Lesung und Gespräch mit Zeitzeugin Edith Erbrich
Im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus fand am vergangenen Mittwoch im Kulturhaus Hamm/Sieg die Lesung „Als Kind ins KZ Theresienstadt“ mit anschließendem Gespräch mit der Zeitzeugin Edith Erbrich statt.
Hamm/Sieg. Schon bei der Deportation der sechsjährigen Edith Erbrich von Frankfurt ins KZ Theresienstadt im Februar 1945 stand in der ebenso menschenverachtenden wie akribischen Planung der nationalsozialistischen Tötungsindustrie ihr Todestag fest. Sie sollte am 9. Mai 1945 in Auschwitz ermordet werden. Den weiteren Entwicklungen und letztlich dem Kriegsende am 8. Mai 1945 ist es zu verdanken, dass Edith Erbrich, Tochter einer seinerzeit sogenannten „Mischehe“ mit „arischer“ Mutter und jüdischem Vater, heute noch lebt und seit 14 Jahren als Zeitzeugin im direkten Kontakt zu ihren Zuhörerinnen und Zuhörern die Erinnerung an Greueltaten wach hält, zu denen der deutsche Unrechtsstaat und mit ihm zahllose Menschen fähig waren.
Die Erzählungen der Zeitzeugin am vergangenen Mittwoch im Kulturhaus Hamm beginnen im Frankfurter Ostend und beschreiben den Bombenhagel der alliierten Luftstreitkräfte, vor dem sich die Familie Erbrich – gebrandmarkt mit dem Judenstern – nicht in den offiziellen Luftschutzbunkern schützen darf. Die Trennung von der „arischen“ Mutter und der Transport im Viehwaggon nach Theresienstadt in der Nähe von Prag sind die nächste Station, gefolgt von schrecklichen Erlebnissen und tiefen menschlichen Enttäuschungen über Verhaltensweisen, zu denen Menschen fähig sind. Edith Erbrich erzählt mit ruhiger, zuweilen kaum spürbar stockender Stimme über ihre Erinnerung an die sichere Erwartung, in wenigen Minuten unter der „Dusche“ sterben zu müssen.
Sie sieht noch heute die Gesichter der Aufseher, die sich über die Not und den Zustand der Internierten lustig gemacht haben und erzählt von besonders schlimmen Aufseherinnen und von verächtlich pöbelnden Gaffern. Und doch hat sie sich den differenzierten Blick erhalten und keinen pauschalen Hass entwickelt. Als Hauptgrund für ihr Engagement als Zeitzeugin schildert sie ihr dringendes Bedürfnis, den stillen und unerkannten Unterstützern und Helfern zu danken, die ihrerseits schlimmste Konsequenzen befürchten mussten, wenn sie etwa heimlich geschriebene Postkarten der in Frankfurt verbliebenen Mutter zustellten, der kleinen Edith zu essen besorgten oder die im kalten Winter an der Bahnstrecke gesammelte Kohle halfen gegen Diebstahl zu verteidigen. Diese Menschen seien der Grund dafür, dass die Familie in Deutschland geblieben sei; allerdings habe ihr Vater darauf gedrängt, über das Erlebte nie mehr zu reden. Nur der Austausch mit ihrer älteren Schwester Hella und die späte Forschung und Tätigkeit als Zeitzeugin hätten geholfen, die Kindheitserlebnisse zu verarbeiten.
„Und wenn heute noch an der einen oder anderen Stelle die Tränen kommen, schäme ich mich nicht dafür. Schämen müssen sich andere“, erklärt sie in ruhigem Ton. Vieles habe sie – so Edith Erbrich – erst durch ihre späteren Nachforschungen und Reisen nach Theresienstadt erfahren und einordnen können. Erschreckend sei beispielsweise, dass noch nach der Befreiung des Lagers Auschwitz in Theresienstadt Menschen zur „Endbehandlung“ abtransportiert worden seien.
Im Anschluss an den Vortrag der Zeitzeugin nahmen die ergriffenen Zuhörerinnen und Zuhörer Gelegenheit wahr, mit Edith Erbrich ins Gespräch zu kommen, teils mit Hinweisen auf Schicksale in der eigenen Familie und immer mitschwingend die Frage nach der Verarbeitung der Nazi-Greuel in der Bundesrepublik und dem „Was lernen wir daraus?“.
Begrüßt hatte zu der Lesung der DGB-Kreisvorsitzende Bernd Becker, der Sebastian Hebeisen vom
DGB Koblenz und dem DGB-Kreisgeschäftsführer Udo Quarz für die Vorbereitung sowie Horst Schneider von der Kreisverwaltung und Steffen Ernst von der Caritas und der IG-Metall für die Unterstützung dankte. Sehr erfreut zeigte sich Becker über die Teilnahme von Landrat Michael Lieber. Nach dem abschließenden Gespräch wandte sich Becker an die Referentin: „Sie haben vollkommen recht. Was uns ein anderer Mensch von Gesicht zu Gesicht erzählt, das kann man sich nicht erlesen oder durch Studium aneignen. Von ganzen Herzen Dankeschön dafür.“
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