Westerwälder Literaturtage mit Autor Wladimir Kaminer eröffnet
Mit allen Sinnen war die Auftaktveranstaltung der 13. Westerwälder Literaturtage in der Stadthalle Altenkirchen erlebbar – ganz nach dem diesjährigen Motto der Veranstaltungsreihe des Kultursommers Rheinland-Pfalz, die sich in diesem Jahr erstmals auch über die anliegenden Kommunen im Westerwaldkreis erstreckt. Gaststar: Wladimir Kaminer, der als Autor brillierte, aber auch mit seinen persönlichen Geschichten. Wunderschöne Tänze bot die Altenkirchener Tanzschule "Let´s Dance".
Altenkirchen. Die 13. Westerwälder Literaturtage wurde mit einer Eröffnungsveranstaltung in Altenkirchen eröffnet. Lesung, Tanz und Genuss gab es mit einem aktuellen Bezug zur Weltlage. Spannend und unterhaltsam.
Eine Lesung Wladimir Kaminers ist nie nur eine Lesung. Das was die Auftritte des russisch-stämmigen Autors besonders auszeichnet sind seine Erzählungen dazwischen. Den Zuschauern wird auch immer Kabarett auf höchstem Niveau geboten. So auch den rund 200 Gästen in der Stadthalle Altenkirchen bei der Auftaktveranstaltung der Westerwälder Literaturtage.
Natürlich durfte der ein oder andere Seitenhieb auf die aktuelle Politik seines Heimatlandes nicht fehlen: In der politischen Diskussion mit seines Landsleuten komme immer wieder ein interessantes Motto zum Vorschein: „Besser das Böse nicht mehren.“ Damit spielte Kaminer auf die relativ wenigen Präsidenten Russlands im Vergleich zur USA an. Die könne man auch an Händen abzählen, an denen einige Finger abgefault sind. So spannte er den Bogen zu einer Anekdote über seine Tochter.
Sie sollte in der Schule über Russland und seine Bewohner berichten. Offenbar hat Kaminers Nachwuchs eine ordentliche Portion seines erzählerischen Talents abbekommen. Denn die Tochter erklärte ihren Mitschülern, dass der Winter in Russland (in diesem Fall Sibirien) so kalt sei, dass den Menschen ein Finger abfaulen würde, den sie dann zu Teigtaschen machen würde. Im Frühling wachse der Finger dann aber wieder nach.
Das war nur eine von zahlreichen Geschichten, mit denen Kaminer die Gäste zum Lachen brachte. Denn ein Hauptthema drehte sich um die sicher schwierigste Zeit des Elterndaseins: der Pubertät. Kaminer las Auszüge aus seinem noch nicht veröffentlichtem Buch: „Kalte Katzen leben länger – Erfahrung mit Pubertierenden“. Auch hier waren wieder die freien Vorträge des Autoren mindestens genauso lustig wie das Gelesene. Eine Geschichte erzählte von einer „Facebook-Party“ seiner Tochter. Anlass war ihr 16. Geburtstag. Sie wolle keine große Feier veranstalten, nur ein paar „Freunde“ aus dem sozialen Netzwerk einladen. Das Ehepaar Kaminer dachte sich nichts dabei und verabschiedete sich in ihren Garten in Glücklitz, einem entlegenen Ort in Brandenburg.
In der Nacht kamen dann die ersten Anrufe der Nachbarn: „Wenn ihr nicht zurückkommt, fliegt hier alles in die Luft!“, warnten sie Kaminer. Der sich aber dachte, das Kind sei nun eh in den Brunnen gefallen und erst am anderen Tag wieder in seine Wohnung heimkehrte. Und zur großen Verwunderung war das Heim nicht verwüstet. Aber es fehlten einige Gegenstände. Keine wertvollen Gegenstände. Das konnte sich Kaminer nur so erklären: „In der Pubertät findet sich höchste Intellektualität mit Schwachsinn in einem Kopf.“ Schließlich waren unter anderem Rasierschaum verschwunden oder seine alten Turnschuhe.
Auch sein pubertierender Sohn gibt Kaminer oft Rätsel auf. Oder eher sein wechselvolles Liebesleben. Kaminer ist zwar eine hohe Telefonrechnung gewohnt, aber einen Monat fiel er aus den Wolken angesichts der hohen Kosten, die sein Sohn vertelefonierte. Wer verbirgt sich nur hinter „E-Plus-Unbekannt“? Natürlich eine junge Frau. Aber was den Vater einzig interessierte: Wie nachhaltig ist diese Beziehung? Immerhin hatte Kaminer erst kurz vorher seinem Sohn eine Flatrate für das Vodafone-Netz spendiert – wegen einer anderen Liebschaft, die wohl nicht mehr aktuell war. Zum Glück konnte der Vertrag noch auf E-Plus geändert werden. Aber um ein Machtwort kam Kaminer nicht herum: Nun müsse die Beziehung des Sohnes länger halten, mindestens bis zum Juni 2015 – dann wenn der neue Vertrag ausläuft.
Amüsiert erzählte Kaminer auch von einer anderen Begebenheit, die im Zusammenhang mit seinem Nachwuchs steht: So hätte sein Sohn in der achten Klasse, die aufbauende Erfahrung machen müssen, dass Texte des Vaters im Unterricht interpretiert werden. Und hier hätte der Schüler Wladimir Kaminer versagt, wenn er die Bücher des Autoren Wladimir Kaminer deuten hätten müssen. Was die Kernaussage einer Geschichte um ein Mädchen und die Schönhauser Allee sei? „Keiner wird die Botschaft wissen, solange es das Mädchen nicht verrät.“
Einfacher würde das Herauslesen der Kernaussage sicher aus dem zweiten Buch fallen, das Kaminer an dem Abend in Altenkirchen präsentierte: „Diesseits von Eden".
Er erzählt darin von dem Leben im brandenburgischen Glücklitz, wo sich seine Familie ein Landhaus kaufte. Aber ganz zurückziehen kann man sich nie im deutschen Staat, wie die Anekdoten des Autoren demonstrierten. Bürokratie und preußische Gründlichkeit verfolgen einem auch in ein 300-Seelendorf in der tiefsten Provinz.
Aber verbissene Kritik wären nicht die Art von Kaminer. In den Passagen, die er aus dem Buch vorlas, kam immer wieder seine ironische Sicht eines Nicht-Deutschen zum Vorschein. Und Kaminer betonte zum Schluss, dass er sich vom Altenkirchener Publikum verstanden fühle: „Ich muss öfter nach Altenkirchen kommen. Dann können wir dort fortsetzen, wo ich aufgehört habe.“
Aber nicht nur den Gästen machte Kaminer Komplimente: Auch die Auftritte zwischen seinen Auftritten von der Altenkirchener Tanzschule „Let´s Dance“ hatten es ihm angetan. Die Jugend führte hier ihr ganzes Können mit teils russischen Tänzen in landesüblicher Kleidung vor.
Und vor dem Saal konnten die Gäste russische Spezialitäten genießen: Pelemi, Piroschki oder Tschebureki.
Ein Abend im Kontrast zu aktuellen Weltlage: Russland zeigte sich in Altenkirchen von seiner besten Seite. (ddp)
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