VG Betzdorf-Gebhardshain: Auftakt für "Netzwerk Zukunftsmacher – gemeinsam digital"
Die Digitalisierung ist ein großes Thema, das einerseits herausfordert, anderseits überfordern kann: Das "Netzwerk Zukunftsmacher – gemeinsam digital" will eine Plattform schaffen, bei der sich Händler, Gewerbetreibende und Firmen austauschen und vernetzen können. Den Auftakt gab es in der Stadthalle Betzdorf.
Betzdorf. "Nao", der kleine Roboter, sprach zu den Teilnehmern beim Auftakt von "Netzwerk Zukunftsmacher – gemeinsam digital". Zugegeben, einen solches Kerlchen auf zwei Beinen dürfte wohl keines der Unternehmen haben, das mit einem Vertreter bei der Auftaktveranstaltung zugegen war. Symbolisch steht "Nao" für das, um was es den Initiatoren an diesem Abend und bei drei weiteren Terminen geht: um die digitale Zukunft. "Es geht uns um die Vernetzung beim Thema Digitalisierung", sagte Michael Becher. Der Wirtschaftsförderer der Regionalen Entwicklungsgesellschaft Betzdorf meinte, dass viele mittelständische Unternehmen gar nicht die Zeit hätten, um sich umfassend mit dem Thema zu befassen.
Beim nächsten Mal ist Schäfer-Shop Gastgeber
Deshalb möchte man Impulsvorträgen bieten und Unternehmen einbeziehen, die sich bereits mit Digitalisierung befasst haben. So wird am zweiten Abend, am Donnerstag, 23. Juni, Schäfer-Shop Gastgeber sein. "Das Unternehmen ist bei der Künstlichen Intelligenz (KI) sehr weit vorne", sagte der Wirtschaftsförderer. Die Eventreihe wird von der Regionalen Entwicklungsgesellschaft, Betzdorf digital und "NEUROLOGIQ – The AI Makers" veranstaltet, von der Universität Siegen wissenschaftlich unterstützt, so Becher.
Digitalisierung bietet eine Riesenchance
Aus dem Start-Up "NEUROLOGIQ" habe Firmengründer Simon Sack ein Riesenunternehmen gemacht, sagte Stadtbürgermeister Benjamin Geldsetzer. Sack, gebürtig aus Betzdorf-Bruche, habe ihn nach Siegen in seine Firma eingeladen. Aus der angedachten halben Stunde seien fast zwei Stunden geworden – und noch mehr: Die Digitalisierung biete eine Riesenchance, werde aber von vielen Unternehmen zurückhaltend angegangen. Zu diesem Schluss sei man bei dem Austausch gekommen, sagte Geldsetzer: "Chancen, die man mehr nutzen könnte." So war der Schritt hin zu einem Netzwerk mit Fachvorträgen nicht weit. Beim Auftakt erinnerte Sack, dass es etwas Ähnliches mit der "Smarten Demonstrationsfabrik Siegen" gebe, wo sich ausgetauscht und geholfen werde. So etwas möchten die Initiatoren auch in der Verbandsgemeinde Betzdorf-Gebhardshain etablieren.
Eine Plattform als Wissenszugang
Dass der 26-jährige Brucher sein Unternehmen in Siegen gegründet hat, hat pragmatische Gründe: Als er 2018 den Grundstein legte, studierte er noch Informatik in Siegen. Für Sack war es praktisch, das eigene erste Büro in der Nähe des Hörsaales zu haben. Nun war Sack mit von der Partie, als der Grundstein für das Netzwerk gelegt wurde. Sehr viele Unternehmen würden schon viel machen, erklärte er. Was aber aus seiner Sichtweise bislang fehlt, das sei eben eine Plattform: "Die wollen wir hier schaffen, auch als Wissenszugang."
Große Herausforderung
Bei der Eröffnung wurde deutlich, dass "große Herausforderungen auf uns zukommen" und die Zukunft hier gar nicht so einfach zu beantworten sei. Es geht um Schlagworte wie Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchains, aber auch um die Frage, wie der Stand überhaupt ist und wo die Reise hingeht – und: Wie das Thema aufgebrochen und in den unternehmerischen Alltag eingebracht werden kann? Für eine gelockerte Atmosphäre sorgte Roboter "Nao", den Geldsetzer mitgebracht und mit einem Sprachtext "gefüttert" hatte. So sei sein großer Bruder "Pepper" bereits zu einem "extrem wichtigen Partner in der Pflege" geworden, war zu hören. Es wurden auch einige Beispiele genannt, wo in der Zukunft "Nao", "Pepper" & Co den Menschen im Alltag begegnen könnten, zum Beispiel als Pflegeassistent, Verkäufer oder Butler.
Stadtbürgermeister Geldsetzer: "Wir sind gerade erst am Anfang der Reise."
Wenn ihm vor 25 Jahren jemand gesagt hätte, dass er als Stadtbürgermeister eine solche Veranstaltung von einem charmanten Roboter unterstützt eröffnen würde, den "hätte ich für verrückt erklärt", sagte Stadtoberhaupt Geldsetzer. Vieles, was damals Zukunftsmusik gewesen sei, etwa im Internet einzukaufen, sei längst zu etwas Alltäglichem geworden. Und der "kleine Freund" - gemeint waren Handy und Smartphone – werde wie selbstverständlich genutzt. "Wir sind gerade erst am Anfang der Reise", befand das Stadtoberhaupt und Mitinitiator von "Netzwerk Zukunftsmacher – gemeinsam digital".
Wissen vermitteln und Gespräche fördern
Würde man die ganze digitale Entwicklung auf einen Tag projizieren, so Geldsetzer, "dann ist erst eine Viertelstunde vergangen und 23 Stunden und 45 Minuten liegen noch vor uns". Geldsetzer: "Nach unserer Meinung nutzen Firmen das noch zu wenig." Hier sollen die "Zukunftsmacher" mit dem Austausch über Trends und mit Vernetzung entgegenwirken. Letzteres sei besonders wichtig, weil es "für einen Einzelkämpfer ein viel zu großes Gebiet" sei, befand Geldsetzer. Mit hochkarätigen Experten als Dozenten möchte man dazu beitragen, Wissen zu vermitteln und das Gespräch zu fördern.
Prozesse, Menschen und Dinge intelligent vernetzen
Der Impuls dafür kam prompt von Professor Martin Hill, der einen Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der Universität Siegen hat. Hill sei ein Vordenker, sagte Moderator Maracao Da Costa Zuzarta und stellte Hill als früheren Präsidenten von SAP vor, der "weiß, wo die Reise hingeht, weil er weiß wie Digitalisierung geht". Der Professor wusste auch, wie er das Auditorium, etwa 25 bis 30 Vertreter vorn Firmen und Unternehmen, ebenso gut wie informativ unterhalten konnte. Hill verknüpfte die Zusammenhänge, die schon in den 1970er-Jahren ihren Anfang nahmen. Die Grundidee von SAP sei es damals gewesen, Prozesse zu vernetzen - mit einer Software. Mit Social Media sei in den 1990er-Jahren die Vernetzung der Menschen einhergegangen. Das Internet habe schließlich Dinge vernetzt. Wenn man nun diese drei einzelnen Betrachtungen intelligent vernetzte, so der Professor, dann habe man das, was als Industrie 4.0 bezeichnet wird.
Es braucht Regeln, wie mit Daten umgegangen wird.
"Oben in der oberen Hälfte": Dort, so Hill, liege Deutschland im europaweiten Vergleich bei der industriellen Digitalisierung. Einen "nennenswerten Nachholbedarf" bei der Digitalisierung sieht er hingegen im öffentlichen Sektor. Nach Angaben von Hill liegt man hier "ganz hinten". Ob nun im Internet nach einem Topf oder einem Auto gesucht wird, es fließen immer Daten. Unternehmen sammeln sie. Aber wem gehören sie? Auch diese Frage warf Hill in seinem Impulsvortrag auf. Es gebe viele rechtliche Hürden und vieles sei noch nicht geklärt, sagte der Professor – aber: "Der Zug ist nicht aufzuhalten." Das alles müsse jedoch geklärt werden, so der Wissenschaftler, der klar betonte, dass es "Regeln braucht, wie mit Daten umgegangen" wird. Die ethische Fragestellung griff er gerade beim Stichwort KI auf und stellte heraus: "Unternehmen müssen einen Verhaltenskodex beim Umgang damit definieren." Auch das ist ein Beispiel dafür, wie groß die erwähnten Herausforderungen sind und wie wichtig es zu sein scheint, sich zu vernetzen, zu informieren und auszutauschen.
"Globale, digitale Unternehmen" zwingen lokalen Einzelhandel in Wettbewerb
Hill verstand es, die Zusammenhänge zu vermitteln, etwa bei der aufgrund der Digitalisierung verschobenen Wertschöpfungskette. Hill nahm sich auch des veränderten Wettbewerbs an. Als den Hauptkonkurrenten des lokalen Einzelhandels bezeichnete er "globale, digitale Unternehmen". Von diesen werde der lokale Einzelhandel in einen Wettbewerb gezwungen. Auch der Einzelhandel gehe mehr und mehr online. Aus seiner Sicht sei der Händler gar nicht mehr Händler, sondern werde zu einem Logistiker und müsse dessen Fähigkeiten beherrschen. Das verdeutlichte der Professor anhand von Fallbeispielen, auch in Zeiten der Veränderung und des Wandels ein Produktionsunternehmen ein Stück weit zu einem Serviceunternehmen wird. Der Experte gab sich davon überzeugt, dass "der Zenit der Globalisierung überschritten ist" und man eine Deglobalisierung erleben werde.
Für den Prozess der Digitalisierung könne es für ein Unternehmen ein Problem werden, wie man das Knowhow in die Firma bekomme. Für Hill die einzige Chance, die Digitalisierung hinzub ekommen, ist es. "Alte und Junge" zusammen zu bringen: "Junge Menschen reinholen, die zwar anders denken, aber nicht mehr wissen."
Professor Hill: "Bestimmte Märkte holen wir nicht mehr zurück."
Beim anschließenden Austausch kam das Thema unter anderem auf den Einzelhandel, auch unter dem Aspekt der Pandemie mit ihrem Wandel zu Online-Angeboten und regionalen Plattformen. "Im Corona-Lockdown haben es die Letzten gelernt, beim Amazon zu bestellen", sagte Hill, der ernüchtert meinte: "Bestimmte Märkte holen wir nicht mehr zurück." Bei dem lebhaften Austausch wurde auch das Nachhaltigkeitsproblem von Online-Bestellungen im Bekleidungssektor mit Verweis auf Müllberge gesehen. Er habe auch den Bereich Online-Bestellmöglichkeiten in den Zeiten von Corona mit ins Programm aufgenommen, sagte Christoph Burghaus von Modehaus Burghaus in Betzdorf und räumte ein, dass es Wege seien, die er "zähneknirschend" aufgenommen habe – aber: "Ich sehe noch eine Zukunft eine gewisse innovative Art des Handels." Für Burghaus wichtig ist dabei auch, dass eine Innenstadt ein Erlebnis bieten muss. "Sie haben den richtigen Weg gewählt", sagte der Referent, der die Lanze für den Einzelhandel brach und herausstellte: "Ich kaufe keinen Anzug im Internet."
Neues Einzelhandelskonzept wird erarbeitet
Ein Geschäft müsse man nicht schließen, betonte er. Dennoch gebe es vermutlich einen Wandel. Im Laufe der nächsten zehn Jahren werde sich beispielsweise die Zahl der Verkäufer in einem Geschäft vielleicht von zehn auf drei vermindern, werde aber im Gegenzug wohlmöglich drei IT-Techniker eingestellt haben, verdeutlichte Hill. "Der Einzelhandel ist nicht tot, aber verändert sich wie keine andere Branche", sagte er. Für Steffi Stieler, Vizevorsitzende der Aktionsgemeinschaft Betzdorf, ist die Situation eindeutig: "Wir brauchen beides." Es werde aus diesem Grund auch an einem neuen Einzelhandelskonzept gearbeitet. Für sie ist die Strategie: "Das, was wir haben, müssen wir erhalten, und ausbauen, was wir bekommen können." Damit könne man dafür sorgen, dass Innenstädte attraktiv werden. Diese Attraktivität komme mit einer schönen Mischung beispielsweise aus Einzelhandel, Wohnen und Cafés, hieß es.
Stephan Neumann-Weinkopf, geschäftsführender Gesellschafter der Weinkopf GmbH Scheuerfeld, erzählte, dass das Unternehmen eine 2.000 Quadratmeter-Ausstellung für Bad und Heizung habe. Für die Badrenovierung habe man auch in der Virtual Reality investiert. Das Digitale werde gar nicht genutzt, aber die reelle Ausstellung, die von den Kunden besucht werde, schilderte er und meinte zuversichtlich, wenn die digitalen Optionen später doch gefordert würden: "Dann ist das Unternehmen darauf vorbereitet."
Peter Schwan, Direktor für Marketingstrategie bei Schäfer-Shop, berichtete von der Erfahrung, dass von den Kunden Chats nicht genutzt würden, aber der persönliche Kontakt im Callcenter. "Das liegt an der Art des Geschäftes und der Kunden", kommentierte Hill. Vor 30 Jahren habe man Software entwickelt, die das Unternehmen versteht. Heute müsse man eine Software bauen, die die Kunden des Unternehmens versteht und das in das Zentrum eines neuen Handels stellen.
Es gab an diesem Abend reichlich Impulse, um anschließend noch Gesprächsstoff zum Thema Digitalisierung zu haben – und die Impulse wird es auch am Donnerstag, dem 23. Juni, geben. Bei diesem zweiten Termin wird es bei Schäfer-Shop um KI gehen, die das Unternehmen seit 2002 einsetzt, so Schwan. Seit 1995 würden systematisch Daten erhoben. 3100 bis 3200 Variablen würden über den Kunden erhoben. Schwan: "Wir möchten bei dem Termin zeigen, was man aus Daten machen kann, aber auch, welche Grenzen es gibt." Anmeldung und Informationen: info@reg-betzdorf.de (tt)
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