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Nachricht vom 09.06.2022    

VG Kirchen präsentiert Hochwasservorsorgekonzept: 140 kleine und größere Maßnahmen

Das Hochwasservorsorgekonzept für die Verbandsgemeinde Kirchen steht – und die Arbeit geht nun weiter: 140 Maßnahmen sind in dem Katalog aufgelistet. Das Papier wurde nun im Rathaus vorgestellt. Im nächsten Schritt soll es in den Gremien der jeweiligen Ortsgemeinde beraten werden.

Gut besucht war die Abschlussveranstaltung, die eigentlich gar keine Abschlussveranstaltung ist, sondern die Schnittstelle hin zum Umsetzen des Hochwasservorsorgekonzeptes darstellte. (Fotos: tt/Archiv tt)

Kirchen. Ein Landregen ging nieder, als Bürgermeister Andreas Hundhausen im Sitzungssaal des Rathauses die knapp 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Vorstellung des neuen Hochwasserkonzeptes begrüßte. Der Regen war zwar stetig, aber völlig normal. Darauf ist das Hochwasservorsorgekonzept auch nicht zugeschnitten. Aber auf Starkregenereignisse mit viel Niederschlag binnen kürzester Zeit sowie Flusswasserschutz. Wohl jedem dürften die schrecklichen Bilder von der Ahr nach der Flutkatastrophe vor fast einem Jahr in Erinnerung sein. Aber nicht diese verheerende Katastrophe, die viele Menschenleben forderte und eine so unglaubliche Zerstörung hinterließ, war für die Verbandsgemeinde Kirchen nicht der Auslöser, um ein Vorsorgekonzept anzugehen.

Auslöser war der Starkregen an Fronleichnam 2018. Damals, am 31. Mai, hatte sich eine Unwetterzelle über Betzdorf und Kirchen festgesetzt und war in kurzer Zeit massiv abgeregnet. Feuerwehren, THW, Rotkreuz und DLRG rückten aus. Polizei und Bauhöfe waren im Einsatz. Keller und Straßen liefen voll. Glücklicherweise gab es keine Personenschäden zu beklagen. Die Wucht des Wassers hatte sich auch in Kirchen an der Klotzbachstraße gezeigt. Der Kanal hatte die Wassermassen nicht mehr verkraftet. Asphalt und schwere Steine der Regenrinne wurden herausgerissen – und das ausgespülte Material und Steine fanden sich weiter unten auf der Straße „An der Siegbrücke“. Das Bild wiederholte sich in einer Nacht Mitte August 2020 bei einem Gewitterunwetter, als das lose Material wieder weggespült wurde.

Nach den Erfahrungen von Fronleichnam 2018 wurde die Verbandsgemeinde aktiv und machte sich mit Förderung des Landes Rheinland-Pfalz daran, ein Hochwasservorsorgekonzept zu entwickeln. Das wurde auf breite Füße gestellt. Bei drei öffentlichen Workshops wurden Einwohner, Katastrophenschutz, Forstwirtschaft und Energieversorger eingebunden, berichtete Bürgermeister Andreas Hundhausen. Neuralgische Punkte wurden in den Ortsgemeinden bei Ortsbegehungen in Augenschein genommen. Wobei nicht jedes einzelne Grundstück betrachtet werden konnte.

Aus all dem sei ein Konglomerat mit einer Maßnahmenliste entstanden, die aufzeigt, was getan werden muss. Summa summarum sind es knapp 140 Maßnahmen, kleinere und größere. Diese reichen von Einläufen bis hin zu Dammanlagen. Auch eine Priorisierung gehört zum Umfang des Konzeptes. Denkbar ist es, dass eine kleinere Maßnahme vorgezogen wird, weil ihre Wirkungsweise groß ist. Gemeinsam – von der Verbandsgemeinde über deren Werke und die Ortsgemeinden bis zur Bürgerschaft – müsse man die Maßnahmen umsetzen, sagte Bürgermeister Hundhausen: „Wir sitzen alle in einem Boot.“

Und somit erschließt sich auch leicht, dass die „Abschlussveranstaltung“ für alle Beteiligten keine Abschlussveranstaltung im herkömmlichen Sinn darstellt. Ganz im Gegenteil. Jetzt - nach der Präsentation des Vorsorgekonzeptes - geht die tatsächliche Arbeit los. Das Konzept muss buchstäblich ausgearbeitet werden. Nach der Sommerpause sollen die individuellen örtlichen Betrachtungen in den Ortsgemeinden in den Gemeinderäten auf die Agenda kommen. Man habe die Möglichkeit gehabt, das Konzept früher fertig zu haben, räumte Bauamtsleiter Tim Kraft ein. Man sei jedoch von Corona ausgebremst worden. Während die grundsätzliche Arbeit an dem Projekt weiterlief, wollte man jedoch die Workshops nicht online abhalten. „Die Zeitschiene war uns nicht so wichtig, aber die Qualität“, unterstrich der Bauamtsleiter. Denn bei den Workshops mit zum Beispiel Fortschwirtschaft, Haubergsgenossenschaften und Waldinteressenten war das persönliche Gespräch vorrangig.

Auf dem Weg hin zu dem Konzept war das Ingenieurbüro Björnsen aus Koblenz eingebunden. Für dieses stellte Dr. Kaj Lippert das Ergebnis des bisherigen Engagements vor. An Fronleichnam 2018 seien in drei Stunden 110 Millimeter Niederschlag runtergekommen. Damals seien nur Betzdorf und Kirchen als Zentrum betroffen gewesen, die Gemeinden drumherum eben nicht. „Das ist typische für ein Starkregenereignisse“, sagte er. In einer Stunde seien 93 Millimeter Niederschlag gefallen, sodass man von einem Starkregenereignis spreche, das deutlich über dem 100-jährigen Starkregenereignis liege.



„Es war sehr außergewöhnlich“, stellte Lippert fest: „Straßen, Keller und Unterführungen wurden überflutet, die ganze Infrastruktur war massiv betroffen.“ Über zwei Tage habe man einen überregionale Wetterfront gehabt. „Das hat mit dem Klimawandel zu tun“, sagte er. Es sei gesichert, dass Extremereignisse zunehmen werden. Das Bundesland Rheinland-Pfalz habe das früh erkannt, spannte er den Bogen hin zur Förderung des Hochwasservorsorgekonzeptes: Das Land fördert 90 Prozent der Kosten für das Erstellen des Konzeptes. Es sei ein starker Beteiligungsprozess, sagte Lippert, der den Ablauf kurz anriss und die involvierten Akteure erwähnte. Er erwähnte, dass auch Privatleute eine 90-prozentige Förderung erhalten können, wenn sie eine Beratung zu ihrem Haus beziehungsweise Grundstück zum Thema Starkregen haben möchten.

Bei der Defizitanalyse konstatierte der Koblenzer Ingenieur, dass man in der Verbandsgemeinde Kirchen eine typisch ländliche Region habe, mit viel Wald, zersiedelt und mit größeren Siedlungsflächen. Ein weiterer Kern seiner Ausführungen beschäftigte sich mit der Abflusskonzentration. Entsprechend wo sich der Abfluss des Wassers entlang bewege, erhalte man einen Hinweis auf potenzielle Gefährdungen, etwa „wenn ein Abfluss auf eine Objekt zu läuft, zum Beispiel auf eine Ortsgemeinde“. Er erläuterte die Unterschiede zwischen Dynamik beim Wasser auf der einen Seite und Wassertiefen auf der anderen. „Für fast alle Ortsgemeinden haben wir eine hohe Starkregengefährdung“, stellte Lippert fest. Das verdeutlichte er an den Hanglagen sowie Senken und Tallagen, die auf die Ortslagen zulaufen.

Für Brachbach treffe das auf alle Ortsteile zu, und es gebe zusätzlich noch eine Gefährdung vom Sieg-Hochwasser. Die hohe Starkregengefährdung sieht er auch bei allen Ortsteilen der kleinen und zersiedelten Ortsgemeinde Friesenhagen gegeben, mit Ausnahme von Bahnhof Wildenburg und Hammerhöhe. Lippert sprach von einer „hohen Betroffenheit“, was er beispielsweise an schneller Abflussbildung festmachte. Friesenhagen mit seiner Kessellage sei komplett von landwirtschaftlich genutzten Flächen umringt. Aufgrund der Hanglagen entlang fast der gesamten Ortslage sei auch in Harbach ein großes Gefährdungspotenzial gegeben. Er machte auch Ausführungen zu Löcher- beziehungsweise Hinhauser-Bach.

Beim eher städtisch geprägt Kirchen mit seinen Ortsrandlagen Herkersdorf und Offhausen muss man aus Lipperts Sicht Starkregen und Flusshochwasser der Sieg in die Betrachtung einbeziehen. In der Ortsgemeinde Mudersbach verhalte es sich ähnlich wie in Brachbach. Im Ortsteil Niederschelderhütte habe man zusätzlich noch extreme Steilhänge. Es würden hier auch Straßen schnurstracks steil bergab führen, sodass Wasser mit hoher Geschwindigkeit ins Tal fließe, und zum Beispiel bis an die örtliche Brauerei fließe. „Das Wasser kommt schnell unten an, aber wird nicht gelenkt“, verdeutlichte Lippert die Situation.

„Der Unterhaltungszustand könnte besser sein“: Das sagte Lippert mit Blick auf den Asdorfbach in Niederfischbach. Als Gefahrenpotenzial ging er weiter auf die recht steilen Straßen Blumenweg und Mühlenhardt ein, über die das Wasser ins Tal fließt – bis zu einer Senke vor der Asdorftalbrücke. Hier stehen Häuser. Das ankommende Wasser müsse man kanalisiert in die Asdorf ableiten. Das private Verhalten und die Risikovorsorge sei bei all dem auch ein wichtiger Baustein: „Eigentümer und Betroffene müssen ins Boot geholt werden“, betonte er.

In diesem Zusammenhang machte er aufmerksam, dass beispielsweise Hochwasserkarten, aber auch Karten zur Abflusskonzentration und zu Starkregen bei der Verwaltung einzusehen sind, vor Ort im Rathaus oder auch auf der Homepage. Außerdem gebe es eine Vielzahl an neuen Dienstleistungen, zum Beispiel entsprechende Apps, die informieren beziehungsweise warnen. Das Konzept soll auch ein Signal an die Politik geben, um gewisse Flächen von einer Bebauung freizuhalten. (tt)


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