Geiselnahme in Betzdorf nach Entscheidung beim Bundesgerichtshof erneut verhandelt
Von Wolfgang Rabsch
Am Mittwoch, 16. November, verhandelte die 1. Strafkammer beim Landgericht Koblenz ein Strafverfahren, welches nach einer teils erfolgreichen Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen wurde. Den Vorsitz in diesem Gerichtsverfahren hatte Richter am Landgericht Thomas Metzger inne.
Region. Das Gerichtsverfahren gegen den afghanischen Staatsbürger hatte im Kreis Altenkirchen für großes Aufsehen gesorgt. Unter anderem wurde dem Angeklagten seitens der Staatsanwaltschaft Koblenz folgendes vorgeworfen: Betäubungsmittel an Minderjährige verkauft zu haben, Nötigung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und sexuelle Nötigung, so wie versuchte, gefährliche Körperverletzung begangen zu haben. Der AK-Kurier hatte berichtet.
Nach sehr ausführlicher Beweisaufnahme im Juni 2021 wurde das folgende Urteil verkündet:
Der Angeklagte wird wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung sowie Geiselnahme unter Einbeziehung des Urteils des LG Gießen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, wobei zwei Monate von dieser Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer als verbüßt gelten. Daneben wurde eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt, wegen sexueller Nötigung, Verkauf von Betäubungsmitteln (BTM) an Minderjährige in zehn Fällen und wegen des gewerbsmäßigen Handels mit BTM. Mithin hat der Angeklagte insgesamt zehn Jahre zu verbüßen, wobei die erlittene U-Haft von bereits 19 Monaten angerechnet wird.
Gegen diese Beschlussfassung legten die Anwälte des Angeklagten Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Kürzlich gab der BGH durch Teilaufhebungsbeschluss seine Beschlussfassung bekannt: Der Vorwurf der gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zehn Fällen wird nach Ansicht des BGH nicht als gewerbsmäßiges Handel treiben gesehen, der Ausdruck gewerbsmäßig hat in der Urteilsformel zu entfallen. Des Weiteren wird der Ausspruch über die Gesamtstrafen aufgehoben, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wurde verworfen.
Im Hinblick auf die Freiheitsstrafe von vier Jahren wegen des Hauptvorwurfs der Geiselnahme rügt der BGH, dass die Strafkammer nicht berücksichtigt hat, dass durch die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Vorverurteilung zur Bildung von zwei Gesamtstrafen die Strafkammer einen möglicherweise für den Angeklagten sich ergebenden Nachteil infolge einer zu hohen Gesamtstrafenbildung auszugleichen hat.
Da der BGH lediglich das gewerbsmäßige Handel treiben mit BTM und den Ausspruch über die Gesamtstrafen bemängelte, musste keine neue Beweisaufnahme durchgeführt werden.
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte zwei getrennte Gesamtstrafen. Für den ersten Tatkomplex unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts Gießen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten (Fälle 1 bis 4) und eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren (Fälle 5 bis 16).
Rechtsanwalt Herzog und Rechtsanwalt Böhm, beide Pflichtverteidiger des Angeklagten, sahen den Angeklagten eher als Opfer eines Kulturschocks, nachdem er mit seiner Familie und dem Umweg über Tadschikistan mithilfe eines Schleppers nach Deutschland eingereist war. Hier wollte er seiner Familie, Ehefrau und drei Kinder ein besseres Leben bieten. Die Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland war für den Angeklagten ein sehr großes Problem, da die Frauen in Afghanistan sich praktisch den Männern unterwerfen müssen und sozusagen über keinerlei Rechte verfügen. Auch den Umgang mit den Behörden kannte er aus Afghanistan nicht. In der Haft sei der Angeklagte ein anderer Mensch geworden, er hätte genügend Zeit gehabt, über sein Leben nachzudenken. Er wolle ganz neu anfangen, zumal er sich mit seiner geschiedenen Ehefrau wieder ausgesöhnt habe und in ständigem Kontakt mit ihr und den Kindern stehe. In der JVA arbeitet der Angeklagte in der Bäckerei, nebenher besucht er Deutsch– und Mathematikkurse.
Rechtsanwalt Herzog beantragt für den Angeklagten eine gesonderte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und für den zweiten Tatkomplex eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten, wobei eine Kompensation von zwei Monaten wegen der überlangen Verfahrensdauer eingerechnet werden soll. Rechtsanwalt Böhm schloss sich diesem Antrag weitestgehend an und meinte: „Als Strafverteidiger kann ich nicht die Taten verteidigen, aber den Menschen. In Afghanistan ist der Konsum von Drogen und Gewalt gegen Frauen normal“. In seinem letzten Wort schloss sich der Angeklagte seinen Verteidigern an, er bat nochmals um Entschuldigung und Vergebung für seine Taten.
Urteil im Namen des Volkes
Unter Auflösung des Urteils des Landgerichts Gießen und Auflösung der dort gebildeten Einsatzstrafen wird der Angeklagte zum ersten Tatkomplex zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, wobei zwei Monate als Kompensation angerechnet werden. Im Hinblick auf den zweiten Tatkomplex wird gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verhängt, beim Verkauf von BTM an Minderjährige wird ein minderschwerer Fall festgestellt. Der Angeklagte hat mithin insgesamt acht Jahre und sechs Monate Strafhaft zu verbüßen. Die erlittene Untersuchungshaft wert angerechnet.
Nach erfolgter Rechtsmittelbelehrung wurden seitens der Prozessbeteiligten keine Erklärungen abgegeben.
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