Nicole nörgelt … über das Krankenhaussterben und Patienten-Ping-Pong
Von Nicole
Da ist sie also – die nächste Krankenhausinsolvenz! Nach diversen kompletten Schließungen oder Schließungen einzelner Abteilungen meldet jetzt dann das nächste Krankenhaus in der Region Insolvenz an. Vor drei Jahren noch als Helden der Nation beklatscht und als systemrelevant bezeichnet, sind dieselben Menschen jetzt plötzlich irrelevant.
GLOSSE! Hat eigentlich überhaupt schon einmal je jemand darüber nachgedacht, wie ein Krankenhaus wirtschaftlich arbeiten soll? In der Industrie werden Rohstoffe gekauft, diese dann in einem Veredlungsprozess verarbeitet und am Schluss steht ein Endprodukt, welches im besten Fall mit Gewinn verkauft wird. Liebes Gesundheitsministerium, dieses Modell funktioniert leider nicht für Menschen und Krankenhäuser.
Wie bitte berechnet man denn ein Menschenleben, das gerettet wird? Und diese Behandlung kostet selbstverständlich eine Menge Geld: da sind – modern ausgedrückt – Human Resources (also andere Menschen, die dafür arbeiten und natürlich bezahlt werden, weil sie von ihrer Arbeit leben müssen und davon im Übrigen Steuern und Krankenkassenbeiträge abführen), Maschinenstunden (so eine Normal- oder Intensivstation wird nicht mit Luft und Liebe betrieben) und selbstverständlich auch Immobilien (in Zelten oder auf dem freien Gelände operiert es sich tatsächlich nicht so gut).
Wertsteigerung?
In der Betriebswirtschaft werden also alle diese Faktoren in eine Kalkulation einbezogen und ein Endpreis für das Produkt wird so ermittelt. Wie soll das denn bei Menschen funktionieren? Ist der Mensch mit der neuen Herzklappe, dem Schrittmacher, der künstlichen Hüfte oder der Knieprothese mehr wert, als der, der nach einer Operation keinen Blinddarm mehr hat? Was wird in die Kalkulation einbezogen? Materialwert, aufgewendete Arbeitszeit und Energie oder sogar so etwas völlig Absurdes wie Lebensqualität und die Tatsache, dass der gesundete Mensch sich wieder in den Alltag und die Gesellschaft einbringen kann? Das hört sich jetzt vielleicht total idiotisch an, aber genauso scheint es sich ein Herr Lauterbach vorzustellen. Bei seinen ganzen Ideen von Fallpauschalen, Kostendeckung und Wirtschaftlichkeit scheint eines in Vergessenheit zu geraten - wir reden hier von Menschen, die gesund werden oder leben möchten. Nicht von Werkstücken, Maschinen oder Produkten, die verkauft werden.
Krankenhaus- und Hausarzt-Sterben heißt Patientensterben
Die fortwährende Schließung der Krankenhäuser und Hausarztpraxen insbesondere auf dem Land (wer braucht denn auch so einen Firlefanz wie eine Geburtenstation, früher haben die Leute ihre Kinder ja schließlich auch während der Ernte auf dem Feld zur Welt gebracht - Ironie off) wird etwas zur Folge haben, das die ganzen selbsternannten Spezialisten aus dem Gesundheitswesen gar nicht auf dem Schirm haben. Wenn es keine vernünftige Gesundheitsversorgung mehr gibt - und von der kann man wohl kaum ausgehen, wenn die wenigen Hausärzte keine Patienten mehr aufnehmen können, junge Eltern sich am besten schon vor der Nachwuchsplanung um einen Kinderarzt für den noch nicht einmal gezeugten Sprössling bemühen müssen und verfügbare Facharzttermine nicht mit Wochen oder Monaten, sondern Jahre voraus geplant werden müssen - dann werden über kurz oder lang Menschen sterben, weil sie nicht behandelt werden. Und so wie es im Moment aussieht, ist es eher kurz als lang, dass das passieren wird. Und liebes Ministerium, nur für den Fall, dass euch das nicht klar ist - wenn die arbeitende Bevölkerung keine gesundheitliche Für- und Vorsorge mehr bekommt, wird sie irgendwann nicht mehr arbeiten können. Und das heißt im Umkehrschluss, dass diese Leute keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge mehr bezahlen können und somit auch eure Diäten nicht mehr finanzieren. Hier beißt sich dann die Katze mal selbst in den Schwanz.
Arbeitskraft erhalten
Vielleicht wäre es auch mal mehr als nur einen Gedanken wert, Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft primär an die Menschen zu vergeben, die auch einer steuerpflichtigen Tätigkeit nachgehen und dem Allgemeinwohl dienen. Wenigstens so lange, wie es keine ausreichenden Plätze gibt. Wer nicht arbeitet, muss auch nicht unbedingt zur Kur fahren, denn wovon soll er sich bitte erholen? Vom anstrengenden Zu-Hause-Sein? Die wenigen zur Verfügung stehenden Physiotherapie-Termine brauchen die Leute, die den ganzen Tag hart arbeiten und sich ihren Rücken und die Gelenke ruinieren, damit es anderen gut geht. Aber die haben ja leider keine Zeit, zu ihrer Krankengymnastik zu kommen. So lange eben, bis sie irgendwann ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Wie wusste schon Heinrich von Kleist: "Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht!"
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Kostendeckung und Patienten-Ping-Pong
In diesem System, in dem man gar nicht kosteneffizient arbeiten kann, wie wir ja bereits bei der Werteberechnung von Gesundheit und Menschenleben festgestellt haben, wird die Verantwortung einfach wie beim klassischen Ping-Pong hin und her geschoben. Der erkrankte Mensch, der beim Hausarzt (so er denn überhaupt noch einen hat) keinen Termin bekommt, ruft dann, wie es der brave Bürger tut, den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 (die Nummer mit den Elfen aus der Werbung) an. Leider gibt es dort aber keine hilfsbereiten Elfen, sondern lediglich eine nervtötende Warteschleife, aus der er wiederholt einfach rausgeworfen wird oder, wenn er endlich jemanden erreicht, bei der Beschreibung seines Krankheitsbildes (egal, welches es ist) angewiesen wird, doch bitte die 112 zu rufen. So landet er bei der 112 und der Rettungsdienst kommt (für Husten, Magen-Darm-Grippe oder auch allgemeines Unwohlsein). Die netten Leute mit dem großen Blaulichtauto haben dann zwei Möglichkeiten: sie transportieren den Patienten, der nichts für ein Krankenhaus ist, in ein Krankenhaus oder sie lassen ihn nach Untersuchung und Beratung, doch bitte den Hausarzt zu konsultieren (und da war es wieder: das Ausgangsproblem) zu Hause. Hört sich toll an, hat aber einen kleinen Haken: denn ohne Transport und den zugehörigen Transportschein gibt es kein Geld, obwohl die Anfahrt, die Zeit und das eventuell verwendete Material natürlich auch bezahlt sein wollen. Also wird der gar nicht so kranke Patient dann eben eingepackt und mit dem Rettungswagen in eine Notaufnahme transportiert, denn dieser Transport kann dann mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Super, jetzt hat sich das Problem auf das Krankenhaus verlagert, das ja Dank der Fallpauschalen eines Herrn Lauterbach am Ende auch wieder drauflegt. Und hier schließt sich der Kreis und das ganze Spiel endet in der der Insolvenz der Kliniken. Danke Herr Lauterbach und danke Gesundheitsministerium - für nichts!
Zeit ist nicht nur Geld
Da es nun wegen der Insolvenzen überhaupt schon einmal immer weniger Krankenhäuser gibt, werden natürlich auch die Wege zu den wenigen Behandlungsstätten weiter, also braucht der Rettungsdienst immer mehr Zeit, um zum Krankenhaus zu fahren. Mal ganz abgesehen davon, dass die wenigen Häuser so überfüllt sind, dass oft gar nicht mehr das nächste, sondern das übernächste oder noch ein weiter entferntes Krankenhaus angefahren werden muss. Und hier ist Zeit kein Geld, sondern kostet Menschenleben, denn Zeit ist das Einzige, was der Patient mit dem frischen Schlaganfall, der Hirnblutung, der lebensgefährlichen Verletzung oder dem Herzinfarkt NICHT hat. Dieser Mensch verstirbt dann möglicherweise, weil der Transport zu lange dauert. Liebe Politiker, dann wollen wir mal hoffen, dass so etwas nie eure eigene Familie betrifft. Das hier ist doch wirklich einfach nur noch zum Verrücktwerden. Kein Geld für die Menschen, aber für jeden möglichen anderen Mist, da ist immer genug Geld da.
In diesem Sinne, liebe Leser, halten Sie dem Wahnsinn stand und achten Sie auf sich und Ihre Gesundheit, denn ich garantiere Ihnen - unsere Politik tut es bestimmt nicht. Da wird lieber über wilde Reformen und Wirtschaftlichkeit diskutiert und schön in die eigene Tasche gewirtschaftet. Und kleiner Fun-Fact - für Politiker gelten bei der Gesundheitsversorgung ein bisschen andere Regeln. Die Damen und Herren müssen sich nicht wochenlang um einen Termin beim Arzt bemühen, denn sie sind ja schließlich systemrelevant ...
Ihre Nicole
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Nicole nörgelt
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