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Nachricht vom 16.07.2023    

„Perpektivforum: Altenkirchen“: Diskussion arbeitet positive und negative Aspekte heraus

Wie präsentieren sich Städte in der Zukunft? Welche Perspektiven haben sie angesichts immer schnelleren Wandels der geschäftlichen Infrastruktur und des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Ein „Perspektivforum: Altenkirchen“ versuchte Antworten auf Entwicklungen zu finden, mit denen nicht nur die Kreisstadt konfrontiert wird.

Sie diskutierten unter der Leitung von Hans-Günter Schmidts (Mitte): Nikolai Lohmann (links), Martin Iserlohe (2. von links), Ralf Lindenpütz (2. von rechts) und Dr. Peter Enders. (Foto: vh)

Altenkirchen. Hier schließt ein Geschäft, es entsteht ein Leerstand. Dort verschwindet ein Verein, weil niemand mehr ein Ehrenamt in der Führung des Klubs übernehmen möchte. Und allgemein gilt: Das früher oft gepriesene Miteinander hat seine Schuldigkeit getan. Sind diese Entwicklungen überhaupt zu stoppen? Welche Perspektiven hat Altenkirchen, das sich längst auch dieses Strudels der negativen Einflüsse erwehren muss. Das „Perspektivforum Altenkirchen“, von der Freien Evangelischen Gemeinde (EFG) im Verlauf des zehnten Geburtstages als Folge der Fusion der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde und der evangelischen Gemeinschaft am Samstagnachmittag (15. Juli) organisiert, versuchte sich an einer Bestandsaufnahme und einem Ausblick. Unter der Leitung des stellvertretenden Gemeindeleiters Hans-Günter Schmidts diskutierten Landrat Dr. Peter Enders, Stadtbürgermeister Ralf Lindenpütz, Aktionskreis-Vorstandsmitglied Martin Iserlohe (Herrenmode Iserlohe) und der Pastor der EFG-Gemeinde, Nikolai Lohmann. Der avisierte Schulleiter der August-Sander-Realschule plus mit Fachoberschule, Gerhard Hein, hatte seine Teilnahme aus Termingründen abgesagt. Auszüge aus dem Frage- und Antwortspiel:

Schmidts: Wenn Sie einen Benefit des Ortes Altenkirchen beschreiben sollten: Was macht Altenkirchen positiv als auch negativ aus?
Lohmann: Was mich in der Verbandsgemeinde freut, ist, dass wir hier viele Menschen haben, die Christen sind, die wirklich an Gott glauben. Man merkt hier in Altenkirchen in der Allianz, dass man bereit ist für Gespräche, mit Themen unterwegs zu sein, mit Krisen gemeinsam umzugehen und eine gemeinsame Stimme zu finden, um Menschen Orientierung in Krisenzeiten zu geben. Was mich negativ berührt: In der Flüchtlingskrise mit den Menschen aus der Ukraine wurde der mangelnde Wohnraum deutlich. Wir selbst als Familie haben immer mal wieder nach bezahlbarem Wohnraum gesucht, und da merkt man, wie schwierig das ist. Denn bauen will niemand mehr, weil das viel zu teuer ist.
Iserlohe: Die evangelische Allianz bietet seit über 20 Jahren alle zwei Monate ein Stadtgebet an. Das hat die Stadt vorangebracht. Das Städtebauliche hat sich total positiv entwickelt. Wir haben eine sehr schöne Stadt, an vielen Stellen ist es sehr schön geworden. Was mit dem alten Toom-Zentrum geschieht, ist auch sehr, sehr positiv. Das Negative ist, dass die Leerstände zunehmen. Ich weiß, dass das überall im Land ein Riesenproblem ist. Das ist auch in Altenkirchen so. Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum Geschäfte nicht weitergeführt werden. Die Ärzteproblematik hat sich in den zurückliegenden Jahren sehr, sehr zugespitzt.
Lindenpütz: Altenkirchen ist als Kleinstadt gut vernetzt. Man trifft viele Menschen, die Bekannte kennen. Man trifft an vielen Stellen immer die gleichen Menschen, weil wir viele Menschen haben, die sich engagieren. Das zeichnet uns auch aus, damit sind wir stark geworden. Wir haben zurzeit unter den Menschen eine Aufbruchstimmung, einen positiven Schwung. Wir haben auf der anderen Seite relativ viel Vandalismus in Altenkirchen für so eine kleine Stadt. Es werden viele Sachen kaputt gemacht. Wir müssen wissen, dass wir Brennpunkte haben, damit wir dort arbeiten können. Das sind gesellschaftliche Probleme. Wenn wir drüber hinweg gucken und es nicht öffentlich machen, gelangt das nicht ins Bewusstsein der Menschen. Wegschauen nützt nichts. Wir müssen das aktiv angehen, nur so können wir helfen. Ich habe die Resonanz bekommen, dass es viele Menschen ärgert.
Enders: Nach meiner Schulzeit in Altenkirchen bin ich nach Marburg gezogen, habe in Köln und in Koblenz gelebt, Kurzstationen in München und in Hamburg gehabt, und war sehr oft in Mainz und Berlin. Wenn ich das alles zusammenfasse, hat Altenkirchen nur Vorteile. Ich bin öfter in Berlin und freue mich, nach 24 Stunden wieder in den Westerwald zu fahren. Wir haben ein hohes Maß an Kriminalität in den Großstädten und leider mittlerweile auch hier. Die Aktionen rund um das Rathaus und das Gesundheitsamt haben dazu geführt, die Sicherheitsmaßnahmen dort massiv zu verstärken mit hohen Kosten. Man muss sich inzwischen überlegen, ob man im Dunklen alleine durch eine Kleinstadt geht, weil Menschen asoziales Verhalten zeigen – aus welchen Gründen auch immer. Das ist für jede Kleinstadt ein Problem. Ich hadere viel mit unserer Justiz. Erziehen heißt auch mal bestrafen.

Schmidts: Was können Sie aus Ihrer Position beitragen zu einer besseren Perspektive für die Bürger dieser Stadt?
Enders: Der Kreis Altenkirchen hat jedes Jahr im Budget rund 250 Millionen Euro – zu wenig, weil wir zwei Drittel brauchen für Jugend und Soziales, für gesetzliche Aufgaben die wir aufgrund der Sozialgesetzbücher durchführen müssen. Das bindet natürlich Kräfte, weil das Geld für andere Dinge nicht zur Verfügung steht. Man muss kreative Ideen entwickeln, wie man mit dem Geld vernünftig umgeht. Das tritt, wenn man mit den Kreistagsmitgliedern in einen vernünftigen Dialog geht, der nicht auf Konfrontation, nicht auf parteipolitische Auseinandersetzung zielt, sondern gemeinsam versucht, mit dem Geld etwas Vernünftiges zu machen. Da scheitert man immer, da immer zu wenig Geld da ist – eine schwierige Aufgabe.
Lindenpütz: Wir brauchen die Kommunikation zwischen den Gremien, zwischen den verschiedenen Akteuren in der Stadt. Das Wichtigste ist Kommunikation. Wir müssen schauen, dass die Akteure einer Stadt miteinander sprechen und dass sie im Sinne der Stadt miteinander handeln und die richtigen Aktionen machen. Ich habe einige Ideen für die Stadt: Wir brauchen Baugebiete, weitere strukturelle Maßnahmen, wir brauchen Glasfaser. Wir haben ein gutes Klima und eine gute Stimmung in der Stadt. Wir brauchen mehr Miteinander als Gegeneinander. Wir müssen miteinander und nicht übereinander sprechen. Das sind alles Banalitäten. Ich erlebe das seit neun Monaten, das ist schon eine Aufgabe. Wir brauchen keine Konfrontation in den lokalen Gremien, sondern Kooperation. Mir ist es egal, von welcher Seite eine gute Idee kommt. Wir müssen schauen, welche Ideen die Stadt nach vorne bringen.
Iserlohe: Ich bin nicht nur Geschäftsmann und Einzelhändler, sondern auch im Vorstand es Aktionskreises, der gerade, wie bekannt, ein wenig schwächelt. Der Aktionskreis wird nicht mehr erfüllt. Es sollte eigentlich ein Kreis derer sein, die Aktion betreiben, die etwas anpacken, die etwas gemeinsam wuppen. Wir wünschen uns natürlich, dass wieder Aktionen stattfinden für die Stadt, dass die Stadt vorwärts kommt, attraktiv bleibt und dass Menschen gerne nach Altenkirchen kommen. Ich bin persönlich auch dazu bereit und deswegen im Vorstand. Und das alles natürlich nicht um jedem Preis. Ich glaube, dass viele Hände, die gemeinsam mit anpacken, und die Aktionen, die zu stemmen sind, besser umsetzen können als wenn es nur wenige Hände tun.
Lohmann: Es wurden schon einige Punkte genannt. Und das ist die Aufgabe, die ich als Pastor sehe, nämlich Menschen zu prägen nach den christlichen Werten und dass sie sprachfähig und mündig werden in der Gesellschaft und ihrer Umgebung, dass sie diese Werte vertreten. Ich bin ein Vertreter der Toleranz, wie sie schon viele Jahre definiert ist und nicht wie sie modern definiert ist. Wir tragen als Gemeinde bei, dass wir Leute sprachfähig machen, dass sie ihr Leben nach Gottes Wort ausrichten.



Schmidts: Versetzen wir uns ins Jahr 2028 hinein: Was würden Sie sich aus Ihren jeweiligen Funktionen heraus wünschen, was in Altenkirchen anders ist?
Lohmann: Dass die angesprochenen Themen weniger werden, dass wir es schaffen, dass gewisse Themen, die wir gemeinsam anpacken wollen, weniger werden. Man sieht, dass in Altenkirchen viel gebaut und investiert wird und dass das zum Abschluss kommt. Ich wünsche mir, dass die Menschen sich wirklich wohl fühlen und eine angenehme Atmosphäre vorfinden, dass sie gerne in den Westerwald kommen und sagen „Hier finde ich Heimat“.
Iserlohe: Wir wollen uns weiterentwickeln auch in unserem Unternehmen. Wir haben eine ganz klare Vision, den Menschen zu dienen. Und wir wollen unser Geschäft als Plattform sehen, auf der man Menschen begegnen kann. Wir leben auch unseren Glauben ganz bewusst. Wir wollen weiterhin Kaufkraft nach Altenkirchen holen und somit einen Beitrag für Altenkirchen leisten. Wir möchten, dass alles, was in der Innenstadt investiert wird, zur Vollendung kommt, dass wir weniger Leerstände haben, dass Leute den Mut haben, Geschäfte zu eröffnen, damit die Stadt attraktiver wird, und wir wünschen nuns ein gut funktionierendes Stadtmarketing.
Lindenpütz: Wir haben im Weyerdamm eine Einkaufslandschaft, wir haben hoffentlich eine Stadthalle, die wir wieder nutzen können und dürfen. Ich wünsche mir, dass wir auch richtige Maßnahmen für unsere Jugend haben. Wir haben momentan ein Defizit in der Betreuung unserer Mitbürger im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Wir wollen Maßnahmen entwickeln, um junge Menschen für Altenkirchen zu begeistern. Ich wünsche mir auch, dass der Kreis mit der Kreisstadt Altenkirchen erhalten bleibt – mit einer kompletten Infrastruktur, und das heißt auch mit einem Krankenhaus. Ich hoffe, dass irgendwann einmal die Entscheidung pro Krankenhaus in Altenkirchen getroffen wird. Ein Krankenhaus zieht Ärzte nach, ohne Krankenhaus ziehen Ärzte weg. Das ist keine Aufgabe der Stadt, sondern geht vom Land über verschiedene Träger inklusive des DRKs. Wir müssen die Stimme erheben, damit wir Klarheit haben, unsere Stadt zu stärken.
Enders: Die Zahl derer, die sich Christen nennt, nimmt von Jahr zu Jahr ab. Seit dem Zweiten Weltkrieg geht die Kurve nach unten. Ich würde mir wünschen, dass die christlichen Glaubensgemeinschaften näher zusammenrücken, die gemeinsamen Inhalte betonen und nicht die marginalen Unterschiede. (vh)



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