Pressemitteilung vom 20.05.2023
Digitale Technologien und der Tod
Forschende der Universität Siegen untersuchen, wie digitale Technologien Sterbende und Hinterbliebene unterstützen können.
Siegen. Über den Tod spricht niemand gerne. "Damit nimmt man sich die Möglichkeit, das eigene Lebensende angemessen vorzubereiten oder auch die Zeit nach dem Tod zu gestalten", so Ruben Albers, der an der Universität Siegen unter der Leitung von Prof. Dr. Marc Hassenzahl zu Mensch-Computer-Interaktion forscht. Er ist sich sicher, dass in Zukunft die Technologie unsere Erfahrungen mit dem Tod zunehmend prägen wird. "Es zeichnen sich bereits Trends ab, wie die Präsenz von Verstorbenen in virtuellen Räumen und die wachsende Bedeutung digitaler Hinterlassenschaften", so Albers.
Im Rahmen des europäisch-japanischen Forschungsprojekts e-ViTA beschäftigt sich Albers mit Technologie im häuslichen Umfeld einer alternden Gesellschaft. Dabei interessieren ihn vor allem gestalterische Ansätze für positive Erlebnisse beim Älterwerden. Schon heute spielt Technik in vielen Bereichen unseres Lebens eine wichtige Rolle - sei es bei der Gesundheit, in der Kommunikation oder bei der Arbeit. Interessanterweise wird Tod und Sterben hier oft noch ausgeblendet. Dabei weisen einige Trends bereits auf die zunehmend wichtiger Rolle von Technik hin. In sozialen Netzwerken etwa gedenken Freunde auf den Profilseiten von Verstorbenen, indem sie Fotos, Kommentare und Erinnerungen posten. So bietet Technik eine Möglichkeit, sich an eine verstorbene Person zu erinnern oder sogar mit ihr zu interagieren, beispielsweise in dem man Nachrichten schreibt.
Digitale Technik und Automatisierung haben das Potenzial, das Erleben von Tod und damit verbundenen Praktiken weitgehend zu verändern - sowohl für Sterbende als auch für Hinterbliebene. Albers weiß: "Sterbende könnten beispielsweise Technologie dazu nutzen, sich auf den Tod vorzubereiten, ihre Lebensgeschichte digital aufzubereiten und als Rückblick zu speichern. So könnte die sterbende Person selbst Rückschau halten und das eigene Leben reflektieren, aber auch ein Vermächtnis hinterlassen."
Natürlich ist die Zeit nach dem eigenen Tod nicht erlebbar - dennoch haben viele Sterbende Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft ihrer Angehörigen und bezüglich ihrer eigenen Hinterlassenschaften. Vielleicht möchten sie den Menschen, die sie zurücklassen, weiterhin helfen, für sie da sein oder ihnen zumindest in positiver Erinnerung bleiben. Hierzu hat der Wissenschaftler in Siegen bereits ein fiktives Szenario mit älteren Menschen durchgespielt und diese eine Art digitale Zeitkapsel zusammenstellen lassen mit Dingen und Erinnerungen, die sie für die Nachkommen bewahren wollen würden.
Digitale Technologien könnten auch die Art des Trauerns verändern beziehungsweise zur Trauerbegleitung dienen. Während früher die Loslösung von Verstorbenen als wichtig für die Trauerbewältigung angesehen wurde, zählt heute zu den Traueraufgaben einerseits den Verlust zu akzeptieren, aber auch dem Toten einen neuen Platz im eigenen Leben zu schaffen. Dabei könnten etwa Chatbots unterstützen: Solche interaktiven Technologien mit dialogischer Funktion sind häufig bewusst so gestaltet, dass sie Lebewesen ähneln. So könnten Bots oder Sprachassistenten entweder die verstorbene Person repräsentieren - oder sie agieren beispielsweise aus der Perspektive eines guten Bekannten, mit dem man über den Verstorbenen spricht und gemeinsam gedenkt, erklärt Albers: "Welchen Ansatz man hier wählt, hängt davon ab, welche Erlebnisse man erzeugen möchte."
Offensichtlich ist: Es stellen sich eine Menge Fragen, sowohl ethische als auch soziale und technische. Thanatotechnologien - wie man entsprechende Technik nennt - erfordern eine besonders sensible Gestaltung. Sie machen Angst, sind aber auch eine Möglichkeit, das Erinnern, das Trauern, das Sterben zu verändern. Bots versprechen sogar eine Form der Unsterblichkeit. Albers: "Was hier angemessen ist und was eher nicht, wird meine Forschung zeigen." (PM)