Altenkirchener Klinik-Aus hat für Buchautor Strohschneider viele Parallelen
Die Hospitallandschaft in Deutschland befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Aufgrund vieler finanzieller Nöte müssen vor allem kleine Kliniken schließen. Dr. Thomas Strohschneider analysiert diese Situation in seinem Buch "Krankenhaus im Ausverkauf", aus dem er Passagen in Altenkirchen vortrug.
Altenkirchen. Die Bevölkerung in Altenkirchen und Umgebung steht in Deutschland nicht alleine da. Sie weiß sich in guter Gesellschaft, denn auch in vielen anderen Landstrichen müssen Krankenhäuser schließen. Dr. Thomas Strohschneider, Autor des Buches „Krankenhaus im Ausverkauf“ und viele Jahre Chefarzt einer privatwirtschaftlich geführten Klinik, analysierte bei einem Vortrag im Altenkirchener Hotel Glockenspitze auf Einladung der Wählergruppe Käppele und des Betriebsrates des Altenkirchener Krankenhauses vor rund 100 Interessierten die sich immer mehr zuspitzende Situation aufgrund der Streichung der medizinischen stationären Versorgung und beleuchtete Hintergründe für diesen „Trend“. Ralf Käppele, Namensgeber der Wählergruppe und Kreistagsmitglied, betonte, Strohschneiders Buch lese sich wie ein Krimi. Es sei „beeindruckend und zugleich bedrückend" und zeige deutlich die Folgen auf, was geschehe, „wenn sich ungebremst rein marktwirtschaftliche Mechanismen in dem dafür nicht vorgesehenen Gesundheitssystem breitmachen". Der genossenschaftliche Ansatz gehe verloren; in ein Gesundheitssystem fließendes Steuergeld und Krankenversicherungsbeiträge dürften, so Käppele, nicht dafür verwandt werden, den Shareholder Value (Aktionärswert) von Klinikkonzernen zu steigern. Es sei Aufgabe der Politik, diesem zu Lasten der Patienten und der ärztlichen Ethik gehende „Treiben“ Einhalt zu gebieten. Dr. Isabella Jung-Schwandt als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und Mitglied der Wählergruppe zog erstaunliche Parallelen zur Krankenhausschließung in Altenkirchen.
Immer wieder das gleiche traurige Bild
Mit einem Foto des Altenkirchener Krankenhauses im Hintergrund, versicherte Strohschneider, dass das der Bevölkerung hier vor Ort widerfahrene Szenario genau das sei, was er in allen Teilen Deutschlands derzeit erlebe. Er reise zurzeit ein bis zweimal die Woche durch die Republik und treffe immer wieder auf das gleiche traurige Bild. „Kleine, vor allen Dingen im ländlichen Raum stehende Kliniken der Grundversorgung gehen insolvent und müssen schließen, ohne dass Rücksicht genommen wird auf die eigentlich gesetzlich vorgeschriebene medizinische Versorgung“, stellte Strohschneider dar. So zeigte er nicht nur die Historie der Fehlentscheidungen im Gesundheitssystem seit Norbert Blüm auf. Er widerlegte auch immer wieder politisch verwendete „Totschlagargumente “ wie eine etwaige unkalkulierbare Kostenexplosion im Gesundheitswesen und verwies darauf, dass Gutachten zum Bedarf von Krankenhäusern zwar von unterschiedlichen Stellen in Auftrag gegeben würden, jedoch immer die gleiche Person hinter der Erstellung dieser Gutachten stehe. Strohschneider führte eindrucksvoll aus, zu was die Gesundheitsreform von 1985 geführt habe. War es bis dahin Verpflichtung, erwirtschaftete Gewinne wieder in das Gesundheitswesen zu reinvestieren, wurde mit Abschaffung dieser Verpflichtung die Tür geöffnet, erwirtschaftete Renditen dem Solidarsystem zu entziehen. Die Auswirkungen machte er eindrucksvoll an persönlich erlebten Beispielen deutlich.
Pekuniäre Gesichtspunkte im Vormarsch
Erschreckend für Strohschneider ist, dass der Mensch als Ganzes und seine Gesundheit pekuniären Gesichtspunkten weichen müsse. Das DRG-System (Diagnosis Related Groups) zur Kostenerstattung bei den Krankenkassen habe auch zu einer Drehtürmedizin geführt. Der Autor machte dies am Beispiel eines reparaturbedürftigen Pkw deutlich. Im jetzigen Medizin-System müsste der Werkstattleiter zunächst beispielsweise nur den Motor reparieren, nach sechs Wochen die Bremsen und nach weiteren sechs Wochen dann etwa die Kupplung. Kein Mensch würde sein Auto in so einer Werkstatt reparieren lassen, denn man möchte ja sofort ein funktionsfähiges sicheres Auto. Da man für einen Patienten aber jeweils nur für seine Hauptdiagnose Geld erhalte, müsse im System der DRG jede Krankheit in angemessenem Abstand einzeln behandelt werden, um eine entsprechende Honorierung für die erbrachte Leistung zu erhalten. Bei allem Verständnis, das Strohschneider für die Situation der kaufmännischen Direktion eines Krankenhauses aufbringt, denn sie sei nicht schuld an diesem Abrechnungssystem, habe dies sogar dazu geführt, dass Patienten mit multiplen Erkrankungen, so beschriebene „Non-Profit-Patienten“, erst gar nicht im Krankenhaus aufgenommen würden.
Gewinnbringende Optimierung
Ärzte und Pflegekräfte bekämen mehr Schulungen, wie man in der Dokumentation zu höheren Erlösstufen komme - im Gegensatz zu medizinischen oder ethischen Fortbildungen. Strohschneider: „Ungeachtet des eklatanten Fachkräftemangels werden Tausende von Ärzten und Pflegekräften entweder beim medizinischen Dienst oder im Krankenhaus eingesetzt, um die Abrechnungen zu überprüfen oder gewinnbringender zu optimieren.“ Beide Seiten unterstellten sich dabei Betrug. Anstatt Abbau von Bürokratie habe das DRG-System eine neue Bürokratieblase hervorgebracht. Dem Fachkräftemangel könne man auch nicht dadurch begegnen, indem man kleine Häuser schließe. Gerade auf dem Land sei nicht davon auszugehen, dass eine Pflegekraft in Teilzeit, wenn „ihr“ Krankenhaus geschlossen werde, sich in ein weit entfernteres Haus versetzen ließe. Dies sei in den meisten Fällen nicht mit ihrer familiären Situation kompatibel, und die Pflegekraft würde ganz aus dem Beruf aussteigen. Hierdurch verschärfe sich der Mangel.
Krankenhausverweildauer kontinuierlich gesunken
Dass sich in aller Munde befindliche Wort der „Ambulantisierung“ erreiche irgendwann seine Grenzen. Strohschneider wies nach, dass die Krankenhausverweildauer durch immer bessere Operations- und Behandlungsmöglichkeiten kontinuierlich gesunken sei, dies jedoch eine Grenze zwischenzeitlich erreicht habe. Diese Entwicklung sei bereits weit vor der Einführung des DRG-Systems eingetreten. Das Argument für die Einführung des DRG-Systems, die Verweildauer in den Krankenhäusern zu reduzieren, sei daher widerlegt worden. Eine ambulante Behandlung könne sinnvoll nur ausgebaut werden, wenn ein gutes stationäres Back-up im Hintergrund vorhanden sei, um Komplikationen gut und sofort vor Ort zu behandeln. Ein Krankenhaus zu schließen und dafür die Struktur eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) zu errichten, ersetze in keinem Fall eine Basisversorgung der Bevölkerung. Ebenso wenig tue dies ein zusätzlicher Rettungswagen oder Hubschrauber. Notfälle passierten selten in angemessenen Zeitabständen und neigten zur Kumulation. Mit einem MVZ, so Strohschneider, würden der Bevölkerung häufig Versprechen gemacht, die dann nicht zu halten seien. Zunehmend würden MVZ von Investmentgesellschaften gekauft, um sie keine fünf Jahre später gewinnbringend zu veräußern: „Ich sehe einen weiteren Tsunami auf unsere Gesundheitsversorgung zukommen.“
Machenschaften privater Klinikanbieter
Auch auf die Machenschaften privater Klinikanbieter ging Strohschneider ein. Die Verknüpfung von großen Klinikeigentümern, der Pharmaindustrie, deren internationalen Verbindungen als auch ein undurchsichtiges Netzwerk seien für Laien nicht zu durchschauen und zudem verknüpft mit fachfremden Spekulationen, die nur auf Rendite aus seien. Es sei ein Skandal, dass mit Geld aus der Solidargemeinschaft Renditen zu erzielen seien, wie in keiner anderen Branche. „Auch der Transfer in Steueroasen und undurchsichtige Strukturen haben System“, erläuterte Strohschneider und forderte mehr Transparenz ein, wenn sich zum Beispiel hinter dem Namen St.-Elisabeth-Klinik plötzlich Holdinggesellschaften aus China oder Bahrain versteckten. Doch auch die Reform des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach böte keine Lösung des Problems. Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz werde eher zu einer weiteren Verschlechterung der Situation führen. Zwar würden die 60-prozentigen Vorhaltepauschalen für Intensivmedizin und Notaufnahmen vordergründig gut klingen, da aber kein zusätzliches Geld in den Topf fließen und das DRG-System nicht abgeschafft werden sollten, führe dies nur zu einer weiteren finanziellen Verschlechterung kleinerer Kliniken. Die 60-prozentige Vorhaltepauschale sei zudem Augenwischerei, da 20 Prozent der Ausgaben schon heute als Refinanzierung in der Pflege vergütet würden. „Es bleiben für normale Bereiche 20 Prozent von der Pauschale, für Notaufnahme und Intensivmedizin 40 Prozent“, rechnete Strohschneider vor. Diese Zusatzvergütung werde aber von der Fallpauschale abgezogen. Dies zwinge die Kliniken zu noch mehr Fällen und zu nicht kostendeckenden Einnahmen. Alles in allem sie dies ein Nullsummenspiel und keine Verbesserung für die Grundversorger in den ländlichen Räumen.
Kein Optimismus vermittelt
Das Publikum goutierte Strohschneiders Vortrag mit lang anhaltendem Applaus. Fragen zielten natürlich in Richtung der Altenkirchener Situation: Was tun bei all dieser Ohnmacht? Optimismus konnte Strohschneider nicht vermitteln, dennoch zeigte er sich beeindruckt vom Engagement der Bevölkerung vor Ort und forderte das Auditorium auf, nicht aufzugeben und Landrat und Politik in die Pflicht zu nehmen. Die Schaffung eines MVZs mit entsprechendem Backup in einer genossenschaftlichen Struktur wäre sicherlich ein Weg, die Situation vor Ort für die Patienten zu verbessern. (vh/PM)
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