Buchtipp: "Von Aschenputtel bis Zwerg Nase - Märchen in politischen Karikaturen" von Horst Haitzinger
Von Helmi Tischler-Venter
Die Karikaturen des bekannten Karikaturisten Horst Haitzinger spannen den geschichtlichen Bogen eines halben Jahrhunderts. Viele sind absolut zeitlos, manche erschreckend aktuell. Herausgegeben wird die Rückschau in eine märchenhafte Zeitgeschichte inklusive eines Interviews mit dem Künstler von Matthias Pausch und Eckehard Roßberg.
Dierdorf/Oppenheim. Der 1939 geborene Österreicher Horst Haitzinger denkt nach eigenem Bekunden in Bildern und der übliche Zeitdruck erleichtert ihm die Märchenfindung zu einem Thema: "Die Grundsituation in der Politik ist eben häufig so, dass das eine gute Metapher ist." Beim Zeichnen habe er immer auch gewusst, was für ein Text darunter kommt, wobei der Text immer eine ergänzende Funktion hat.
In seinem Ruhestand malt er Ölbilder und ist heilfroh, "den Irrsinn, der im Moment auf der Welt passiert, nicht mehr kommentieren zu müssen." Seine Tochter arbeitet an der Digitalisierung seines Oeuvres: "Spätestens zu meinem 500. Geburtstag (lacht) wird es fertig sein und ein hübsches Geschenk."
Der vorliegende Band ist ebenfalls ein schönes Geschenk. Das allseits beliebte und zur Weihnachtszeit immer wieder gezeigte Märchen von Aschenputtel oder Cinderella ist auch bei Haitzinger ein gern genommenes Thema. Sei es für die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des DDR-Regimes, Atomenergie oder die Wahl der neuen EU-Kommission. Als Prinzessin auf der Erbse erscheint mal Leonid Breschnew, mal Recep Tayyip Erdogan und Rapunzel ist wahlweise Mehrheitsbeschafferin bei Landtagswahlen, Retterin des Opel-Konzerns oder Atomkraft-Förderin.
Schönheit ist noch immer begehrt bei Frauen, doch für die Anerkennung des Spiegels macht sich sogar Helmut Kohl fein. Die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen bilden die G7.
Nach dem Motto "Alte proben den Aufstand" treten 1991 die SPD-Parteivorsitzenden auf, verbreitet 1996 die Massentierhaltung die BSE-Seuche, wird der Parteitag der CDU 1998 in Bremen dargestellt und gewinnt 2003 Henning Scherf die Bürgerschaftswahlen in Bremen. Der Erlkönig bedroht 1975 den NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn, 1988 Finanzminister Gerhard Stoltenberg, 1993 Verkehrsminister Günther Krause, 2001 Finanzminister Hans Eichel und 2013 die FDP.
Der Goldesel ist ein anschauliches Symbol für Geldverschwendung und Gewinnsucht. EU-Kommission, Parteienfinanzierung, Bundesrechnungshof, die öffentliche Hand, LKW-Maut, Militäreinsätze und zwei Regierungssitze sind Beispiele für seinen Einsatz. Ein anderes Tier, der geprellte Froschkönig, trägt 1983 und 1984 wiederholt das Antlitz von Hans Dietrich Genscher und Holger Börner, 2015 von Franz Beckenbauer. Mit Rumpelstilzchen verbindet Haitzinger unter anderen Gregor Gysi und Donald Trump.
Das Schlaraffenland, der Rattenfänger sowie Hänsel und Gretel tauchen allegorisch auf, ganz oft werden Hase und Igel mit politischen Elementen verglichen: Finanzlobby, Sozialversicherung, wachsende Weltbevölkerung und Neo-Nazi-Propaganda sind Beispiele. Das Rotläppchen personifiziert eher gutgläubige und der Wolf populistische Politiker. Diese sind oft Kreide fressende Wölfe im Schafspelz, die es nach kleinen Geißlein gelüstet.
Selten, aber ebenso treffsicher verarbeitet Haitzinger Hauffs Märchen in seinen Karikaturen. Die 94 Schwarz-Weißzeichnungen und 34 Aquarelle im Din A 4-Format erfreuen jeden Haitzinger-Fan.
Das Buch ist im Nünnerich-Asmus Verlag erschienen, ISBN 978-3-96176-279-8. htv
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