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Nachricht vom 23.06.2022    

Altenkirchener Stadtspaziergang: Wo es an Barrierefreiheit mangelt

Nein, es waren einmal nicht die markanten und sehenswerten Punkte der Stadt Altenkirchen wie Privilegierte Apotheke, Stadtmauerreste oder Marktplatz, die bei diesem Spaziergang im Mittelpunkt standen. Vielmehr wurde an Stationen Halt gemacht, an denen Menschen mit Behinderung an ihre Grenzen stoßen, die Barrierefreiheit fehlt.

Auch die Kreuzung Kölner-, Wied- und Friedrich-Emmerich-Straße war eine Station des Stadtrundganges. (Foto: vh)

Altenkirchen. Normalerweise zeigt sich die Stadt Altenkirchen bei Führungen von ihrer modernen und/oder historischen Seite. Der Spaziergang am Donnerstagvormittag (23. Juni) jedoch stand nicht im Zeichen alten Gemäuers oder aktueller Gestaltung. Vielmehr sollte er neuralgische Stellen aufzeigen, an denen Menschen mit Behinderung es gegenüber denen ohne Handicap viel schwerer haben, womöglich die Barrierefreiheit nicht gegeben ist. „Wir behandeln schon lange das Thema Inklusion“, sagte Margit Strunk als Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes im evangelischen Kirchenkreis Altenkirchen, ehe sich eine Gruppe der Lebenshilfe im Kreis Altenkirchen auf den Weg machte, die eine oder andere Hürde aufzuzeigen, auf die sie im Leben trifft. Vertreter verschiedener Organisationen, die „alle mit uns am Thema Inklusion arbeiten“ (Strunk) sowie der Beigeordnete der Stadt Altenkirchen, Rüdiger Trepper, und City-Manager Bastian Prieß gesellten sich zu dem Tross, um aus erster Hand zu erfahren, mit welchen Problemen beispielsweise Rollstuhlfahrer konfrontiert werden.

Viele Aspekte angesprochen
„Was könnte besser sein in Altenkirchen?“, gab Anette Hoffmann-Kuhnt, bei der die Fäden des Projekts „Inklusive Zukunftswerkstatt“ zusammenlaufen und die als Diplom-Pädagogin sich in der Diakonie im Rahmen der „Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung“ (EUTB) um Menschen mit Behinderung und deren Familien kümmert, als Leitgedanken vor. Die Route durch die Stadt mit Ziel Mehrgenerationenhaus „Mittendrin“ hatten Nadja Kehrle und Juliana Held, zwei Soziale-Arbeit-Studentinnen, die den praktischen Teil ihrer dualen Ausbildung bei der Lebenshilfe absolvieren, ausgearbeitet. So wurden im Laufe des Spazierganges viele Aspekte angesprochen, die es Menschen mit Behinderung schwerer als „normalen“ machen: die Bedienung des Fahrkartenautomaten am Bahnhof, die unterschiedlich in der Höhe angebrachten Busfahrpläne, ein offenbar unvollständiges Blindenleitsystem, zu kurze Grünphasen für Fußgänger an Ampelkreuzungen, kaum ausgewiesene Standorte für Defibrillatoren, das Fehlen eines Plans mit den Standorten von Defibrillatoren, zu leise akustische Signale, wenn Ampeln auf Grün schalten bei hohem Verkehrslärm, Probleme beim Überqueren mehrerer Verkehrsinseln (Kreuzung Kölner Straße) und einiges mehr. Cornelia Szyszkowitz, Projektbetreuerin von der „Bundeszentrale für Politische Bildung“ (Bonn), die an das Innenministerium angedockt ist, bezeichnete die „Inklusive Zukunftswerkstatt“ als einen „Teil der politischen Bildung der Bürger, weil sie Lebensumstände aktiv mitgestalten. Sie machen konkrete Verbesserungsvorschläge“. Die Verantwortlichen hätten zugehört und diese Anregungen aufgeschrieben.

Nur 100 Projekte
Gefördert wird die Zukunftswerkstatt aus dem Programm „Miteinander Reden" der „Bundeszentrale für Politische Bildung“. Für die Teilnahme wurde das Diakonische Werk des evangelischen Kirchenkreises Altenkirchen als eines von 100 Projekten bundesweit (vier in Rheinland-Pfalz) ausgewählt, nachdem ein Antrag gestellt worden war. Die Initiatoren vor Ort werden mit 10.000 Euro und einer Menge Know-how unterstützt. Es geht darum, den Dialog, Aushandlungsprozesse und Teilhabe im ländlichen Raum zu fördern mit konkreten Ideen, im Zusammenkommen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und zu Themen, die das Gemeinwesen und das Miteinander vor Ort herausfordern. Zuallererst war eine inklusive Steuerungsgruppe gegründet worden, die zwischen 2018 und 2020 mehrfach zusammengekommen war. Ihr gehörten acht Menschen mit Behinderung und zwei Moderatoren an, die als Multiplikatoren zu Themen der politischen Mitbestimmung geschult wurden wie in der Workshop-Reihe „Keine Werkstatt ohne Werkzeug" im Jahr 2021. Inzwischen ist sie zahlenmäßig ein wenig angewachsen.



Blick auf den Wochenmarkt
Teil dieses Prozesses war schon im Jahr 2019 ein beispielhafter Blick auf den Altenkirchener Wochenmarkt unter Berücksichtigung verschiedener behinderungsbedingter Perspektiven. Dabei entstanden kleinteilige, leicht umzusetzende Verbesserungsvorschläge wie ein größerer Abstand zwischen den Ständen (besser für Rollstuhlfahrer), die den Markt barrierefrei und gleichzeitig attraktiver für alle Bevölkerungsgruppen machen könnten. Die Teilnehmenden der Gruppe erhielten dadurch ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und wurden motiviert, ihre Gestaltungsideen öffentlich zu machen. Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Idee, einen Fachtag zu veranstalten. Dazu passt das Format der „Zukunftswerkstatt" gut: Nach einer Kritikphase, in der alles, was stört, behindert oder nicht gefällt, darf in einer sogenannten Utopiephase genauso wertungsfrei in die Zukunft geschaut und auch geträumt werden. Wie sähe die Traumstadt Altenkirchen aus? Welche Wünsche gibt es? Was würde ein Leben mit Behinderung leichter machen? Abschließend geht es um die Realisierung, den goldenen Mittelweg zwischen Visionen und Realität zu finden und darum, wie einzelne Schritte aussehen können. Beim Fachtag am Samstag, 16. Juli, in der evangelischen Landjugendakademie wird es um die Ist-Situation und vor allem um Visionen gehen. Als Ergebnis des Fachtages erhoffen sich die Verantwortlichen verschiedene Arbeitsgruppen, die dann im Laufe eines Jahres mit der Unterstützung des Projekts und externer Begleitung, das, was in der Zukunftswerkstatt geträumt wurde, in Zusammenarbeit mit der Kommune und Einrichtungen im Sozialraum umsetzen zu können. (vh)


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