Das "Gesicht" der Obdachlosigkeit gibt es auch in Mittelzentren wie Wissen
Von Katharina Behner
Es gibt viele Gründe, warum Menschen durch soziale Sicherungssysteme fallen und obdachlos werden. Dies ist nicht allein ein Problem von Großstädten. Auch Wissen kämpft mit der sozialen Herausforderung, nicht zuletzt durch den Standort der psychiatrischen Fachklinik. Stadt und Klinik hoffen auf zukünftige Unterstützung.
Wissen. Vielfältige Gründe führen dazu, dass Menschen obdachlos werden. Einer davon ist, dass Menschen mit massiven psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben und deswegen einfach nicht in der Lage sind, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder nehmen zu wollen - insoweit vorhanden. Mit dem Standort der psychiatrischen Fachklinik im St. Antonius-Krankenhaus steigt genau die Zahl derer in Wissen, die in diesem Bereich ein Problem haben und leider immer wieder durchs Raster fallen und die während der Behandlung teils obdachlos werden. Sei es, weil etwa die Anschlussversorgung fehlt oder die Wohnung schlicht gekündigt wurde.
Wissens Bürgermeister Berno Neuhoff und Mike Dörnbach, Haus- und Pflegedirektor des St. Antonius-Krankenhauses haben längst die Problematik hinsichtlich der psychiatrischen Fachklinik erkannt. In einem gemeinsamen Gespräch mit Marco De Nichilo, Leiter des Fachbereiches für Soziales, Katrin Wolf vom Ordnungsamt und Christa Schneider vom Medizinischen Controlling der Fachklinik erläuterten sie die Herausforderungen in diesem Zusammenhang.
Allein im Jahr 2021 gab es in Wissen insgesamt 85 potentielle Fälle von Obdachlosigkeit. Mal seien es kurzeitig Heimatlose, mal Menschen die immer wieder oder auch dauerhaft aus den verschiedensten Gründen obdachlos werden. Dabei gehe es zwar um Einzelfälle, die dennoch auffallen und Wissen ein Gesicht mit Obdachlosen gibt.
Gute Zusammenarbeit über kurze Wege
Das Gute dabei ist, dass hier gemeinsam über kurze Wege an der Sache gearbeitet werde. Es seien die kurzen Wege zwischen Klinik, dem Rathaus und dem Ordnungsamt, die schon im Vorfeld manches Problem lösten. Dafür ist Neuhoff sehr dankbar, was er mehrmals im Gespräch wiederholte.
Doch es entständen finanzielle Herausforderungen, mit denen kleine Kommunen allein gelassen würden. „Wir können nicht die Probleme des ganzen Kreises einschließlich des ganzen Westerwaldes lösen“, betont Neuhoff. Lange Wartelisten belegen dabei den Bedarf und das große Einzugsgebiet der Fachklinik.
Die Klinik lasse keinen ihrer Patienten „blind“ auf die Straße nach abgeschlossener Behandlung, so Dörnbach und Christa Schneider, es sei denn, die Patienten ließen sich davon nicht abringen. Man fühle sich auch über den Aufenthalt hinaus verantwortlich. Ein „Dafür bin ich nicht zuständig“ gäbe es in der Klinik nicht und man sehe mit dem Träger der GFO (Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe) einen weitergehenden Auftrag. Dabei habe auch die Klinik finanzielle Einbußen.
„Doch es kommt die Zeit, wo wir Patienten entlassen müssen“, die Gesetzeslage sehe das vor. Was dann entstehe sei oftmals eine Versorgungslücke, obwohl etwa der Sozialdienst sich für weitergehende Unterkünfte ins Zeug lege. Klappt das nicht, steige nicht zuletzt die Frustration beim Klinikpersonal. Denn oft kämen genau diese Menschen immer wieder als Patienten zurück in die Klinik, weil sie allein nicht oder noch nicht lebensfähig seien. Als eintretender Dauerzustand stelle sich körperlicher und geistiger Verfall der Menschen ein. Die Schleife in der steigenden „Chronifizierung“ zu unterbrechen sei schwierig. Etwa 1 bis 2 Prozent der Patienten fielen so ein Stück weit durch das Raster. Die Klinik bietet 120 Betten.
Dies beobachtet auch Katrin Wolf vom Ordnungsamt häufig. Sobald die Alltagsstruktur oder auch Medikation fehle und wohlmöglich Alkohol ins Spiel käme, verschlechtere sich der Zustand der entlassenen Patienten zusehends, teils mit aggressivem Verhalten. Dabei betreffe dies zudem immer mehr junge Menschen.
Auch Wolf begleitet viele dieser Menschen auf der Suche nach einer Unterkunft. In Wissen bietet die Obdachlosenunterkunft in der Bröhltalstraße insgesamt acht Betten mit Gemeinschaftsküche. Drei davon sind dauerbelegt. Ansonsten sei die Fluktuation variabel, je nach Aufenthaltsdauer. Die Unterkünfte in der Bröhltalstraße seien insgesamt „menschenwürdig, aber nicht schön“. Problematisch sei auch, dass die Menschen sich dort - wie im normalen Leben - selbst um alles kümmern müssen, was in ihrer Lebenssituation aber oft nicht funktioniere. Das erlebe sie regelmäßig, wenn sie vor Ort sei.
Lichtblicke sind da - Unterstützung gefordert
Berno Neuhoff erläutert, dass zumindest hinsichtlich „gestrandeter“ Personen aus anderen Verbandsgemeinden eine Absprache mit den Bürgermeistern im Kreis getroffen werden konnte. Diese beinhaltet, dass die Patienten ohne Unterkunft in die jeweiligen Verbandsgemeinden zurückgeführt werden. Vor den Gesprächen sei teils gemauert worden, so Marco de Nichilo. Doch man sei auf einem guten Weg.
Weitere Gespräche seien angedacht, sowohl mit dem Kreis als auch mit dem Land. Denn, so Neuhoff, „als Kommune schaffen wir das alleine nicht.“ Auch sei ein Schreiben an das Sozialministerium gegangen.
Einigkeit herrscht bei allen Gesprächspartnern über das, was passieren solle, damit die Situation sich verbessere: Es fehle vor allem an den „Zwischenstationen“, so Dörnbach. Eben für die psychisch kranken Menschen, die alleine nicht oder noch nicht lebensfähig seien. Das die Möglichkeit der „Geschlossenen Heimplätze“ ersatzlos gestrichen wurde, sei ein politisches Versagen. Entsprechend bedürfe es einer insgesamten Nachsorgeplanung und einer Klärung der Zuständigkeiten. Am Ende steht wie immer, die Frage nach der Finanzierung. Es könne nicht sein, dass „alles nach unten abgedrückt wird“, so Neuhoff.
St. Antonius-Krankenhaus plant weiter
Innerhalb der nächsten etwa 1,5 Jahre sollen im ehemaligen Schwesternwohnheim neun Apartments für betreutes Wohnen entstehen. In ganz Deutschland fehle es an solchen Einrichtungen. Entsprechend werden die Plätze schnell belegt sein, ist sich Mike Dörnbach sicher. (KathaBe)
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