Altenkirchener Akademie für Land und Jugend: Umstrukturierung in vollem Gang
Sie ist ein Juwel, was Lage, Ausstattung und Weiterbildungsangebote umfasst: die Evangelische Akademie für Land und Jugend im Altenkirchener Dieperzbergweg. Auf Rosen gebettet ist sie jedoch schon geraume Zeit nicht mehr.
Altenkirchen. Es ist beinahe mucksmäuschenstill an diesem sonnigen Nachmittag in dem großen Komplex am Dieperzbergweg: verwaiste Büros, nicht genutzte Seminarräume, keine Übernachtungsgäste. Eine fast schon be- und erdrückende Leere empfängt den Besucher in einer der Toplagen von Altenkirchen. Die Evangelische Akademie für Land und Jugend, besser bekannt unter der Bezeichnung Landjugendakademie (LJA), ist beinahe ausgestorben und das gerade dort, wo sonst viele Menschen ein- und ausgingen, sich über einen oder mehrere Tage weiteres Rüstzeug fürs Leben holten oder intensiv diskutierten. „Die Bildungsarbeit findet statt“, versucht Tobias Schmidt von den ersten, ein wenig ratlos machenden Impressionen abzulenken, die der Besucher aufgenommen hat. Das Haus stehe offen, es könne für Tagesveranstaltungen belegt werden, ergänzt er. Gemeinsam mit Meike-Mirjam Drey hat Schmidt die kommissarische Leitung inne. Dreys Fachgebiete sind Jugendbildung und Jugendsoziologie, Schmidts die evangelische Familienbildung und die Finanzen. Womit wir beim Thema wären. Der Übernachtungsbetrieb ist komplett eingestellt, somit auch die Vollverpflegung aus der einstmals für ihre sehr gute Qualität bekannten Küche gestrichen. Teilnehmer von Tagestagungen müssen jedoch nicht auf kalte und warme Getränke sowie ein Häppchen hier oder ein Stück Kuchen dort verzichten, „nicht auf das, was möglich ist“, erklärt Schmidt und stellt die komplette Situation unter das Stichwort „Umstrukturierung“, die auch eine Personalreduzierung einforderte. Rund ein Dutzend Mitarbeitende mussten, so Schmidt, entlassen werden.
Unterschiedliche Gründe
Die Gründe für diese Abkehr vom viele Jahre lang gewohnten breit gefächerten Alltagsgeschäft sind mannigfaltig und hätten sich schon vor der Corona-Pandemie als „schleichender Prozess“ dargestellt, wie es Schmidt formuliert. Das flächendeckende Auftreten des Virus, weswegen das Haus auch mehrfach komplett geschlossen werden musste, habe den Trend verstärkt. Der Vormarsch der Verlagerung von Weiterbildungsangeboten auf Online-Plattformen zeige Wirkung, eine Dezentralisierung sei erkennbar, „zudem“, so fügt Schmidt an, „sind die Budgets für zusätzliche Seminare oder Kurse knapper geworden.“ Auch habe sich schon vor 2020 abgezeichnet, dass sich die Aufenthaltszeiten der Teilnehmer im Haus reduziert hätten. Dennoch würden die Träger, die Evangelische Kirche in Deutschland, die Evangelische Kirche im Rheinland als auch die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, hinter der Akademie stehen. „Alle verändernden Strukturprozesse werden mit ihnen abgestimmt, wir arbeiten also auch an einer Schärfung unseres Profils. Wir sind auf der Suche nach einem tragfähigem Konzept“, blickt Schmidt auf den Schwerpunkt der Arbeit dieser Tage. Und dabei kommt sowohl Drey als auch ihm die jeweils schon zeitlich lange Tätigkeit vor Ort zugute. Sie arbeitet bereits seit zehn, er sogar schon seit zwölf Jahren in der LJA.
Angebote auf der Homepage
Ob irgendwann einmal die Bezeichnung „kommissarisch“ gestrichen wird, ob das Duo irgendwann einmal seiner Posten enthoben wird, Schmidt vermag es nicht zu beurteilen. Und wie lange die Phase der Änderungen noch anhalten wird, kann er ebenfalls nicht abschätzen. „Alles ist offen. Wir sehen uns jeden Tag neuen Herausforderungen gegenüber, machen Lösungsvorschläge, die von der Entwicklung schnell überholt werden können, tauschen uns mit den Trägern und anderen Akademien aus, die in einem Netzwerk verbunden sind“, beschreibt Schmidt, wie die Grundlage für den Fortbestand garantiert werden soll. Ob alles fruchtet, vermag auch er nicht zu beurteilen. Wie in solchen Fällen üblich, stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt. Wenigstens zeigt der Blick auf den Veranstaltungskalender auf der Homepage, dass bis in den Oktober des kommenden Jahres hinein schon Angebote terminiert sind. Die aktuelle Situation rund um den Krieg im Osten Europas bedingt, dass Schmidt eine Anfrage aus dem Kreishaus vorliegt, inwieweit Flüchtlinge aus der Ukraine eine vorübergehende Bleibe in den rund 70 Zimmern finden könnten.
Ein Blick zurück
Wie gut die Zeiten einst waren, zeigt die Tatsache, dass die Akademie nach der Grundsteinlegung im Jahr 1957 (20. Oktober) und der Eröffnung am ersten Advent 1958 zweimal erweitert wurde. Mitte der 1980er-Jahre gesellten sich zunächst ein neues Gästehaus und ein Pavillon hinzu. Vor 17 Jahren wurde das Gebäude um einen weiteren Flügel ergänzt, so dass ein zum Weyerdamm hin geöffnetes „U“ entstand. 1,4 Millionen Euro hatte das Projekt mit der räumlichen Erweiterung (unter anderem bis auf 71 Einzel- und Doppelzimmer aufgestockt) gekostet, zusätzlich waren 1,5 Millionen Euro in die Sanierung des alten Trakts geflossen. „Die Kreisstadt Altenkirchen … ist die Wahlheimat der Evangelischen Landjugendakademie. Die geografische Lage ist günstig: 50 km vom Rhein entfernt, 55 km von Bonn, 120 km von Frankfurt, ist sie für Besucher aus Nord, Ost, Süd und West gut erreichbar. Diese Lage kommt dem Auftrag entgegen: Die Akademie, eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist das Arbeitszentrum der Evangelischen Jugend auf dem Lande, die sich als Aktion der Evangelischen Kirche in Deutschland versteht“: Mit dieser Beschreibung, die dem ersten Prospekt aus dem Jahr 1957 entnommen wurde, begann Dr. Otmar Hesse im Heimatjahrbuch 1988 des Kreises Altenkirchen seine Würdigung zum 30. Geburtstag der LJA. Hesse selbst leitete die Geschicke des Hauses von 1976 bis 1988. Es folgten Gerd Kolakowski (1988 bis 1992), Dieter Sonnentag (1992 bis 2011/zunächst als Vakanzvertretung) und Anke Kreutz (2011 bis 2020). Vor ihnen waren am Ruder gewesen: Johannes Hasselhorn (1957 bis 1960), Friedrich Bremer (1960 bis 1965), Joachim Klieme (1965 bis 1972) sowie Helmut Grün (1972 bis 1976).
Gäste aus aller Herren Länder
Hesse führte damals weiter aus: „Fast 30 Jahre später lässt sich feststellen. Die Ortswahl Altenkirchen wurde nie bereut, wenngleich heute Zweifel im Blick auf die ,zentrale Lage’ Altenkirchens laut werden. Die evangelische Landjugendakademie … ist zu einem ,Markenbegriff’ für Jugend- und Erwachsenenbildung im Rheinland, in der Bundesrepublik Deutschland und in vielen europäischen und nichteuropäischen Ländern geworden. Mehr als 2000 Menschen haben seit 1959 jährlich das Haus besucht, darunter Menschen aus Argentinien, Brasilien, Chile, den USA, aus Namibia, Südafrika, Ägypten, Marokko, aus Israel, aus der DDR, aus Frankreich, Rumänien, Großbritannien, der Schweiz, Österreich usw.“ (vh)
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