Weniger und langsamer mit dem Auto in die Städte
Stadtentwicklungspolitik müsse sich am Menschen und seinen Bedürfnissen orientieren - nicht am Auto. In den Innenstädten müsse der Autoverkehr langsamer, nicht schneller werden. Der Ortsverband der Bündnisgrünen ließ sich zum Thema neue Verkehrs- und Stadtplanung informieren.
Betzdorf. Über neue Verkehrs- und Stadtplanung referierte der Freusburger Architekt Jochen Krügerauf der jüngsten Versammlung des Ortsverbands Betzdorf-Kirchen von Bündnis 90/Die Grünen im Betzdorfer Domhotel.
In der langen Menschheitsgeschichte, so Krüger, habe sich erst in allerjüngster Zeit mit der Erfindung des Automobils eine neue Vorstellung von Mobilität entwickelt. Hatte der Duden noch 1974 „Mobilität“ als geistige Beweglichkeit, Umzugshäufigkeit und als Auf- und Abstiegsbewegungen zwischen sozialen Gruppen definiert, so wird heute darunter praktisch nur noch Mobilität mit dem Auto verstanden. Das geht so weit, dass man das Recht auf Mobilität sogar im Grundgesetz verankert sehen möchte. „Freie Fahrt für freie Bürger!“
Diese einseitige Ausrichtung auf das Auto hat mittlerweile alle Lebensbereiche durchdrungen, von der Architektur bis hin zur Stadt- und Landschaftsplanung. Während in früheren Zeiten die Straßen Allen gleichberechtigt gehörten, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Straßenverkehrsordnungen erlassen mit dem Ziel, Fußgänger, Kinder und Tiere von der Fahrbahn zu verweisen. Schon vor dem ersten Weltkrieg gab es an Schulen Verkehrsunterricht für Kinder, um sie für den Straßenverkehr zu disziplinieren.
Spätestens mit der Massenmotorisierung nach dem 2. Weltkrieg wurde in der Siedlungspolitik das Leitbild der aufgelockerten Stadt, in der die Bereiche Arbeit und Wohnen, aber auch Einkaufen in großen Einkaufszentren, voneinander getrennt werden, angestrebt. Politisch unterstützt wurde diese Zersiedelung des Umlandes durch eine gezielte Förderung des Einfamilienhausbaus in den 60er und 70er Jahren.
Damit wurde eine Spirale in Gang gesetzt: Immer mehr Autoverkehr führt zu dem Zwang, immer mehr Straßen zu bauen. Durch die bessere Erschließung des Umlandes wächst wieder der Verkehr in den Städten, was wiederum dort die Forderung nach mehr Straßenausbau nach sich zieht. Ziel der Stadtplanung ist die autogerechte Stadt. Aus der früheren vielfältigen Nutzung der Fahrbahn bis hin zum Kinderspiel bleibt nur noch eine einzige Nutzung: der schnelle, ungehinderte Autoverkehr, dem sich alle anderen Interessen, vor allem die der Fußgänger und Radfahrer unterzuordnen haben. Mit gravierenden sozialen Folgen: Für Nutzer des Automobils wurde der Lebensraum erweitert, für deren Nichtbesitzer aber eingeschränkt.
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Beispiel Tübingen
Seit den 80er Jahren stieß die autozentrierte Stadtentwicklungspolitik allerdings immer mehr auf Kritik, weil man bemerkte, dass die Trennung der Lebensbereiche zu einer Verödung der Innenstädte und zunehmendem Verkehrschaos geführt hatte. Dichte, gemischt genutzte und gut geplante Stadtviertel dagegen, wie etwa das Französische Viertel in Tübingen, machen es möglich und angenehm, weniger Auto zu fahren. Die hohe Bewohnerdichte macht Einrichtungen in der Nähe auch ohne Auto erreichbar, ein guter öffentlicher Verkehr ist dort wirtschaftlicher. In diesen Gebieten muss ein Motorfahrzeug langsam fahren. Breite Gehsteige laden zum Flanieren, zum Aufenthalt und zur Kommunikation ein. Verbesserungen des Radwegenetzes und des öffentlichen Verkehrs führen dort zu einer Reduktion des Motorverkehrs um 50 Prozent.
Betzdorfs Stadtratsmitglied Marion Pfeiffer bedauerte, dass Verkehrsplanungen vor Ort leider immer noch von dem alten Leitbild der autogerechten Stadt geprägt würden, wie gerade die Neugestaltung der Wilhelmstraße in Betzdorf gezeigt habe. Große Supermärkte verdrängten aber kleinere Geschäfte und nähmen wertvollen Platz in Anspruch. Der zusätzliche Autoverkehr belaste mit Abgasen, Feinstaub und Lärm die Lebensqualität der Menschen.
Ein schöner Park an der Sieg statt eines Parkplatzes hätte die Stadt menschenfreundlicher gemacht. Nicht schneller, sondern langsamer müsse der Autoverkehr werden und Straßen für Fußgänger, insbesondere für Kinder und ältere Menschen,wieder leichter überquerbar werden.
Auch Vorstandssprecherin und MdL Anna Neuhof erinnerte daran, dass der demografische Wandel ein Umdenken in der Stadtplanung unbedingt erforderlich mache. Leider sei dies bei den örtlichen Kommunalpolitikern noch kaum ins Bewusstsein gedrungen.
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