-Spahr (SPD) „leben in Altenkirchen genug Leute, die die Differenz bei der Gewerbesteuer zahlen können“. Grundsätzlich müsse die Infrastruktur, „die wir vorhalten, gegengerechnet werden“. Geld aus den Steuererhöhungen sei Geld obendrauf für Unterstützung und für soziale Teilhabe, „freiwillige Leistungen waren uns mal eine ganze Menge wert.“
„Eine Unverschämtheit“
Eine Anmerkung der Kommunalaufsicht (Kreisverwaltung), die Stadt solle ihr Investitionskreditvolumen im Blick behalten, erzürnte Hillmer-Spahr und Walter Wentzien (FWG) gleichermaßen. „Ich glaube, wir haben ein passables Maß gefunden, schaffen etwas Neues und investieren in die Zukunft. Andere Kommunen haben noch Liquiditätskredite und sehen gar kein Ufer“, erwähnte Hillmer-Spahr. „Eine Unverschämtheit“ nannte Wentzien den Hinweis aus dem Kreishaus: „Wir haben 40 Jahre absolut vorbildlich gewirtschaftet.“ Grundsätzlich solle Einsparpotenzial stärker berücksichtigt werden. „Für Investitionen sollten wir nicht die Steuern erhöhen, sondern sie über Kredite finanzieren“, sagte er.
Konservativ geplanter Etat
Roos als auch Lindenpütz sprachen von einem „konservativ geplanten Haushalt“, den Kämmerin Annette Stinner vorgestellt hatte. In beiden Jahren wird auf eine Kreditaufnahme verzichtet, die Tilgung bestehender Darlehen wird mit rund 480.000 Euro pro Jahr fortgesetzt. Die Verbindlichkeiten sinken laut Finanzplan für die nächsten vier Jahre von 4,756 Millionen Euro (Stand 31. Dezember 2021) auf 2,882 Millionen Euro (31. Dezember 2025). Aus Gewerbesteuereinnahmen erwartet die Stadt 4,5 Millionen Euro (2022) und 4,8 Millionen Euro (2023). Die Sätze für die Hundesteuer und die Straßenreinigung bleiben unverändert. Die liquiden Mittel verringern sich von 1,586 Millionen Euro (31. Dezember 2021) auf 143.000 Euro (31. Dezember 2025). 8,731 Millionen Euro (2022) und geschätzte 8,049 Millionen Euro (2023) zahlt die Stadt als Umlagen an Verbandsgemeinde und Kreis, wobei die Berechnungssätze für 2023 erhöht angesetzt wurden (Kreis von 44,5 auf 45,0 und VG von 44,5 auf 46 Prozent), ohne dass es bereits Beschlüsse gibt. Investiert wird vor allem in den Ausbau von Stadtstraßen („Auf dem Steinchen“), der rund 3,6 Millionen Euro kostet, in Spielplätze und in den Ausbau des Dammweges mit Buswendeplatz (Fachmarktzentrum). Der Ausbau der Kölner Straße wird wohl erst nach dem Jahr 2023 in drei Abschnitten über die Bühne gehen, wobei die Stadt nur für die Nebenanlagen verantwortlich ist, da es sich um eine Bundesstraße handelt. (vh)
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