Wehrleiter aus Altenahr: "Katastrophenschutz in RLP hat Luft nach oben"
Ein Pegel von 10,8 Meter in der Ortslage von Altenahr, der um das Dreifache höher war als das "Jahrhunderthochwasser". Feuerwehrleute, die selbst von der Flut betroffen waren. Wehrleiter Frank Linnarz berichtete beim Kreisfeuerwehrverband Altenkirchen von der Flutkatastrophe – und dankte für die Hilfe.
Brachbach/Altenahr. "Wir müssen am Katastrophenschutz arbeiten", und das sei gleichbedeutend mit der Anschaffung von Fahrzeugen und Ausrüstung: Das sagte Frank Linnarz. Der Wehrleiter der Verbandsgemeinde Altenahr schilderte die Ereignisse vom 14. und 15. Juli, und er sagte: "Der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz hat Luft nach oben." Der Vortrag über die "Flutkatastrophe Ahrtal" war sehr berührend und ergriff jeden in der Peter-Hussing-Halle in Brachbach. Hier war der Kreisfeuerwehrverband Altenkirchen zur Delegiertenversammlung zusammengekommen. Für einen Außenstehenden lässt sich die ganze Dramatik und Tragödie, die sich in dieser verhängnisvollen Nacht ereignete, nur erahnen.
"Es kann alle Bereiche der Mittelgebirge mit ihren geologischen Höhen und Tiefen treffen", sagte der Wehrleiter. Die Ahr, gewöhnlich 40 Zentimeter tief, habe 2016 in Altenahr ein "Jahrhunderthochwasser" gehabt – bei 371 Zentimetern. Damals sei das Wasser 35 Zentimeter in der Stunde gestiegen, sagte Linnarz und berichtete von der Pegelsteigerung im Juli 2021: In Altenburg, einem Ortsteil von Altenahr, sei das erste Obergeschoss eines Wohnhauses in vier Minuten überflutet worden. In vier Minuten sei das Wasser um zweieinhalb Meter gestiegen. "Das sind Werte, die man sich nicht vorstellen kann", sagte Linnarz, der von einem "flutartigen Wasserstand" sprach. In der Ortslage von Altenahr habe das Wasser mit 10,80 Meter den dreifachen Wert von 2016 erreicht. Er zeigte ein Foto von einem Tunnel, in dem die Wasserstände von 1910 (bis Juli 2021 der höchste Stand), 2016 und 2021 markiert waren. "Unterhalb des Tunnels lag unser Feuerwehrhaus", sagte Linnarz.
Beim Hilfeleistungslöschfahrzeug (HLF 20) habe das Wasser bis zur Dachgalerie gestanden. Zwei Menschen habe man schließlich von dem Fahrzeug retten können. "Wenn das HLF20 zwei Menschen das Leben gerettet hat, dann hat es seinen Dienst getan", sagte Linnarz – das Feuerwehrauto ist nicht mehr brauchbar, ebenso die Drehleiter. Das Hauptproblem sei es gewesen, dass die Böden gesättigt waren. Am 14. Juli sei der Wasserstand um 18.25 Uhr um 110 Zentimeter auf 409 gesunken. Um 20 Uhr sei der Digitalfunk überlastet gewesen, und um 20.43 Uhr bei einem Pegel von 6,81 Metern habe man keine Kommunikationsmittel mehr gehabt, schilderte der Wehrleiter, der auch berichtete, dass man mehr als 200 Personen habe retten können. Am Donnerstagmorgen seien acht Helikopter in der Luft gewesen.
Er berichtete von der Problematik, dass sich an Brücken Treibgut, Bäume und Gastanks angesammelt hätten. Die Brücken, die wichtige Zuwegungen in der Ortslage gewesen seien, hätten nachgegeben, sagte Linnarz und sprach von einem "Domino-Effekt". Die Straßen seien nach der Flut drei bis vier Meter mit Treibgut blockiert gewesen. Bergepanzer der Bundeswehr hätten tagelang die Wege frei geschafft. Von den 400 Feuerwehrangehörigen der Verbandsgemeindewehr seien 180 selbst betroffen gewesen, vom Hausstand oder weil Angehörige vermisst worden seien oder gestorben seien. Straßen seien 15 Meter tief bis auf den Fels weggespült worden. 20 Kilometer Bahnstrecke müssen komplett erneuert werden. Mit dem Wiederaufbau solle 2022 begonnen werden.
Fertighäuser seien von der Bodenplatte gerissen, weggespült und an Brücken zermalmt worden. 90 Prozent der Häuser hätten Ölheizungen. "Das Heizöl ist heute noch die Hauptursache, dass Häuser abgerissen werden müssen", sagte Linnarz. Die Versorgung der Bevölkerung sei ein Problem gewesen, sagte der Wehrleiter, der auch die psychosoziale Notfallversorgung ansprach: "Da haben sich Dramen abgespielt." Und anfangs habe man mehr als 5.000 vermisste gehabt, sagte Linnarz. 143 Menschen seien bei der Flutkatastrophe ums Leben gekommen.
Linnarz erinnerte auch an die Helfer, die aus dem ganzen Bundesgebiet kamen, und die Getränke, Lebensmittel und Bekleidung, die gespendet wurden. "Alle Spenden haben uns gerettet", sagte der Wehrleiter, der auch die anwesenden Feuerwehrleute konkret ansprach: "Viele von euch haben wochenlang Zeit damit verbracht, uns zu helfen. Für uns ist das nicht selbstverständlich." Er dankte für die Arbeit, die geleistet wurde. Vier Feuerwehrhäuser seien komplett zerstört, und ein weiteres Feuerwehrhaus könne nicht dort stehen bleiben, wo es steht. Fünf Behelfsfeuerwehrhäuser seien aufgestellt worden. Er geht davon, aus, dass das Provisorium fünf bis zehn Jahre stehen bleiben muss, weil noch keine geeigneten Standorte für die Neubauten habe. Zum aktuellen Sachstand berichtete Linnarz, dass neben der Suche nach "hochwasserfreien Standorten" auch die Ersatzbeschaffung von Schutzausrüstung Gerätschaften ansteht: "Unsere Hochwasserpumpen, die wir im Einsatz hatten, sind alle weg."
Die "Feuerwehrlage" sei Anfang Oktober weitestgehend abgeschlossen gewesen. Linnarz berichtete unter anderem von dem Aufbau von Behelfsbrücken und vielem mehr. Fast alle anwesenden Delegierten seien als Feuerwehrleute damals vor Ort gewesen, sagte Kreisvorsitzender Volker Hain und dankte für die Informationen. (tt)
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