Stadtwerke Wissen: "Kaffeesatzlesen" beim Gas und die Rolle der erneuerbaren Energien
Von Katharina Behner
Schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind die Energiekosten gestiegen. Mehr denn je werden Öl und Gas als politisches Instrument genutzt. Im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Wissener Stadtwerke über steigende Rohstoffpreise bis hin zur großen Rolle der erneuerbaren Energien.
Wissen/Region. Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine sind die Gaspreise an der Börse erneut explodiert. Noch am Morgen des 22. Februars, als der Angriff Russlands begann, hat Dirk Baier, der Geschäftsführer der Stadtwerke Wissen, eine Teilmenge Erdgas für 5,65 Cent pro Kilowatt (kWh) an der Börse eingekauft. Das war noch günstig. Mittlerweile liegt der Preis schon bei rund 6,85 Cent. Hinzu kommen Aufschläge, etwa die CO2-Abgabe oder Netzentgelte. Noch vor knapp einem Jahr lag der Preis einmal bei 2 Cent. Seither hat sich viel verändert.
Hinsichtlich der Entwicklung, so Baier, sei alles im Moment eher eine Vermutung – wissen könne das derzeit niemand. Eines sei allerdings Fakt: Die Kunden der Wissener Stadtwerke haben zu Anfang des Jahres eine moderate Preiserhöhung beim Gas mit Festpreisgarantie auf zwei Jahre für Bestandskunden bekommen. Für das Jahr 2023 haben die Stadtwerke ihren Bedarf zu günstigeren Konditionen bereits zu 75 Prozent eingekauft. Für 2024 rund 45 Prozent. Damit sei für viele der Kunden erst einmal die "Kuh vom Eis", man habe vorgesorgt.
Mehr als "Kaffeesatzlesen" geht im Moment nicht
Für Deutschland insgesamt, so Baier, seien die Speicher noch rund 30 Prozent gefüllt. Damit sei die Versorgung bis zum Sommer gesichert. Was danach komme, "ist derzeit Kaffeesatz lesen".
Deutschland bezieht bis zu 50 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Die Frage, die sich stelle sei: "Wie schnell kann Ersatz besorgt werden". Alternativen zur Lieferung aus Russland sei der Bezug etwa aus Norwegen und Flüssigerdgas aus Katar oder Amerika. Beim Flüssigerdgas stehe man immer in Konkurrenz zu Asien. Rund zwei Drittel der Schiffe mit Flüssigerdgas schippern aktuell Richtung Europa, erklärt Baier. Um die Abhängigkeiten zu verringern und nationale Reserven zu haben, setze Deutschland nun auf den Bau von eigenen Terminals für Flüssiggas, sogenannte LNG. Bisher werden Behälter in Rotterdam genutzt.
Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 hätte Vorteile gebracht, da der Import von Gas mittels Pipeline deutlich günstiger gewesen wäre, als Flüssigerdgas per Schiff heran zu schaffen. Doch die "Maus ist tot", so der Geschäftsführer der Stadtwerke Wissen. Im Gegenzug wäre jedoch die Abhängigkeit von Russland noch größer geworden, auf Dauer sicher kein Vorteil.
Erneuerbare Energien unabdingbar - "Power To Gas"
Stellt sich also die Frage: Wie schafft man Unabhängigkeit? Besonders in Zeiten, wo Öl und Gas immer mehr als politische Machtinstrumente genutzt werden.
Dirk Baier befürwortet den dringenden Ausbau erneuerbarer Energien wie die der Windkraft, um dauerhaft unabhängig zu werden. Es gebe viel zu viele Auflagen, etwa Abstandsregeln zu bebauten Gebieten. Der Blick nach Wissen zeige die gesamtdeutsche Problematik: Soll ein Windrad aufgestellt werden, gibt es in der Regel gleich ein Problem mit dem Artenschutz oder der Abstandseinhaltung zu bebauten Gebieten. Die Frage sei: "Können wir uns das auf Dauer erlauben, wenn der Gashahn zugedreht, der Kohle- und Atomkraftausstieg geplant ist".
Dabei gelte es doch auch hier auf regionale Stärke zu setzen. Etwa "Strom vom Hümmerich". Das lasse sich sicher gut vermarkten.
Aber wie hilft nun die Windkraft und Stromerzeugung den Gasbedarf auszugleichen? Baier setzt auf die schnelle Weiterentwicklung von "Power to Gas". Viele Studien belegten hier ein großes Potenzial für den Klimaschutz und eine erfolgreiche Energiewende, die gleichzeitig zur mehr Unabhängigkeit führt. "Power to Gas" ermöglicht, mithilfe von erneuerbarem Strom aus Wasser Wasserstoff zu erzeugen und diesen entweder direkt zu nutzen oder in einem zweiten Schritt zu Methan oder flüssigen Energieträgern weiterzuverarbeiten.
"Warum den überschüssigen Strom, etwa aus Windrädern generiert, zu Spottpreisen verkaufen oder gar verschenken", fragt Baier rhetorisch. Zwar sei die Technologie zur Eigenherstellung für die "kleinen" Stadtwerke zu teuer. Aber der Einkauf aus Deutschland könne sichergestellt werden und Deutschland könne sich damit eine größtmögliche Unabhängigkeit vom Weltmarkt der Energie-Rohstoffe schaffen. Hier gelte es eine schnelle Entwicklung voran zu treiben. (KathaBe)
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