Einiges Europa erfordert gemeinsames Handeln
Am Samstagmorgen fanden sich auf Einladung der Europa-Union im Kreis Altenkirchen zahlreiche Gäste zur Podiumsdiskussion „Bundesstaat Europa? – Die Friedensmacht Europa zwischen Euro-Krise und Nobelpreis“ in den Räumlichkeiten der Kreisverwaltung in Altenkirchen ein.
Altenkirchen. Aktuelle Anlässe wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union oder die Euro-Krise haben dazu geführt, dass die Europa-Union im Kreis Altenkirchen am Samstagmorgen zur Podiumsdiskussion „Bundesstaat Europa? – Die Friedensmacht Europa zwischen Euro-Krise und Nobelpreis“ einlud. Eine Vielzahl von Gästen fand sich zu dieser Veranstaltung in den Räumlichkeiten der Kreisverwaltung in Altenkirchen ein, um gemeinsam mit Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ludger Kühnhardt, den Europaabgeordneten Birgit Sippel (SPD) und Jürgen Creutzmann (FDP) sowie dem ehemaligen außenpolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, unter Moderation von Dr. Markus Schulte, Vorsitzender der Europa-Union im Kreis Altenkirchen, dieses Thema zu diskutieren.
„Ich bin sehr froh, dass Sie heute den Weg nach Altenkirchen gefunden haben“, so Dr. Markus Schulte, Vorsitzender der Europa-Union im Kreis Altenkirchen, in seiner Begrüßungsansprache. Viele aktuelle Anlässe, wie etwa die Friedensnobelpreisverleihung an die Europäische Union, seien Grund für diese Diskussion. Ferner dankte er Landrat Michael Lieber für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und stellte die übrigen Teilnehmer der Podiumsdiskussion vor.
Auch Landrat Michael Lieber hieß die Gäste herzlich in der Kreisverwaltung willkommen. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments seien es, die als eine Art Bindeglied zwischen lokaler und regionaler Politik und dessen, was in Europa passiert, fungieren. „Denn sie sind vor Ort verortet“, so Lieber. Ein Beispiel, das wunderbar die alten Wurzeln in Europa repräsentiere, sei der Kreis Altenkirchen, der seit nahezu 200 Jahren in unveränderten Gebietsgrenzen existiere. Heutzutage sei es nach wie vor notwendig, dass Menschen sich mit zeitgeschichtlichen Themen beschäftigen. „Europa ist da“, so Lieber.
Unter Moderation von Dr. Markus Schulte folgte im Anschluss die Podiumsdiskussion, in der vor allem Themen wie die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Integration wie auch die Erreichbarkeit von Zielen diskutiert wurden.
Als erster der Gäste kam dabei der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ludger Kühnhardt zu Wort, der das von Landrat Michael Lieber eingebrachtes Beispiel des Landkreises Altenkirchen im Hinblick auf dessen Gebietsgrenzen aufgriff. An diesem Landkreis könne man sehen, dass ein Gebiet von Veränderung, die um es herum geschehen, nicht unberührt bleibe. Die Tatsache, dass es heute zwischen den Staaten keinerlei Grenzen mehr gebe, wie sie einst geschaffen wurden, zeige, dass dies eine wandelbare und gefährdete Schöpfung des Menschen sei, die eine regelmäßige Überprüfung und Änderung erfordere. „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist“, zitierte Kühnhardt Giuseppe Tomasi di Lampedusa und verwies darauf, dass diese Behauptung auch auf Europa als eine Gemeinschaft zutreffe. „Das erfordert immer wieder Anstrengung“, so Kühnhardt. Man müsse stets auch betrachten, wo man gerade herkomme. Heute sei dies die Euro-Krise, die aber nicht etwa eine Krise des Euros darstelle, der sich als stabile Währung erwiesen habe, sondern eine Staatsschuldenkrise, die aus Verstößen gegen die im Maastricht-Vertrag festgelegten Kriterien entstanden sei. Jeder Schritt aus der Krise stelle einen Schritt in die Integration dar. „Jeder politische Schritt, der hinter uns liegt, war ein Schritt zu mehr Europa“, so Kühnhardt. Die Vertiefung müsse weitergehen. Die Lehre aus der Krise sei die Notwendigkeit einer Gemeinschaftsbildung. „Eine Gemeinschaft geht nur, wenn wir sie gemeinschaftlich denken“, so der Politikwissenschaftler weiter, „Wir gehören alle zusammen. Nur so funktioniert die Föderation, nur so funktioniert die Europäische Union.“ Das erfordere natürlich, dass sich alle an die vorgegebenen Regeln halten. Es habe eine Verschiebung der öffentlichen Perspektive vom Krisenmanagement hin zur Frage „Wie geht es weiter?“ gegeben. Das erfordere eine weitere Entwicklung der Europäischen Union, die demokratisch ablaufen müsse. Ein gewisses Maß an Ungewissheit in Bezug auf die Projekte der Europäischen Union habe in der Breite der Bevölkerung für Unmut gesorgt. Grundideen wie auch Werte der Europäischen Union seien es, die es mit Blick auf die Europawahlen 2014 wieder populär zu machen gelte. „Wir leben in einem spezifischen Typ der Föderation – einer Union“, so Kühnhardt.
Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel erklärte, dass man stets nach den Zielen und der europäischen Rolle in der Welt fragen müsse. Das erfordere ein gewisses Zurückschauen dahin, woraus die Notwendigkeit der Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus entstanden sei. „Ziel war von Anfang an auch angenäherte Lebensverhältnisse zu schaffen“, so Sippel, „Wir haben einen guten Start hingelegt mit der Gründung der Europäischen Union.“ Allerdings habe der Elan dieser Bewegung nachgelassen und die Politik habe es versäumt, das Projekt den Menschen näher zu bringen. „Wir haben versäumt die Menschen mitzunehmen“, so Sippel. Dies sei der Grund, weshalb viele junge Menschen Dinge wie das einfache Passieren von Staatsgrenzen als eine Selbstverständlichkeit und nicht mehr als Ergebnis der Arbeit der Europäischen Union sehen würden. „Man macht sich nicht mehr bewusst, dass das etwas mit Europa zu tun hat“, so die SPD-Europaabgeordnete. Man habe eine große Masse Fördermittel ausgegeben und nicht geschaut, was damit passiere. Man dürfe nicht fragen, ob es eine Fehler war, Griechenland in die Europäische Union aufzunehmen. Vielmehr müsse man fragen, ob man dies zum falschen Zeitpunkt getan habe, da allen bekannt gewesen sei, dass die Zahlen nicht stimmen. „Wir haben als Gemeinschaft im Nachhinein versäumt hinzusehen“, so Sippel. Damit Dinge künftig besser umgesetzt werden können, bedürfe es einer Strukturveränderung. Die Vielzahl von Kulturen innerhalb Europas biete Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, voneinander zu lernen. Die Krise müsse gemeinsam gelöst werden, als europäische Familie. Dies erfordere, dass die Mitglieder einem Betroffenen helfen. „Das war zu Beginn der Krise in Griechenland nicht so“, erklärte Sippel und verwies darauf, dass dies zu einer Verunsicherung der Bürger geführt habe. Der Grund für die jetzige Aufwertung Griechenlands sei der Wunsch der Europäischen Union das Land zu halten. Wären diese Solidarität und Entschlossenheit zu Beginn schon dagewesen, hätte dadurch eventuell die schlechte Wertung Griechenlands verhindert werden können. Betrachte man die Rolle Europas in der Welt, so sei dies zu Beginn ein großer starker Kontinent jenseits der Entwicklungsländer gewesen. „Das hat sich dramatisch gewandelt“, so Sippel und verwies auf die wirtschaftliche Aufholjagd der übrigen Staaten, den Bevölkerungsschwund und die Tatsache, dass man von den Chinesen als Exportweltmeister inzwischen überholt worden sei. Deshalb sei es notwendig, in Politik und Gesellschaft die Werte der Europäischen Union bewusst zu machen. Es sei wichtig, mit den Mensch zu diskutieren, sie mitzunehmen und ein europäisches Gesicht zu haben.
Der FDP-Europaabgeordnete Jürgen Creutzmann zeigte sich überzeugt davon, dass man die gesetzten Ziele erreichen könne und legte dieser Erkenntnis eine Vielzahl positiver Zahlen zugrunde. Allerdings müsse auch noch einiges getan werden. „Wir müssen den Binnenmarkt weiterentwickeln“, so Creutzmann, „Da gibt es noch riesige Potenziale.“ Das sei unter anderem auch eine Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Vertiefung der Integration müsse fortgesetzt werden. Eine Alternative gebe es nicht. Jedoch sehe man sich dabei auch mit einem Zeitproblem konfrontiert, das man über Jahrzehnte Schulden angehäuft habe. „Wir müssen Zeit gewinnen und Vertrauen in die Märkte“, so Creutzmann, „Politik kann nur ihren Beitrag leisten, indem sie Vertrauen schafft bei den Menschen.“ Man müsse weiter an einer europäischen Verteidigung- und Entwicklungspolitik arbeiten. „Wir haben riesige Chancen“, erklärte der FDP-Europaabgeordnete, „Die Integration muss fortschreiten.“
Im Anschluss ging der ehemalige außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, auf die europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein und im Zusammenhang damit auf den aktuellen militärischen Einsatz in Mail. „Mali ist in der Tat ein weiterer Beweis für das Versagen Europas“, so Lamers. Die deutsche Regierung habe sich dabei auch nicht mit Ruhm bekleckert. Europa müsse als ein Beitrag zu einer besseren Welt gesehen werden, einer Welt, die sich aktuell als ungerecht, ungleich und ungleichzeitig gestalte. Europa sei jedoch so sehr mit seinen inneren Problemen befasst, dass es unfähig sei zu handeln. Allerdings reiche Europa nicht aus. Eine globale Ordnung müsse geschaffen werden. Für die Entwicklung eines europäischen Denkens und Bewusstseins spiele das Verhältnis zur übrigen Welt eine entscheidende Rolle. Andersfalls wäre eine Renationalisierung die Folge. Daher sei es notwendig, den Menschen zu vermitteln, worum es geht. „Nicht mehr jeder für sich, sondern alle zusammen“, so Lamers und sprach von einer transnationalen Wirklichkeit mit der Wirtschaft als Motor der Globalisierung. „Wir brauchen stärkere Institutionen in Europa, wir brauchen eine Regierung, eine Wirtschaftsregierung“, so Lamers. Man befinde sich auf dem richtigen Weg, jedoch seien noch nicht alle bereit diesen mitzugehen. Man müsse sich des Maßes an Verantwortung, das einem zugetragen wurde, bewusst werden.
Im Anschluss an die Beiträge waren auch die übrigen Gäste eingeladen ihren Gedanken Worte zu verleihen und gemeinsam mit den anderen über das Thema „Bundesstaat Europa? – Die Friedensmacht Europa zwischen Euro-Krise und Nobelpreis“ zu diskutieren. (bk)
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