Altenkirchen: Kreisausschuss legt Kreistag nahe, Klimaschutzziele anzupassen
Klimaschutz ist der Sammelbegriff, so definiert es Wikipedia, für Maßnahmen, die der durch den Menschen verursachten globalen Erwärmung entgegenwirken und mögliche Folgen dieses Trends abmildern oder verhindern sollen. Der Kreis Altenkirchen definiert seine Ziele für diesen Bereich neu.
Altenkirchen. Der Klimawandel macht sich allenthalben rund um den Globus bereits mehr oder weniger deutlich bemerkbar. Die definierte maximale Steigerung der Temperatur von zwei Grad scheint kaum noch erreichbar. Deswegen gab der Kreisausschuss des Altenkirchener Kreistages in seiner Sitzung am späten Montagnachmittag (10. Juli) einstimmig grünes Licht für die Anpassung des 2012 mit den Verbandsgemeinden definierten Klimaschutzkonzeptes und damit für die in ihm beschriebenen Klimaschutzziele. Zudem beinhaltete das Votum die Empfehlung an den Kreistag, die Neufassung zu beschließen. Die Vorgaben, 30 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2025 (Grundlage Basisjahr 2009) und eine klimaneutrale Kreisverwaltung bis 2025, galten dem Kreisentwicklungsausschuss im zurückliegenden Jahr als nicht mehr zeitgemäß, darüber hinaus hatte das Gremium für eine Konkretisierung plädiert. Orientierung bei der Neuausrichtung geben die Klimaschutzziele, die das Land formuliert hat. Sie umfassen im Wesentlichen die Vollendung der Klimaneutralität in einem zeitlichen Korridor zwischen 2035 und 2040 und das Erreichen des Ausbauziels in Sachen Strom von 100 Prozent mit erneuerbaren Energien (gemessen am Stromverbrauch) bis 2030. Der Entwurf zur Anpassung wurde im Auftrag des Kreisentwicklungsausschusses (Ausschuss für Demographie, Regional- und Kreisentwicklung) vom Facharbeitskreis Klimaschutz erarbeitet. Er war mit dem Ziel gegründet worden, zur Verstetigung und Beschleunigung des Klimaschutzprozesses im AK-Land beizutragen. Ihm gehören Vertreter der Kreistagsfraktionen, der Kreisverwaltung, der Energieagentur Rheinland-Pfalz und ein kundiger Bürger an.
Einengung auf dem Stegskopf
„Es sind dicke Bretter. Wie es jetzt weitergeht, weiß ich nicht“, gab sich Landrat Dr. Peter Enders mit einem Unterton ein wenig resignierend, als das leidige Thema „Stegskopf“ und die dort - vertraglich festgezurrt – nicht für Windkraft zur Verfügung stehenden Flächen in der Diskussion aufploppte. „Naturschutzrechtliche Dinge engen uns auf dem Stegskopf ein“, ergänzte er. Das Gebiet des ehemaligen Truppenübungsplatzes gilt geradezu als prädestiniert, um Strom per großer Rotoren zu erzeugen. So forderte Udo Piske (FDP), deswegen ein Augenmerk auf außerhalb des „Sperrbezirks“ vorhandene Areale zu werfen. In der Bewertung der Ausarbeitung, die von Klimaschutzmanager Stefan Glässner erläutert wurde, meinte Benjamin Geldsetzer (SPD), dass seine Fraktion mit den Zielen sehr, sehr gut leben könne. Dr. Josef Rosenbauer (CDU) hoffte, „Windkraft auf dem Stegskopf hinzubekommen. Wir müssen mehr Druck machen, dass was entstehen kann“. Die Maßnahmen müssten auf eine Zeitschiene gebracht werden, forderte Anna Neuhof (Bündnisgrüne), „wir haben die Einschränkungen auf dem Stegskopf nicht zu verantworten“. Udo Quarz (Die Linke) war mit der neuen Fassung „grundsätzlich einverstanden“ und regte an, „Maßnahmen zu hinterlegen“. Ziele zu setzen sei das eine, die Umsetzung das andere, konstatierte Hubert Wagner (FWG) und erwartete, dass „aus einer Ecke immer Gegenwind kommt“.
Blick auf verschiedene Aspekte
Ein Blick auf verschiedene Aspekte (Auszüge aus dem Entwurf der Klimaschutzziele für den Kreis/Beschlussvorlage/100 Prozent erneuerbare Energien bis 2030):
Strom: Auf Stand des Jahres 2021, wurde ein zusätzlicher Produktionsbedarf von rund 390.000 Megawattstunden (MWh) regenerativen Stroms ermittelt. Der kreisweite Verbrauch von 480.000 MWh wurde durch regenerative Erzeugung zu 19 Prozent (90.000 MWh) gedeckt. Die Bundesregierung geht mittlerweile davon aus, dass der Verbrauch durch die Zunahmen von Elektromobilität und Wärmepumpen bis 2030 gegenüber 2021 um 30 Prozent steigen wird. Wird ein ähnliches Plus im Kreis angenommen, ergibt sich eine Lücke von 530.000 MWh. Deshalb bedarf es eines beschleunigten Ausbaus der Produktion erneuerbarer Energien, insbesondere durch Windenergie und Fotovoltaik. Derzeit liegen die installierte Wind- und PV-Leistungen bei rund 20 Megawatt (MV) bzw. 70 MW. Bei einem für die Energiewende optimalen Wind-Fotovoltaik-Ertragsverhältnis von 2:1 müssten ungefähr 138 MW an Windenergie (350 MWh/a) und 200 MW an Fotovoltaik (180 MWh/a) hinzugebaut werden. Der Windkraftausbau ist aufgrund umfangreicher natur- und artenschutzrechtlicher Restriktionen mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet. Dennoch wird der Kreis den beschleunigten Ausbau aktiv vorantreiben, um das Ausbauziel bis 2030 zu erreichen.
Windkraft: Ihr kommt grundsätzlich eine Schlüsselrolle zu. So ist ein Zubau in einem Korridor von 80 bis 140 MW erforderlich. Die Kreispolitik setzt sich für eine maßvolle Erschließung des unter Verwaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt stehenden Areals am ehemaligen Truppenübungsplatz Stegskopf ein und dringt auf eine entsprechende Änderung der vertraglichen Vereinbarungen. Angesichts der schwierigen Vertragssituation soll auch der Erwerb von Teilflächen als Option mit einbezogen werden.
Fotovoltaik und Biomasse
Fotovoltaik: Auf kommunalen, gewerblichen und privaten Dächern genießt Fotovoltaik ein hohes Maß an Akzeptanz, es besteht aber noch ein erhebliches Ausbaupotenzial. Ein Zubau in einem Korridor von 200 bis 350 MW ist erforderlich. Die Orts- und Verbandsgemeinden sollen die Möglichkeit nutzen, mit ihrer Flächennutzungs- und Bauleitplanung die Implementierung erneuerbarer Energien, insbesondere die fotovoltaische und thermische Nutzung der Sonnenenergie, vorzusehen. Fotovoltaik-Freiflächenanlagen leisten einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur klimaneutralen Energieerzeugung. Allerdings bedarf es aufgrund des im Vergleich zur Windkraft höheren Flächenverbrauchs eines sensiblen Umgangs mit landwirtschaftlich genutzten Flächen, die der Lebensmittelproduktion dienen. Vorzugsweise sollen Brachflächen und nicht vermarktbare Industrie- oder Gewerbeflächen als Standorte genutzt werden. Anlagen zur Überdachung von Parkplätzen oder zur Verschattung von Fassaden sind weitere Optionen.
Biomasse: Die Produktion von Wärme, Gas und Strom aus Biomasse soll sich auf Abfallprodukte konzentrieren, insbesondere auf Schwachholz, Gülle und biologische Hausabfälle. Der Kreis strebt mit seinem Abfallwirtschaftsbetrieb bei der Verwertung von Biomasse aus Abfällen (braune Tonne sowie Grünschnitt/Grünabfall) eine stärkere energetische Variante an. Ab Mitte 2024 geht die Hälfte der Bioabfälle in eine Kaskadenbehandlung mit Vergärung, die andere Hälfte in eine hochwertige Kompostierungsanlage. Dies ist ökologisch und klimapolitisch eine erhebliche Verbesserung zum Status Quo. Derzeit wird der komplette Bioabfall per Ferntransporte zu einer Kompostierungsanlage in Sachsen-Anhalt gefahren. Ab Mitte 2024 gehen alle Grünschnitt/Grünabfallmengen weiterhin in eine hochwertige Kompostierungsanlage mit Hygienisierung.
Mobilität und Wärme
Mobilität: Ohne eine Verkehrswende sind die Ziele der Energiewende nicht zu erreichen. Der Verkehrssektor hinkt hinterher, sowohl in Deutschland als auch im Landkreis Altenkirchen. Verkehrswende bedeutet in erster Linie die Loslösung von der Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr und die Hinwendung zu einer Vielfalt der Verkehrsformen. Eine zentrale Rolle müssen dabei der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) haben. Im Vergleich rheinland-pfälzischer Landkreise ist der Kreis Altenkirchen beim ÖPNV gut aufgestellt. Der eingeschlagene Weg soll in Qualität und Quantität verstetigt und ausgebaut werden. Der Fahrradverkehr muss gestärkt und sicherer gemacht, das Fahrrad aus der Nische „Freizeitverkehr“ herausgeholt werden. Dem Ausbau einer Radwegeinfrastruktur ist Priorität einzuräumen, damit der Alltagsradverkehr attraktiver wird. Der verbleibende motorisierte Individualverkehr muss elektrifiziert werden. Der Ausbau der E-Mobilität ist insbesondere von einer attraktiven Lade-Infrastruktur abhängig. Unternehmen und Private müssen dabei durch öffentliche Angebote, insbesondere mit Schnellladestationen, unterstützt werden. Dafür setzt sich der Landkreis Altenkirchen ein. Der Anteil elektrisch betriebener Pkw lag zum 1. Januar 2023 mit 2891 Fahrzeugen bei 3,37 Prozent (Bundesdurchschnitt 3,85 Prozent). Erklärtes Ziel der Bundesregierung sind 15 Millionen Elektrowagen auf Deutschlands Straßen bis 2030. Auf den Landkreis Altenkirchen übertragen bedeutet dies über 26.000 Elektroautos.
Wärme: Der Gebäudesektor ist angesichts eines relativ alten Bestands und eines hohen Anteils fossiler Wärmeerzeugung (insbesondere Heizöl) herausfordernd. Der Kreis befürwortet die Erstellung von Konzepten zur „Kommunalen Wärmeplanung“ auf Verbandsgemeindeebene wie etwa Nahwärmenetze. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf regional verfügbare Wärmequellen, wie etwa aufgelassene Gruben oder Abwärme von Industriebetrieben, gelegt. Im eigenen Gebäudebestand setzt der Kreis die Umstellung auf erneuerbare Energien fort und kann dabei auf Projekten wie den Nahwärmeverbund Glockenspitze in Altenkirchen aufbauen.
Klimaneutrale Verwaltung und Rolle des Kreises
Rolle des Kreises: Gegenüber den Kommunen versteht sich der Kreis insbesondere als Beratungsinstanz im Hinblick auf rechtliche und planerische Optionen sowie die Akquise von Fördermitteln. Kommunen und der Kreis arbeiten im Rahmen des Kommunalen Klimapaktes (KKP) intensiv mit der Energieagentur Rheinland-Pfalz zusammen. Bei Beschlussvorlagen an die Kreisgremien werden die Aspekte des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung stets mit bedacht.
Klimaneutrale Kreisverwaltung bis 2030: Im Bereich der eigenen Gebäuden konnten in den vergangenen Jahren Erfolge bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen erzielt werden. Die flächenbereinigten tatsächlichen Treibhausgasemissionen sanken gegenüber dem Basisjahr 2009 bis 2021 um 36 Prozent. Die größten Einspareffekte wurden durch den vermehrten Einsatz von Holzhackschnitzeln zur Wärmeerzeugung und der Fotovoltaiknutzung zur Stromerzeugung erzielt. Der Kreis wird die Fotovoltaiknutzung, die Einbindung von regenerativer Wärmeerzeugung, die Nutzung von E-Mobilität und die Steigerung der Gebäudeeffizienz durch energetische Sanierungen weiter vorantreiben.
Biodiversität und Klimafolgenanpassung
Biodiversität: Die Erhaltung einer diversen Flora und Fauna ist eine zentrale Herausforderung. Das gilt wegen ihrer grundlegenden und existenziellen Bedeutung insbesondere für Insekten. Der öffentliche Sektor, die Landwirtschaft und alle privaten Akteure sind gefordert, ihr Handeln und Wirtschaften an diesem Ziel auszurichten. Fachlich betreute und initiierte Pflanz- und Aussaatkampagnen (Streuobstwiesen, Blühender Friedhof) werden begrüßt und sollen verstetigt und ausgebaut werden. Im eigenen Bereich wird der Kreis die Herstellung von Bepflanzungen und Außenanlagen an den Bedürfnissen des Artenschutzes ausrichten und gegebenenfalls mit Informationskonzepten verbinden.
Klimafolgenanpassung: Der Klimawandel ist bereits deutlich spürbar und verursacht durch Trockenheit, Starkregenereignisse, Sturm und Hochwasser Gefahren und Schäden für Leib, Leben und erhebliche Sachwerte. Es geht auch im Kreis Altenkirchen darum, mit diesen Gefahren vorbeugend umzugehen, die Lebenswirklichkeit an diese Veränderungen anzupassen. Neben den Kommunen sind auch Gewerbetreibende und private Grundstückseigentümer maßgebliche Akteure. Es geht um Bauleitplanung, Wasserrückhaltung, Wasserführung, Wasserspeicherung für Trockenphasen, Waldbrandschutz, Einrichtung von Retentionsflächen, Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen und Vieles mehr. Die Bauverwaltungen sind in diesem Kontext auch als sachverständige Berater gefordert und können ihrerseits die Beratung durch das Kompetenzzentrum für Klimawandelfolgen in Anspruch nehmen. Die Anpassung des Brand- und Katastrophenschutzes ist im Kreis in vollem Gang, bedarf in den kommenden Jahren gleichwohl noch des Ausbaus und der Verstetigung. (vh)
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