Karl Lamers: „Krisen als Chancen sehen“
Der frühere CDU-Außenpolitiker Karl Lamers referierte beim Beirat des „marienthaler forums“ in Wissen. Seine Überzeugung: Das europäische Einigungswerk sei eine Antwort auf die Entgrenzung und Globalisierung. Am 5. September begrüßt das Forum den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Günther Oettinger.
Wissen/Kreisgebiet. Am 5. September wird der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günther Oettinger, Gast beim Wirtschaftstag des „marienthaler forums“ sein. Die Veranstaltung findet um 16 Uhr in der Altenkirchener Stadthalle statt. Damit könne man den gerade zum Vizepräsidenten beförderten deutschen Vertreter in der EU-Kommission begrüßen, der mit seiner Zuständigkeit für die Energiepolitik auch thematisch die wichtigste wirtschaftspolitische Zukunftsfrage behandeln werde, so Ulrich Schmalz vom „marienthaler forums“ bei einer Sitzung des Forumsbeirates. Er konnte bei dieser Gelegenheit als neues Mitglied den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Karl Heinz Schmitz begrüßen.
Die Tagung des Beirates befasste sich im Übrigen mit den weiteren Veranstaltungsüberlegungen. Hier wird u. a. der Krisenherd Ukraine mit seinen Hintergründen von einer Wissenschaftlerin behandelt, die viele Jahre vor Ort verbracht hat und auch aus eigener Anschauung die russischen Interessen beleuchten wird.
Im Anschluss an die Beiratssitzung konnte Schmalz mit Karl Lamers einen langjährigen und hochkarätigen deutschen Außenpolitiker begrüßen, der seinerzeit mit dem „Lamers-Schäuble-Papier“ und der Idee eines Kerneuropa einen neuen Denkanstoß geliefert hatte, der sich heute in Teilen realisiere. Lamers war lange Jahre außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Schmalz ging in seiner Einführung zunächst auf die Veränderung der politischen Strukturen in Europa ein, in Italien sei die langjährige Regierungspartei DC völlig von der Bildfläche verschwunden, auch in Frankreich befinde sich die bürgerliche UMP in einer zerstörerischen Situation. Die politische Mitte und damit das pro-europäische Lager komme immer mehr von den Rändern unter Druck. Das gab Lamers die Gelegenheit, seine Thesen von den „Krisen als Chance“ zu interpretieren. Das europäische Einigungswerk sei eine Antwort auf die Entgrenzung und Globalisierung, am deutlichsten spürbar in der anhaltenden digitalen Revolution.
Das Projekt der europäischen Einigung sei auch der Einsicht geschuldet, dass die einzelnen Nationalstaaten mit den Herausforderungen der Zukunft überfordert seien. Die geschichtliche Entwicklung habe laut Lamers Europa seit mehr als 60 Jahren Frieden und Wohlstand beschert. Die 2008 ausgebrochene Finanzkrise sei keine Krise Europas, sondern habe ihre Ursache in den finanzpolitischen Zuständigkeiten der Nationalstaaten, deren Geldschöpfung nicht in produktive, sondern in soziale Ausgaben geflossen seien. Deshalb brauche Europa auch einen neuen Ordnungsrahmen, der eine stärkere und verbindliche Disziplinierung der Ausgabenpolitik notwendig mache. Lamers konstatierte aber bereits deutliche Verbesserungen in den Krisenstaaten Irland, Griechenland, Portugal und Spanien.
Sorgen bereiteten weiterhin Italien und Frankreich, mit dessen Staatszugewandtheit und ihren historischen Ursachen er sich besonders auseinander setzte. Bei der Einführung des Euro hätten viele Skeptiker vor Inflationsanstieg gewarnt, heute sehe man, dass die Inflation geringer als in DM-Zeiten ausgefallen sei und auch der Außenwert des Euro habe alle Skeptiker widerlegt.
In der Diskussion wurde in Sonderheit die Rolle der Europäischen Zentral Bank EZB thematisiert, was Schmalz in seinem Schlusswort zu der Mahnung veranlasste: „Europa darf nicht nur ein fiskalisches Projekt sein, gerade seine großartigen kulturellen Werte sind im Weltmaßstab unvergleichlich“.