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Pressemitteilung vom 02.12.2022    

Neues Bürgergeld: Westerwälder Betroffene kamen zu Wort

"Es war in den letzten Wochen der politischen Auseinandersetzung um das neue Bürgergeld beschämend, wie leichtfertig und oft unwissend in der Öffentlichkeit über uns sowie unsere Einstellung zu Arbeit und Sozialleistungen gesprochen wurde“! Darin stimmten die Teilnehmenden eines Kurses des Vereins "Projekt Arbeit und Lernen" (PAuL) überein. Als Westerwälder, die von "Hartz IV“ leben müssen, waren sie von Äußerungen in den Medien und von Politikern enttäuscht, da sich ihre meist schwierige Lebenssituation darin nicht widerspiegele.

Bei der AWO-Gemeindepsychiatrie in Bad Marienberg kam eine Gruppe des Forums Soziale Gerechtigkeit mit von Grundsicherung oder Eingliederungshilfe lebenden Beschäftigten ins Gespräch. (Fotos: Forum Soziale Gerechtigkeit)

Westerwald. PAuL-Standortleiterin Elisabeth Dietz-Bläsner ließ die Teilnehmenden einleitend wissen, dass sie wenig Verständnis dafür aufbringen könne, wie bei der Überwindung des Hartz-Systems Menschen am unteren Rande der Gesellschaft verleumdet und gegeneinander in Stellung gebracht würden. Als Gesprächspartner begrüßte sie Uli Schmidt als Sprecher des Forums Soziale Gerechtigkeit. Dieser zeigte sich in einführenden Bemerkungen davon überzeugt, dass das neue Bürgergeld als künftige Grundsicherung auch im Westerwald mehr Respekt und Chancen für die Leistungsberechtigten schaffe. Die Gesellschaft müsse jedoch einsehen, dass viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeitsfähig seien. "Und die wenigen, die könnten, aber nicht wollen, kriegen wir auch mit noch so viel Druck und Sanktionen nicht in die Arbeitswelt integriert“, sagte Schmidt. Nun sei es für das Jobcenter und die Fortbildungsträger hoffentlich eher möglich, die begrenzten Mittel und das knappe Personal auf die Mehrheit derjenigen zu konzentrieren, die sich qualifizieren und die arbeiten wollen – und das auch können.

Nach einem kurzen Abtasten öffneten sich die Teilnehmenden in dem Gespräch und berichteten offen über ihre oft durch Herkunft und manchmal schwierigem Elternhaus geprägten Lebenssituation und mit dem Bürgergeld verbundenen Hoffnungen. "Ich trage bei jedem Wetter pünktlich die Zeitung aus – kann mir so was dazu verdienen, um mich einigermaßen gesund ernähren zu können“, meinte ein Kursteilnehmer. Der Wäller fügte hinzu, dass er die Diskussion um das Bürgergeld nicht näher verfolgt habe, da er viele Äußerungen schlicht nicht ertragen könne und er dadurch nur demotiviert werde. Eine Kollegin wies darauf hin, dass für viele von ihnen nicht die bequeme soziale Hängematte gesucht werde, sondern nach vielen Schicksalsschlägen eine Welt zusammengebrochen sei.

"Ich habe mich lange dagegen gesträubt, zum Amt zu gehen und Hilfe zu beantragen, aber irgendwann ging es nicht mehr anders – es war für mich ganz bitter, den Antrag stellen zu müssen“, meinte eine Teilnehmerin. Eine Migrantin mit noch ausbaubaren Deutschkenntnissen sagte, dass sie unbedingt in der Kinderbetreuung arbeiten wolle, wozu aber ein weiterer Sprachkurs notwendig sei, der aber bisher nicht genehmigt wurde. "Es werden doch dringend Leute in der Kita gesucht, das verstehe ich deshalb nicht“, meinte sie enttäuscht.

Ein wichtiges Thema war laut Pressemitteilung des Forums Soziale Gerechtigkeit die Inanspruchnahme der "Tafel“. Es wurde berichtet, dass auch die Ausgabestellen im Westerwald, bei denen Bedürftige Lebensmittel abholen können, unter großem Druck stünden. "Immer mehr Wäller brauchen Hilfe, doch die eingesammelten Spenden reichen nicht mehr, um allen zu helfen“, sagte eine Leistungsempfängerin. Sie meinte weiter: "Zunächst bin ich nicht zur Tafel gegangen, da mein Kopf das nicht wollte – jetzt habe ich mich überwunden, aber es ist leider immer weniger Hilfe möglich“. Hierzu wurde noch angemerkt, dass die Tafeln vom Ehrenamt getragene Initiativen seien, die inzwischen aus den sozialen Unterstützungsstrukturen des Landes nicht mehr wegzudenken sind.



Geklagt wurde darüber, dass die gesellschaftliche Teilhabe oft schon dadurch erschwert werde, dass die Mobilität in Form eines bezahlbaren ÖPNV nicht gewährleistet sei. "Mit dem 9 Euro-Ticket war das im zurückliegenden Sommer plötzlich möglich und viele haben das genutzt“, sagte ein Teilnehmer. Mit dem nun beschlossenen 49 Euro-Ticket sei das kaum möglich, da zu teuer. "Helfen würde uns ein 29 Euro-Ticket, das der Summe entspricht, die im Regelsatz für Mobilität vorgesehen ist“, meinte ein anderer Teilnehmer. Er frage sich, ob es sinnvoller sei, weiterhin lieber zu oft leere Busse und Nahverkehrsbahnen durch den Westerwald fahren zu lassen.

Die aktuelle Diskussion um Schonvermögen und übergroße Wohnungen der Leistungsbezieher führte bei allen zu Kopfschütteln. Das betreffe die Anwesenden nicht und auch landesweit seien nur wenige davon betroffen, die meist unverschuldet von heute auf morgen durch den Rost fallen. "Dann dauert das nur etwas länger, bis sie ganz unten ankommen“, sagte eine Teilnehmerin empört.

Übereinstimmung bestand darin, dass das Jobcenter sowie andere beteiligte Behörden und Bildungsträger bei Jugendlichen, die ihren Weg im Leben noch suchen, mit mehr Druck und erhöhtem Einsatz vorgehen dürfen sollten. "Wenn die mangels Orientierung von zu Hause die richtigen Weichenstellungen verpassen, steht ihnen oft ein Leben als Leistungsempfänger/in bevor“, sagte eine ältere Gesprächsteilnehmerin. Projekte wie "Juwel“ in Montabaur seien hier eine sinnvolle Einrichtung des Jobcenters.

Uli Schmidt würdigte zusammenfassend das neue Bürgergeld als wichtig für den sozialen Frieden auch im Westerwald, das die steile Rutsche in die Armut etwas entschärfe. „Der Kompromiss zwischen Ampel und Union zum Bürgergeld enttäuscht aber auch Hoffnungen, die mit einer beispiellosen Desinformations- und Entsolidarisierungskampagne auf dem Rücken der Ärmsten zunichte gemacht wurden“, wird Schmidt in der Pressemitteilung des Forums zitiert. (PM)



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