Ex-Airbus-Chef Enders zur Situation der Wirtschaft: Keine Panikmache, aber Sorge
Es war auch ein kleines Familientreffen: Der Nachname „Enders“ bestimmte in großen Teilen den Ablauf beim „Empfang der Wirtschaft im Kreis Altenkirchen“. Erst begrüßte Dr. Peter die Gäste, dann hielt sein Vetter Dr. Thomas (Tom) den Hauptvortrag bei der Traditionsveranstaltung in einer Werkshalle der Firma Karl Georg GmbH in Ingelbach (Bahnhof).
Kreis Altenkirchen. Der Name Enders gehört zu den wohl bekannteren in heimischen Breiten. Deswegen ist es durchaus an der Tagesordnung, wenn sich zwei Verwandte mal begegnen. So trafen sich Landrat Dr. Peter Enders und sein Vetter Dr. Thomas (Tom) Enders, der als Vorstandsvorsitzender beinahe sieben Jahre lang Chef des europäischen Flugzeugbauers Airbus war, beim „Empfang der Wirtschaft im Kreis Altenkirchen“ – und das nicht zufällig. Während Peter Enders (geboren in Eichen bei Flammersfeld) am Freitagabend (6. Oktober) die zahlreichen Vertreter heimischer Unternehmen in einer Werkshalle der Firma Karl Georg GmbH in Ingelbach (Bahnhof) begrüßte, versuchte Thomas Enders (geboren in Neuschlade bei Bruchertseifen) als Hauptredner und als Aufsichtsratsmitglied in diversen deutschen und internationalen Firmen in seinem Vortrag sowie vor dem Hintergrund des momentan um sich greifenden wirtschaftlichen Abschwungs die Frage „Industriestandort Deutschland ohne Zukunft?“ zu beantworten. Dabei legte er sein Augenmerk nicht auf altbekannte Forderungen wie niedrigere Unternehmenssteuern, Bürokratieabbau oder Wegfall unsinniger Subventionen, sondern versuchte, „ein paar Linien aufzuzeigen, die die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren prägen werden, und zwar unabhängig davon, wer in Berlin am Ruder ist“. Zunächst sei festzuhalten, dass die derzeitige Wirtschaftslage Deutschlands nicht das Ergebnis von zwei Jahren Ampel-Regierung sei, „sondern von fast 20 Jahren Reformverweigerung – vor allem in den Regierungsjahren Merkel“. Aber die Exportstärke der deutschen Industrie und die langjährige Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hätten die Strukturprobleme lange Zeit übertüncht. „Globalisierung und Öffnung der internationalen Märkte beförderten Deutschland zum Exportweltmeister. Dieses Modell hatte schon vor Corona und dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu wackeln begonnen“, stellte Enders fest, „die großen Paradigmen-Wechsel für Deutschland betreffen China/Asien, die USA und den Wandel hin zu immer mehr Protektionismus. Der Geist des freien Welthandels verkrümelt sich immer mehr, und das schon seit Jahren.“
China: Nicht nur Chance, auch Risiko
China habe in den letzten zehn Jahren unter Xi Xinping große Fortschritte beim Aufbau einer modernen High-Tech-Industrie gemacht. „China will aber nicht nur den großen heimischen Markt bedienen, sondern seine Produkte auch exportieren. Das setzt die deutsche Industrie gleich zweifach unter Druck: einmal auf dem chinesischen Markt, der für unsere Unternehmen - vor allem für die Automobilhersteller - in den letzten 25 Jahren sehr lukrativ war, und zweitens auch auf außer-chinesischen Exportmärkten, mittelfristig auch in der EU“, erklärte Enders, „China ist nicht nur dabei, uns die Märkte in China abspenstig zu machen, sondern auch andere, für die deutsche Industrie wichtige Märkte zu erobern, auch unseren Heimmarkt. Und uns in eine Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und Produkten zu treiben, die für Deutschland und Europa weit gefährlicher ist als die Abhängigkeit von russischem Gas.“ Und über alldem schwebe das Damokles-Schwert eines möglichen chinesischen Angriffs zur Eroberung Taiwans. Es sei ist unstrittig, dass sich China auf einen solchen Konflikt systematisch vorbereitet. Ein Taiwan-Krieg wäre zweifellos verheerend für die deutsche Wirtschaft, „China ist für westliche Unternehmen zunehmend nicht nur Chance, sondern auch Risiko“.
USA: Freund und Gegner zugleich
Enders nahm auch die USA in den Blick. Sie stellten Deutschland und Europa vor zwei Herausforderungen: Zum einen habe die amerikanische Sicherheitsgarantie im letzten Jahrzehnt an Glaubwürdigkeit verloren. „In Washington gibt es einen parteiübergreifenden Konsens, dass die sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei der Europäer und insbesondere der Deutschen ein Ende haben muss“, beschrieb Enders. Deutlich höhere Verteidigungsausgaben würden gefordert. Aber Deutschland trete auf der Stelle, trotz 100 Milliarden Euro „Sondervermögen”. Zum anderen hätten „Buy American” und „America First” einen ebenfalls parteiübergreifenden Protektionismus befördert. Der Inflation Reduction Act (IRA) Bidens habe die USA als Investitionsstandort so viel attraktiver gemacht. Infolgedessen hätten viele deutsche Unternehmen in den USA investiert statt in Deutschland. Enders bilanzierte: „Die USA ziehen mit dem mit mindestens 500 Milliarden Dollar dotierten IRA auch massiv Investitionen aus Deutschland und Europa ab. Das Amerika der Zukunft ist für uns Freund und Gegner zugleich. Außerdem hängen die USA die Europäer auch bei der Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz gerade massiv ab.“ Die Amerikaner seien weltführend bei den Innovationen im digitalen Zeitalter, die Europäer weltführend bei der Regulierung. Wo entstehe wohl mehr Wertschöpfung, wo mehr Arbeitsplätze, wo mehr Wohlstand?
EU: Eingriff in den freien Welthandel
Logischerweise geriet gleichfalls die Europäische Union (EU) als immer noch größter Wirtschaftsraum weltweit ins Fadenkreuz der Kritik. Enders zitierte den Journalisten Gabor Steingart: „Mit immer neuen Vorstößen, die ethisch grundiert oder auch mit der neuen Bedeutung der Sicherheitspolitik begründet werden, greift Europa in den freien Welthandel ein: Lieferkettengesetz, Green Deal, CO2-Grenzausgleichssystem und die Biodiversitätsstrategie der EU - das alles sind Initiativen, die moralische Aspekte in die Handelsbeziehungen einbauen möchten.” Und deshalb komme es kaum noch zu neuen Handelsabkommen, die die europäische und vor allem die deutsche Wirtschaft so dringend brauchten. Auch die angesichts Ukraine-Krieg und Großmächte-Konflikten so dringend benötigte gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik trete auf der Stelle. „Statt Vertiefung und Integration wichtiger Politikbereiche werden wieder Pläne zur Erweiterung der EU Richtung Balkan geschmiedet. Gleichzeitig tanzen einige osteuropäische Staaten Brüssel buchstäblich auf der Nase herum. Womöglich steht uns bald ein weiterer Balkankrieg ins Haus“, sagte Enders. Und der vielgepriesene deutsch-französische Motor stottere nicht einmal mehr. Die Unstimmigkeiten im bilateralen Verhältnis der beiden Staaten nähmen zu. Das alles seien keine guten Bedingungen und Trends für eine Exportnation und den Standort Deutschland. „Dabei habe ich das Problem dauerhaft hoher Energiepreise - als Resultat einer widersinnigen Energie- und Klimapolitik - und die verfehlte deutsche Migrationspolitik, die unseren Arbeitsmarkt, Sozialstaat und gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet, noch gar nicht angesprochen“, ergänze Enders. Zur Panikmache bestehe zwar kein Anlass, zur Sorge aber sehr wohl. Aber wohl noch nie in der bundesrepublikanischen Geschichte habe es eine solche Zusammenballung von Krisen und Herausforderungen gegeben. „Ich unterschätze nicht die strukturellen Probleme für die Industrie im nördlichen Rheinland-Pfalz und vor allem hier im Westerwald. Aber wer global denkt und agiert, innovative Produkte entwickelt, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz für sein Geschäftsmodell klug nutzt, der wird auch in Zukunft profitable Nischen finden — und wenn nicht in Deutschland, dann anderswo auf der Welt“, machte Enders all denen Mut, die sich nicht von den trüben Aussichten herunterziehen lassen.
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Peter Enders: Gastgebende Firma ist Vorreiter
„Denkt man an den letzten Wirtschaftsempfang zurück, welcher in Freusburg bei Gebrüder Schmidt stattfand, so hat sich in den knapp eineinhalb Jahren sicherlich so einiges getan. Auf der anderen Seite sind weiterhin Themen aktuell, die unser tägliches Leben und Arbeiten belasten“, hatte Peter Enders in das Treffen eingeführt, „sei es die Inflation, diverse Beschaffungsengpässe oder der Anstieg der Energiepreise, hauptsächlich bedingt durch den Krieg in der Ukraine. Zudem macht sich der Fachkräftemangel - in der einen Branche mehr als in der anderen - bemerkbar. Gerade das Thema der fehlenden Fachkräfte wird in Zeiten der ansteigenden Migration divers diskutiert.“ Langfristig könnte die Fachkräftelücke nur durch die aktive Zuwanderung von Fachkräften oder Auszubildenden aus dem Ausland geschlossen werden. „Unser Gastgeber, die Firma Karl Georg, ist auch hier wieder in einer Vorreiterrolle unterwegs, denn bereits im vergangenen Jahr wurde mit Unterstützung eines Personalvermittlers die Ausbildungsstelle der Zerspanungsmechanikerin mit einer jungen Frau aus Ruanda besetzt“, zeigte Enders auf, „auch in diesem Jahr hat sie ihren Weg fortgesetzt und konnte zwei Ausbildungsstellen mit jungen Herren aus Ruanda besetzen. Hier darf ich nochmal meine Bewunderung ausdrücken, für den Mut, neue Wege zu gehen und schwierige Zeiten als Herausforderung zu
sehen.“
2025: Staffelübergabe von Vater zur Tochter
Einen neuen Imagefilm vorausgeschickt, stellte Tim Winkel, Geschäftsführer Business Development, das gastgebede Unternehmen in groben Zügen vor, das im Jahr 1925 von Karl Georg in Neitersen gegründet worden war und sich der Stahlherstellung und dessen Verarbeitung angenommen hatte. 1938 wurde auf Puffer für Eisenbahnwaggons umgesattelt, 31 Jahre später die kurz zuvor aufgenommene Produktion von Kranrädern nach Ingelbach (Bahnhof) ausgelagert. Nach dem Tod des Firmengründers im Jahr 1985 übernahm dessen Enkel Michael Schnaufer die Geschäftsleitung, die er bis heute als geschäftsführender Gesellschafter inne hat. 2025 wird ihn seine Tochter Dr. Kathrin Schnaufer auf dieser Position beerben. Aktuell sind in der Nähe des Bahnhofes Ingelbach 144 Mitarbeiter beschäftigt. Vieles, was mit Kranrädern zu tun hat, wird im direkten Export in 55 Länder geliefert. „3000 Laufradeinheiten verlassen das Werk pro Monat“, berichtete Winkel und betonte, dass das Unternehmen sehr großen Wert auf eine gute Atmosphäre lege, in der „man gerne arbeitet“. Die Energie, die die Firma benötigt, werde zum großen Teil bereits in Eigenregie erzeugt. Derzeit ist die Fotovoltaikanlage mit 730 Kilowattpeak ausgelegt. Ein neues Verwaltungsgebäude und eine weitere Produktionshalle mit 2000 Quadratmetern werden das Gebäudeensemble an der Karl-Georg-Straße alsbald ergänzen.
Überraschung: Großer Scheck für „Fly&Help“
Thomas Bellersheim forderte als IHK-Vizepräsident die „Fokussierung auf gemeinsame Ziele“. Die Region habe starke Unternehmer und Mitarbeiter. Der Vortrag von Enders habe zum Nachdenken über den Standort Deutschland angeregt. Völlig auf dem falschen Fuß erwischt wurde Moderator Reiner Meutsch, als die Führung des Unternehmens ihm einen Scheck über 60.000 Euro überreichte. Mit dem Geld kann der Gründer der Stiftung „Fly&Help“ eine weitere sechsklassige Schule in einem Entwicklungsland bauen lassen. Zunächst sprachlos (und das ist der schlagfertige Meutsch selten) erklärte er, dass inzwischen schon über 750 Schulen in den ärmsten Ländern der Erde errichtet worden seien. Der Musikverein Brunken, der im Jahr 2026 seinen 100. Geburtstag feiert, umrahmte die Kooperationsveranstaltung von Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz (Regionalgeschäftsstelle Altenkirchen), der Wirtschaftsförderung Kreis Altenkirchen, den Innungen und der Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald als auch der Wirtschaftsjunioren Sieg-Westerwald vor über 250 Gästen mit mehreren musikalischen Beiträgen, von denen vor allem das Stück „Music“ von John Miles für sehr viel Beifall und bei einigen Gästen sogar für Gänsehaut sorgte. (vh)
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