Demo gegen Lohndumping und Auslagerung bei SSI Schäfer
Es ist ein bitterkalter Westerwälder Wind, der dem Unternehmen SSI Schäfer-Shop entgegen weht. Gegen Lohndrückerei und weiteren Arbeitsplatzabbau gingen rund 600 Menschen am Sonntag auf die Straße und trafen sich in der Innenstadt von Betzdorf, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Prominente Unterstützung erhielten sie von Wirtschaftsminister Hendrik Hering, der solchen Machenschaften eine klare Absage erteilte und auf positive Gepräche in der Firmenzentrale hofft.
Betzdorf. "Schäfer schlachtet seine Herde - und seine Lämmchen!" stand auf den Transparenten zu lesen, die zur Demonstration in Betzdorf gefertigt worden waren. Und es ging hart zur Sache in der Innenstadt. Die Beschäftigten von SSI Schäfer-Shop und die Gewerkschaft Ver.di hatten zu Demo gegen Lohndumping und die Verschiebung von Mitarbeitern in eine neue Gesellschaft ohne Tarifbindung und Kündigungsschutz aufgerufen. Einer der reichsten Familien dieser Republik (im Ranking der Reichsten zwischen Platz 150 und 160) weht ein eiskalter Wind ins Gesicht, ohne Zweifel. Die Transparente ließen daran keinen Zweifel aufkommen, dass man in der Belegschaft an das Gewissen der Unternehmerfamilie appelliert und auch zur härteren Gangart bereit ist.
Der eiskalte Ostwind ließ die Demonstranten nicht zu Hause bleiben, viele ehemalige Schäfer-Mitarbeiter, die in der Kündigungswelle 1 und 2 ihren Arbeitsplatz in Betzdorf und Hachenburg verloren hatten, kamen zur Demo, um ihre Solidarität zu zeigen. Aus Altenkirchen, Hachenburg, Wissen und der gesamten Region waren Menschen nach Betzdorf gekommen, rund 600 Demonstranten zeigten Solidarität mit den betroffenen Schäfer-Shop Mitarbeitern. Nicht wie angekündigt am Rathaus, sondern am Rampenwendel in der Fußgängerzone fand die Veranstaltung statt. Sie bekam prominente Unterstützung von Wirtschaftsminister Hendrik Hering. Sein Appell galt den mittelständischen Unternehmen mit Wurzeln in der Region. Statt fetter Gewinne in den Bilanzen sollten sie die Mitarbeiter und ihre Familien in den Mittelpunkt rücken und die Unternehmen sollten ihre Verantwortung wahrnehmen. Hering, so schien es, war stinksauer ob der Machenschaften im nördlichen Teil des Landes. Wolf Garten, SSI Schäfer und Kautex Wissen (soll geschlossen werden), sie alle oder ihre Mutterkonzerne hätten Millionen gefordert und erhalten, jetzt gebe es gute Gewinne und man gehe ins Ausland, kritisierte Hering. Zu den aktuellen Tarifverhandlungen Ver.di und Schäfer-Shop wollte sich Hering nicht äußern, aber er versprach, dass die Landesregierung sich in die aktuell signalisierte Gesprächsbereitschaft der Familie Schäfer einbringen werde.
Betriebsratsvorsitzender Rainer Stockschläder und Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Maria Rinke freuten sich über die rege Teilnahme am ersten Familientag der Schäfer-Shop Belegschaft, der deutlich machen sollte, dass die ganze Region und vor allem die Familien unter den beabsichtigten Plänen einer Verschiebung von Arbeitsplätzen und den Lohnkürzungen leiden wird. "Es ist nicht die letzte Maßnahme, unsere Belegschaft kämpft weiter, auch wenn es einen Gesprächstermin im Stammsitz des Unternehmens gibt", sagte Stockschläder. Die Gewerkschaft bekämpft die Lohndrückerei ohne Not, und verfolgte dies ebenfalls beim Schlecker-Konzern.
Was eine Verschiebung in die neue Gesellschaft am Standort Burbach bedeutet, machte eine Einzelschicksal nur allzu deutlich. Michael, seit Jahren bei Schäfer-Shop, wird zwischen 350 und 400 Euro pro Monat weniger verdienen und bislang garantierte Zulagen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld fallen dann in der neuen Dienstleistungsgesellschaft weg. "Das noch nicht abbezahlte Einfamilienhaus in Betzdorf wird nicht mehr finanzierbar sein, auch wenn meine Frau noch mitarbeitet", sagte Michael. Bernd, Fahrer bei Schäfer-Shop, schilderte seinen Arbeitstag, der häufig genug 12 Stunden überschreitet. Aber laut Enkeltöchtern ist er der beste Opa der Welt.
Solche Sätze treiben Betzdorfs Bürgermeister Bernd Brato die Zornesröte ins Gesicht. "Eine Lebensplanung ohne gerechten Lohn ist unmöglich, Volkswirtschaft funktioniert auch hier vor Ort, nicht nur in China", schimpfte Brato. Was derzeit in Betzdorf passiere, sei dramatisch. Brato erinnerte an das Wolf-Desaster und die Negativ-Entwicklung beim SSI Schäfer-Konzern. Im Jahr 2008 hatte das Unternehmen 1400 Beschäftigte, im Jahr 2010 nur noch 787 Mitarbeiter in der Region. "Diese Machenschaften der Lohndrückerei und der Auslagerungen gehören in die Mottenkiste", sagte Brato. "Ich weiß, was es für die Menschen hier bedeutet, ich habe als Kind die Schäfer-Werke wachsen sehen, ich hoffe auf gute Gespräche und dass das Geplante nicht eintritt", führte Brato sichtlich bewegt aus. Er wies darauf hin, dass ihm als Bürgermeister da wenig Spielraum bleibe, um in die Geschehnisse eingreifen zu können.
Die stellvertretende Ver.di-Landesvorsitzende Andrea Hess forderte in Betzdorf den Kampf gegen willkürliche Lohndrückerei. "Betroffenheit allein reicht nicht aus, es wird uns nicht weiterbringen, jetzt muss auch die Politik quer durch alle Parteien Rückgrat zeigen", forderte Hess. Sie wünscht, dass die Schlupflöcher für die Unternehmen, die solche Machenschaften durchführen, unverzüglich geschlossen werden und appellierte an die Unternehmen, ihre regionale Verantwortung wahrzunehmen. "Die Gewerkschaft Ver.di wird sie bei ihrem Kampf gegen Lohndumping und Auslagerungen unterstützen", versprach die stellvertretende Landesvorsitzende.
Ihre Solidarität mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen zeigten die SSI-Schäfer Mitarbeiter aus dem gewerblichen Bereich. Rund 70 Frauen hatten in den heimischen Küchen Kuchen und Gebäck, heißen Kaffee und Kakao zubereitet, der gegen eine freiwillige Spende für jeden Teilnehmer zu genießen war. An der Demo in Betzdorf nahmen auch der rheinland-pfälzische CDU-Generalsekretär und Kreisvorsitzende Dr. Josef Rosenbauer, sowie eine Abordnung der Grünen/Bündnis 90 teil. Der DGB und die IG Metall zeigten Unterstützung und forderten schnellstens ein Umdenken, sowohl bei den Unternehmern, aber auch bei der Politik, die letztlich die Rahmenbedingungen für solche Machenschaften geschaffen habe.
"Denen ist doch völlig egal, was aus uns wird, Hauptsache es klingelt in der Familienkasse und die Geschäftsführer können sich eine dicke Provision aufs Auslandskonto schieben", war auf der Straße zu hören. "Die sind doch erst so reich durch unserer Hände Arbeit nach dem Krieg geworden, wo bleibt da die Verantwortung für die Folgegeneration, für unsere Kinder und Enkel, gelten Moral und Verantwortung in diesem Land nichts mehr"?, war in einer Diskussion mit älteren, vermutlich ehemaligen Schäfer-Mitarbeitern zu hören. (hw)
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