Professor Manfred Zabel hielt Mairede im Kulturwerk
Auch in diesem Jahr nahm der DGB Kreisverband Altenkirchen den Maifeiertag wieder zum Anlass eine Veranstaltung auszurichten. Im Kulturwerk in Wissen konnten Interessierte der Mairede des christlichen Sozialethikers Professor Manfred Zabel beiwohnen.
Wissen/Sieg. Mit Professor Manfred Zabel konnte der DGB Kreisverband Altenkirchen für die diesjährige Mairede wieder einen Wissenschaftler gewinnen. Im Wissener Kulturwerk sprach der 75-jährige Sozialethiker am Donnerstag zu „Gute Arbeit. Soziales Europa.“.
„Der 1. Mai ist ein politischer Feiertag“, so DGB-Kreisvorsitzender Bernd Becker in seiner Begrüßungsrede und erinnerte sogleich an die am 1. Mai 1856 getätigte Massendemonstration in Australien sowie den 30 Jahre später in Nordamerika stattgefundenen Aufruf zum Generalstreik durch die Arbeiterbewegung. Auch erinnerte er daran, dass 1934 die Nationalsozialisten sich das Datum zu Nutzen gemacht hatten, indem sie den Nationalen Feiertag des deutschen Volkes ausriefen.
Becker betonte, dass es wichtig ist, dass Menschen zuhören und miteinander reden. Ein Mensch habe genau das zu seinen Lebzeiten verinnerlicht: der kürzlich verstorbene erste Bevollmächtigte der IG Metall-Betzdorf, Claif Schminke. „Claif war auch auf der anderen Seite des Tisches ein Ausnahmegewerkschaftler“, so Becker und rief die Anwesenden dazu auf, sich zu einer Gedenkminute zu erheben. Außerdem wies der DGB-Kreisvorsitzende darauf hin, dass man an einem Stehtisch ein Blumengebinde sowie ein Kondolenzbuch platziert habe und auch Spenden für die Hinterbliebenen zusammentrage.
Dann ging Becker noch auf die Bedeutung des Veranstaltungstitels – „Gute Arbeit. Soziales Europa.“ – ein. Gute Arbeit bedeute gesunde Arbeit, Partizipation und Mitbestimmung, so Becker. Und auch zu dem, was gerade in Europa passiert, gebe es eine Alternative.
Landrat Michael Lieber überbrachte die Grüße des Kreises Altenkirchen wie auch seine persönlichen und äußerte seine Betroffenheit zum Tod des IG-Metallers Claif Schminke. „Er war ein kompetenter und menschlicher Partner“, so Lieber, „Wir haben ihm einen Menschen verloren, der noch viel für die Region bewegen wollte.“
Lieber erinnerte auch daran, einmal zu bedenken, dass man sich im Jahr 2014 in einem besonderen Jahr befinde: 100 Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach Beginn des zweiten Weltkrieges und 25 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung. Lieber betonte, dass es für jeden Konflikt auch eine friedliche Lösung gebe, sofern man daran festhalte miteinander zu reden.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, dieses Gebot habe die Arbeiterbewegung schnell mit dem Wort „Solidarität“ übersetzt, wie Grenzgänger Professor Manfred Zabel in seiner Mairede erklärte. Die Menschen seien in Gewerkschaften stark, wenn sie solidarisch sind und Grenzen überwinden. Unter den Nationalsozialisten jedoch, habe das Gegenteil von Solidarität begonnen. „Wir Alten wissen noch, wie es damals war, als alles in Scherben fiel“, so Zabel. Gleichzeitig habe man den Entschluss gefasst, so etwas nie wieder zuzulassen. „Nie wieder Krieg, nie wieder Rassismus, nie wieder Diktatur“, so Zabel. Dieser Dreiklang sei jedoch bei der Nachfolgegeneration von heute nicht mehr so im Herzen verankert, wie er es einst war.
Stattdessen richte der Raubtierkapitalismus in Europa irreparable Schäden an. Banken seien heute so mächtig und wichtig, dass sie nicht bankrottgehen dürfen. Die Eurokrise sei noch lange nicht überwunden. Es sei nötig, dass Regelungen für den Finanzsektor global durchgesetzt werden. Aktuell jedoch herrsche allgemeine Verunsicherung. Und diese sei der „Nährboden für das, was auf internationaler Ebene entsteht“, betonte Zabel. Mit einem Gespinst, erhebe der alte Nationalismus sein Haupt, die Alternative für Deutschland. Die Euroskeptiker gewinnen mehr und mehr hinzu und wildern dabei in den Gruppen der Arbeiterbewegung.
Die Ukraine, so Zabel weiter, stelle ein östliches Echo auf die Krise im Westen dar. Das Gespinst „Jede Nation ist sich selbst die erste“ greife um sich. Am 1. Mai jedoch stehe man ein für ein soziales Europa. Dazu sei es allerdings notwendig, dass sich die Menschen am 25. Mai an den Wahlen des neuen Europäischen Parlaments beteiligen. „Das gemeinsame Haus Europa“, wie Michail Gorbatschow es einst nannte, sei ein Haus mit vielen Bewohnern, vielen Sprachen und Kulturen. Und es sei auch vollkommen normal, so Zabel, dass Hausbewohner gelegentlich kultiviert streiten. Das Fundament jedoch sei solide und das Dach halte ebenfalls etwas aus. „Dafür lohnt es sich zu kämpfen […] und zur Wahl zu gehen“, erklärte Manfred Zabel weiter und sprach sogleich eine Warnung aus. Im Osten mache man Michail Gorbatschow für den Zerfall der Sowjetunion verantwortlich und sehne sich zurück zur der Zeit, in der man eine Weltmacht war. Jedoch müsse unbedingt verhindert werden, dass es zu einem erneuten Kalten Krieg komme.
Wichtig sei es, dass Europa den Menschen eine Perspektive für die Zukunft im eigenen Land biete. Gute Arbeit erfordere tariflich geregelte Arbeitsverträge. Ein wichtiger Schritt sei hierbei die Einführung des angekündigten Mindestlohns. Gute Arbeit in einem sozialen Europa sei dann möglich, wenn starke Gewerkschaften dafür kämpfen. Zabel betonte in diesem Zusammenhang aber auch: „Wir müssen ohne Angst verschieden sein können.“ Abschließend bezeichnete er Europa als ein wunderbares Friedensprojekt, das mehr überzeugte Menschen braucht, die am 25. Mai wählen gehen.
Der DGB-Kreisvorsitzende, Bernd Becker, dankte Professor Manfred Zabel für seine Rede mit einem kleinen Präsent und lud dazu ein, noch einige Zeit zu Gesprächen im Kulturwerk zu verweilen. Damit entließ er die Anwesenden in einen schönen Maifeiertag.
Musikalisch unterhielt bei der Veranstaltung das Jazzensemble „Jazz 4 you“ der Kreismusikschule Altenkirchen. (bk)
Die Rede im Original:
Manfred Zabel
1. Mai Rede 2014 in Wissen
Gute Arbeit – Soziales Europa
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
Danke für die Einladung, lieber Bernd Becker vom DGB Kreisverband Altenkirchen und an meinen Weggefährten Franz Schwarz. Danke, dass ich eingeladen wurde, mit Euch hier den 1. Mai zu feiern. Selbstverständlich ist das nicht, als 75 Jähriger hier reden zu dürfen und als evangelischer Pastor und ehemaliger Professor für Theologie und Sozialethik. Ich weiß das zu schätzen, auch wenn ich nicht zum 1. Mal am 1. Mai spreche. Als Grenzgänger bin ich viel unterwegs, auf der Grenze von Theorie und Praxis, Wissenschaft und Politik, Kirche und Gesellschaft.
Von den religiösen Sozialisten habe ich gelernt: Das biblische Gebot „Liebe Deinen Nächsten, er ist wie Du“. hat die Arbeiterbewegung schon früh als „Solidarität“ übersetzt und praktiziert. Und Solidarität macht nicht Halt an den Grenzen der Religion und Nationalität , der Hautfarbe und der Sprache.
In dieser Tradition feiern wir im DGB den 1.Mai. Stark sind wir in den Gewerkschaften immer dann, wenn wir solidarisch sind und Grenzen überwinden. Vergessen wir nicht, dass die Nazis am 2. Mai 1933 zuerst die Gewerkschaften zerschlagen haben und ihren verlogenen nationalen Sozialismus propagierten. Ja, sie waren so dreist, unsern 1.Mai als staatlichen Feiertag der nationalen Erhebung auszurufen. Da saßen unsere Gewerkschaftsführer schon im Gefängnis. Und es begann das Gegenteil von internationaler Solidarität , nämlich Rassenwahn, nationale Überheblichkeit und Kriegstreiberei. Wir Alten wissen noch genau, wie das endete, als ALLES in Scherben fiel und wir haben uns geschworen:
Nie wieder Krieg – Nie wieder Rassismus - Nie wieder Diktatur
Seit 10 Jahren erleben wir, wie der Raubtierkapitalismus wütet in Europa und global. Die Krise der Banken wurde zur Eurokrise. Die Banker haben sich verzockt und wer zahlt dafür die Zeche ? Die Arbeiter in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Irland und nun in Frankreich. Banken sind so mächtig geworden und wichtig, dass sie nicht Bankrott gehen dürfen. Ihr Untergang würde unsere Betriebsrenten und Versicherungen mit in den Abgrund reißen. Es ist schwer, die Zusammenhänge zu begreifen. Noch ist die Eurokrise nicht vorbei. Nur mühsam wird die Ohnmacht der Politik gegenüber dem Finanzsektor überwunden durch Auflagen und Regelungen, die nur international wirksam sind. Das Unbehagen ist groß, die allgemeine Verunsicherung spüren wir alle.
Und genau das scheint der Nähboden zu sein, auf dem sich bei uns und in unsern Nachbarländern der alte Nationalismus mit seinen einfachen Parolen wieder erhebt: - zurück zur DM , Deutschland zuerst und dann wohl auch wieder über alles. Das soll die Alternative für Deutschland sein !
die Griechen und Spanier sind selber schuld , sollen sie doch sehen, wie sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen
Euroskeptiker gewinnen bei Wahlen in Holland und Frankreich und wildern dabei in den Revieren der Arbeiterparteien mit ihren Parolen.
Und nun die Ereignisse in der Ukraine. Sie wirken wie das östliche Echo auf die Eurokrise im Westen : Russland zuerst. Hoch lebe Russland! Russland schützt seine Russen auf der Krim, nun in der Ostukraine und wo noch ?
Jede Nation ist sich selbst die Nächste. Ein Gespenst geht um in Form eines neuen Nationalismus.
Dagegen stehen wir am 1. Mai ein für ein soziales Europa !
Gegen die Rolle rückwärts in nationale Überheblichkeit und Ausländerfeindlichkeit.
Gegen neue Grenzen in Europa und das Recht der Stärkeren treten wir ein für die Stärkung des Rechtes national und international.
Am 25. Mai sind wir alle aufgerufen zur Wahl eines neuen Europaparlamentes. Da wollen die Gegner eines sozialen Europa im Trüben fischen. Sie hoffen auf eine geringe Wahlbeteiligung und entsprechend hohe Prozentzahlen .
Dagegen müssen wir mobilisieren und argumentieren, weil für uns Europa mehr ist als eine Brüsseler Behörde, die gelegentlich Unsinniges hervorbringt.
EUROPA , das war in meiner Jugend und das ist bis heute ein großes Friedensprojekt. Dem wir alle viel verdanken,
EUROPA … das ist die Antwort meiner Generation auf den Faschismus und zwei Weltkriege. Ein Europa der offenen Grenzen von Lissabon bis zum Ural, offen für den Austausch von Ideen und Meinungen, Handel und Wandel, Freizügigkeit und gute Nachbarschaft.
1989 hat Michael Gorbatschow für dieses Friedensprojekt das schöne Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“ geprägt. Ein Haus mit vielen Zimmern und Bewohnern mit vielen Sprachen und Kulturen und mit einer guten Hausordnung. Die Hausbewohner streiten kultiviert miteinander, wenn es laut wird und Probleme zwischen den Hausbewohnern zu regeln sind. Das Fundament ist solide und das Dach hält etwas aus. Gute Arbeit in einem sozialen Europa.
Dafür lohnt es sich zu leben und zu kämpfen und zur Wahl zu gehen.
Hier muss ich etwas einfügen, was ich als Grenzgänger zwischen West und Ost in den letzten Jahren erlebt habe. Seit 2o Jahren bin ich mehrmals im Jahr in Minsk. In der Hauptstadt von Weissrussland arbeite ich mit in dem Gemeinschaftsunternehmen IBB „Johannes Rau“ an Brücken der Verständigung mit diesem Nachbarn der EU zwischen Polen und Russland. Ich habe lernen müssen, dass Gorbatschow dort nicht so verehrt wird wie im Westen. Im Gegenteil: Er wird verantwrtlich gemacht für den Zerfall der mächtigen SU. Heimweh nach der Zeiten der Weltmacht SU … das ist das östliche Echo auf die Rolle rückwärts zum alten Nationalismus im Westen Europas.
Am 1. Mai warnen wir vor dieser Rolle rückwärts,und einem neuen kalten Krieg zwischen West und Ost . Diese Warnung hat 100 Jahre nach 1914 ein besonderes Gewicht. Nie wieder Krieg- Nie wieder Rassismus – Nie wieder Diktatur !
Und wir verbinden das mit unseren Forderungen für ein soziales Europa , in dem gute Arbeit gerechten Lohn verdient.
Gute Arbeit in einem sozialen Europa.
-das meint ein Europa Programm , eine neuer Marschall - Plan gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Nur so lassen sich junge Menschen schützen vor nationalistischen Rattenfängern
-Gute Arbeit, das meint tariflich gesicherte Normalarbeitsverträge. Schluss mit den unsicheren Werksverträgen und ungesicherter Leiharbeit. Die ersten Schritte zur Einführung des Mindestlohns sind getan. Unser Kampf lohnt sich, wir dürfen nicht locker lassen.
-Gute Arbeit in einem sozialen Europa gibt es nur, wenn starke Gewerkschaften dafür kämpfen und ein Gegengewicht gegen die neoliberalen Kräfte in Politik und Wirtschaft bilden.
Wir wissen, wie gefährlich es ist, wenn sich mächtige Interessengruppen die nationalen Unterschiede zu Nutze machen und abhängig beschäftigte Arbeiter gegeneinander ausspielen: die Türken gegen die Griechen, die Spanier gegen die Franzosen, die Roma gegen die Rumänen.. Gegen Lohndumping können wir in den Gewerkschaften nur gemeinsam ankämpfen, Da ist die internationale Solidarität gefragt.
Nicht Gleichmacherei ist unser Ziel. Aber ohne Angst verschieden sein können... darum geht es in unserm sozialen Europa. Eine Willkommenskultur brauchen wir und keine Abschottung in der Festung Europa, die mehr Geld ausgibt für Frontex als für die Integration der Flüchtlinge aus den Krisengebieten.
Noch einmal: Vor hundert Jahren begann der 1. Weltkrieg, für meinen Großvater war er die logische Folge der Erbfeindschaft zwischen Franzosen und Deutschen - Heute leben wir als Nachbarn und und schätzen Frankreich als Ferienland. Europa ist und bleibt ein Friedensprojekt.
Die erste deutsche Republik scheiterte 1933 , weil es zu wenige Demokraten gab, die sie verteidigten. Daraus ist zu lernen:
-Europa braucht mehr überzeugte Europäer, die am 25. Mai wählen gehen und den nationalistischen Parteien die rote Karte zeigen.
-Dazu ruft der DGB am Tag der Arbeit auf, der in aller Welt begangen wird
Für gute Arbeit in einem sozialen Europa!
Für starke Gewerkschaften im gemeinsamen Haus Europa!
Gegen kalten Krieg zwischen Ost und West und für Frieden in Europa und an seinen Grenzen.!
Glückauf und Vorwärts in den 1. Mai 2014 ! (Original - Ende)
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