"Wolfsgipfel" fordert neues Wolfsmanagement in Rheinland-Pfalz
Die Zahl der Wölfe gerade im Norden von Rheinland-Pfalz hat in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen - und sie reißen immer mehr Schafe, Ziegen und auch Pferde. Die Freien Wähler hatten nun zum "Wolfsgipfel" in den Mainzer Landtag geladen. Gemeinsam mit den Teilnehmern forderten sie dort eine angepasstes Steuerung der Wolfspopulation.
Mainz. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, brachte es auf den Punkt. "Wir haben ein Problem, und das Problem heißt Wolf." Am Freitag, den 24. Juni, hatte die Landtagsfraktion der Freien Wähler zu einem "Wolfsgipfel" in den Mainzer Landtag geladen, um die Sorgen und Nöte vor allem aus dem Norden des Landes aus erster Hand zu hören. Geladen waren Schäfer, Züchter, Jäger, Rinderhalter, Vertreter von Jagdverbänden und Bauernverbänden.
Schnell wurde klar: Die Sorgen sind groß. "Deutschlands Situation erinnert mich an einen vollen Bus, der mit hohem Tempo auf eine Betonwand zufährt", klagte Gerd Dumke, Vorsitzender des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung: "Man müsste eigentlich unverzüglich und mit Anlauf auf die Bremse drücken, ist aber damit beschäftigt, einige störende Insassen zu beschimpfen, die vor der Koalition warnen."
2012 wurde der erste Wolf wieder in Rheinland-Pfalz gesichtet, seit 2016 gab es regelmäßige Wolfssichtungen im Raum Neuwied, seit 2018 auch im Raum Altenkirchen im Westerwald. Zu Beginn hielten sich die Übergriffe der neuen Bewohner auf Nutztiere noch in Grenzen, doch das änderte sich im Jahr 2021 schlagartig: Allein 85 Schafe wurden vergangenes Jahr von Wölfen gerissen, dazu 14 weitere Tiere – und das sind nur die amtlich bestätigten.
2022 wurden bereits 20 Schafe, fünf Ziegen und drei weitere Tiere wie Rehe nachweislich von Wölfen gerissen, die meisten im Raum Altenkirchen. Für rund die Hälfte der Fälle soll das sogenannte Leuscheider Rudel im Westerwald verantwortlich sein – vor allen Dingen ein Rüde mit der Bezeichnung GW1896m: Allein ihm werden 43 Risse zugeschrieben.
Das Problem dabei: Wölfe dürfen nach dem Landesjagdrecht in Rheinland-Pfalz nicht geschossen werden, auch nicht, wenn sie zu "Problemtieren" werden. Im März hatte deshalb die besonders betroffene Verbandsgemeinde Asbach eine Wolfs-Resolution verabschiedet, in der eine bessere Regulierung des Wolfsbestands gefordert wird – auch das Töten einzelner, problematischer Tiere dürfe kein Tabu sein. Das Land lehnt das indes strikt ab.
Wie sehr die Angst in der Bevölkerung umgeht, machte dabei eine Westerwälderin beim Wolfsgipfel deutlich: "Bei uns geht keiner mehr mit dem Hund spazieren, die Kinder dürfen nicht mehr draußen spielen", erklärte sie. "Viele Menschen, mit denen ich spreche, sind sehr besorgt", berichtete auch der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kaisersesch, Albert Jung (parteilos): "Hier wird jegliches Maß übertroffen", schimpfte er.
Jung sieht die Weidetierhaltung in Rheinland-Pfalz massiv bedroht, dass die Landesregierung dabei vor allem auch den Bau von Schutzzäunen setze, macht ihn fassungslos: "Die Strategie des Zaunbaus kann ja wohl nicht die Lösung sein", betonte Jung – das würde schließlich dazu führen, dass auch Wanderer und Touristen "nur noch Zäune sehen".
Mit Zäunen sei das Problem nicht in den Griff zu bekommen, meinte auch Hermann Bernardy (FWG), Mitverfasser der Asbach-Resolution: "Ich hatte am Mittwoch ein Gespräch mit zwei Landwirten, beide beweiden rund 600 Hektar Weideland – die müssten rund 42 Kilometer Zaun spannen, um ihre Flächen zu schützen", berichtete er: "Selbst bei einer geraden Fläche wäre das kaum zu machen."
"Wir müssten unsere Zäune so gestalten, dass man nicht mehr einbrechen kann, das heißt aber auch, Zäune über Steinmauern zu stellen", machte auch Klaus Michels vom Landesverband der Schaf- und Ziegenhalter Rheinland-Pfalz deutlich – das könne doch nicht der Sinn sein. Dazu werde der Zaunbau vom Land nur zu rund 70 Prozent gefördert, der Unterhalt aber gar nicht, "Wir sind als Weidetierhalter Menschen zweiter Klasse", klagte Michels: "Haben wir nicht das Recht auf freie Berufsausübung, das Recht, unsere Schafe, Pferde, Alpakas zu halten, und zwar in freier Wildbahn?"
Das sei schließlich auch die artgerechteste und naturnächste Haltung, betonte auch Albert Jung: "Mit dieser Kampagne 'Willkommen Wolf' jagen wir die Tiere zurück in die Ställe – ist denn das der Sinn?" Das Problem betreffe zudem nicht allein den Westerwald, berichtete etwa Michael Horper vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau. Auch in der Westeifel habe es 2021 bereits um die 100 Risse gegeben. "Wir müssen dafür sorgen, dass der Wolf ins Jagdrecht kommt", forderte Horper: "Wir sind kein Feind vom Wolf, aber wir müssen weg vom Wolfsmanagement hin zu einem rigorosen Bestandsmanagement."
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Unterstützung bekamen die Rheinland-Pfälzer dabei aus Niedersachsen: "Wir gehen davon aus, dass sich der Wolf wieder flächendeckend in Deutschland ausbreiten wird", sagte Jörn Ehlers vom Landvolk Niedersachsen. Die Wolfspopulation nehme jedes Jahr um rund 30 Prozent zu, das sei "eine enorme Wachstumskurve". Vor 20 Jahren habe es in Niedersachen nur einzelne Sichtungen gegeben, heute gebe es bestätigt mehr als 38 Rudel zu je acht bis zehn Tieren, berichtete Ehlers.
"Wir haben heute Wölfe fast flächendeckend in Niedersachen, und das auch an der Küste oder in eng besiedelten Gebieten wie dem Ballungsraum Hannover", skizzierte er – und warnte: Dieselbe Entwicklung werde es auch in anderen Regionen geben. Im gleichen Umfang sei auch die Zahl der Risse von Nutztieren nach oben gegangen, 2020 seien 1074 Tiere getötet worden oder hätten eingeschläfert werden müssen. Darunter seien auch immer mehr Pferde, berichtete Ehlers "aus Bereichen, wo man uns gesagt hatte, da müsst Ihr Euch keine Sorgen machen."
In Niedersachsen sei deshalb das Jagdrecht für Wölfe im Frühjahr im Landesjagdrecht aufgenommen worden, berichtete Ehlers – das sei nämlich durchaus mit EU-Regeln vereinbar. Nun gebe es eine Verordnung, die auch genau definiere, wie eine Wolfsentnahme durchgeführt werden solle, sagte Ehlers und riet den Nachbarn im Süden, Vorsorge für die wachsende Wolfspopulation zu treffen.
Der "Wolfsgipfel" verabschiedet denn auch einen Sieben-Punkte-Forderungskatalog, der vor allem eine Neuausrichtung des Wolfsmanagements fordert. "Das aktuelle Wolfs-Management des Landes passt nicht mehr zu der Entwicklung der sich rasant ausbreitenden Wolfspopulation sowie der auftretenden Schadensmeldungen und muss daher der Realität angepasst werden"; forderte Wefelscheid nach dem Treffen.
"Es kann so nicht weitergehen", bilanzierte auch Jung: "Man muss jetzt reagieren, damit wir nicht eine Situation wie in Niedersachsen bekommen." Hier werde alles einer einzigen Tierart untergeordnet, die noch nicht einmal vom Aussterben bedroht sei, kritisierte er: "Man muss der Landesregierung ganz klar sagen: Wenn Ihr das so laufen lasst, macht ihr einen ganz massiven Fehler – dann ziehen sich die Weidetierhalter zurück." (Gisela Kirschstein)
Der Sieben-Punkte-Forderungskatalog im Wortlaut
Folgende Forderungen stellt der „Wolfsgipfel“ am 24. Juni 2022 als Versammlung mittelbar und unmittelbar Betroffener der Wolfssituation aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz an die Politik:
1. Die Wolfssituation und die damit zusammenhängenden Sorgen der Landbevölkerung und insbesondere der Weidetierhalter in Rheinland-Pfalz müssen ernst genommen und bei den politischen Entscheidungen zum Wolf stärker berücksichtigt werden.
2. Der „günstige Erhaltungszustand“ für den Wolf muss definiert werden.
3. Das derzeitige Wolfsmanagement muss umgestaltet und darauf ausgerichtet werden, den Wolfsbestand aktiv und unter Berücksichtigung dessen dynamischer Entwicklung zu managen – unter der Prämisse, Schaden von Mensch und Tier abzuwenden. Die Größe der Präventionsgebiete muss überprüft und gegebenenfalls weitere
Regionen aufgenommen werden.
4. Die Strategie des flächendeckenden Zaunbaus muss unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Umsetzbarkeit und des dabei erfolgenden Eingriffs in die Natur und den Lebensraum vieler Wildtiere überdacht werden.
5. Präventionsmaßnahmen wie der Weidezaunbau und der Anspruch auf Schadensersatz bei Wolfsrissen müssen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden.
6. Das Haftungsrisiko der Tierhalter, deren Herde durch Wölfe in Panik gerät und beispielsweise aus der Umzäunung ausbricht, sich dabei verletzt oder gar Schäden bei Dritten verursacht, muss vom Land übernommen werden, auch wenn ein gesicherter Wolfsnachweis nicht vorliegt.
7. Der Biotopschutz durch Beweidung muss auch auf schwer zugänglichen und nicht einzäunbaren Flächen weiterhin möglich sein. Dafür müssen
entsprechende wolfsfreie Zonen ausgewiesen werden.
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