Fachtagung beschäftigte sich mit dem Recht auf Wohnen
Ein verbrieftes Grundrecht ist die freie Wahl des Aufenthaltsortes und der Wohnform. Für die meisten Menschen völlig normal. Das gilt auch für behinderte Menschen, so will es der Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention. Da prallen Anspruch und Wirklichkeit aufeinander, wie eine Fachtagung nun zeigte.
Altenkirchen. Der Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention erkennt das Recht von Menschen mit Behinderungen an, mit den gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Dies bedeutet für Menschen mit Behinderungen, dass sie gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.
Auch wenn der Artikel der UN vor Augen führt, dass das „eigene Dach über dem Kopf“ – eben dort, wo man leben möchte - ein verbrieftes Grundrecht ist, sieht die Realität vieler Betroffener anders aus. So erstellte die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft im Landkreis Altenkirchen (PSAG) in Ihrer diesjährigen Fachtagung die „Diagnose: Wohnungssuchend!“ und rückte somit die Probleme in der Umsetzung, aber auch gelingende Faktoren in den Vordergrund.
Die Schirmherrschaft der Veranstaltung, die in den Räumlichkeiten und mit der Unterstützung der Kreisverwaltung Altenkirchen stattfand, übernahm Landrat Michael Lieber, der in seinen Grußworten die Relevanz des Themas unterstrich. Klaus Gerhardus, Geschäftsführer der PSAG, dankte für die Unterstützung. Ohne Unterstützung und die Mithilfe der Kreisverwaltung hätte der Fachtag nicht durchgeführt werden können.
Gerhardus hinterfragte mit Blick auf die Wohnraumproblematik gleich zu Beginn der Veranstaltung, wer denn eigentlich für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen zuständig sei: „Ist es der Landrat? Ist es die PSAG? Sind es die Menschen mit Behinderungen selbst oder sind es alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Altenkirchen?“
Am Vormittag boten insgesamt drei Referenten interessante Einblicke in die Thematik. Dagmar Kossack, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Mainz-Bingen GmbH, referierte über Bedingungen für eine gelingende Inklusion im Bereich Wohnen und forderte neben dem Ausbau von Unterstützungsleistungen für Betroffene die Schaffung von barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum. Leider sei es ihrer Ansicht nach so, dass „die bestehenden gesetzlichen Regelungen die Umsetzung von Wohnprojekten erheblich erschweren.“
Anneliese Böning von der Beratungs- und Prüfbehörde des Landeamtes für Soziales in Rheinland-Pfalz gab einen Überblick über die aus der Gesetzeslage resultierenden Möglichkeiten der Mitwirkung von Betroffenen im Bereich des Wohnens. Ein eindrucksvolles Praxisbeispiel über ein innovatives und inklusives Wohnprojekt in Ludwigsfafen (IGLU) gab Bernadette Bros-Spähn mit zwei Bewohnern ihrer Wohngemeinschaft, in der junge Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam ihren Alltag meistern. Das Projekt wurde erst kürzlich von der gemeinnützigen Organisation Phineo mit dem „Wirkt-Siegel“ ausgezeichnet.
Da die PSAG im Rahmen ihrer Fachveranstaltungen immer auch großen Wert auf den gemeinsamen Austausch aller beteiligten Akteure legt, erhielten die Teilnehmer nach den Fachvorträgen Gelegenheit, miteinander über wichtige Aspekte zu diskutieren. Innerhalb verschiedener Arbeitsgruppen wurden unter anderem die Situation von wohnungssuchenden Psychiatrie-Patienten, Suchterkrankten, Menschen mit körperlicher Behinderung oder jungen Erwachsenen mit Lernschwierigkeiten im Kreisgebiet unter die Lupe genommen.
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Werner Hollmann (Psychiatriekoordination), Dr. Holger Ließfeld (AWO-Betreuungsverein), Jochen Krentel (Lebenshilfe), Susanne Hahmann (Diakonie Michaelshoven), Dietmar Henrich (Ordnungs- und Sozialverwaltung Hamm/Sieg), Ingrid Kipping (Hausverwaltung Kipping, Kirchen/Sieg), Patrick Stockschläder und Marc Wisser (beides Betroffene) wurde moderiert von Mathias Kempf vom Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste der Universität Siegen.
Im Rahmen der Diskussion wurde die Komplexität des Themas immer wieder deutlich. So verschärfen beispielsweise fehlender barrierefreier Wohnraum, fehlende Infrastruktur oder der Mangel an bezahlbaren Wohnungen das Problem. „Nicht zuletzt führen Barrieren in den Köpfen dazu, dass Wohnungen häufig erst gar nicht an Menschen mit Beeinträchtigungen vermietet werden“, so Sonja Müßig vom HIBA e.V. in Wissen als Sprecherin des Arbeitskreises Wohnen der PSAG.
„Um Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen, ist vor allem die Vernetzung der Akteure essentiell“, betonte Henrich. Seiner Ansicht nach sei es z.B. zur Vermeidung drohender Zwangsräumung wichtig, dass das Ordnungsamt noch besser mit den Sozialen Diensten vor Ort zusammenarbeitet.
„Für die Vermieter hingegen ist ein fester und verlässlicher Ansprechpartner im Falle von Problemen wichtig“, stellte Ingrid Kipping aus eigener Erfahrung fest.
Jochen Krentel regte an, dass eine einrichtungsübergreifende Interessenvertretung von Betroffenen im Landkreis Altenkirchen gebildet werden sollte, um deren politische Stimme zu stärken.
Abschließend betonte Klaus Gerhardus, dass das Thema des selbstbestimmten Wohnens und Lebens in den politischen, bürgerschaftlichen, institutionellen und konfessionellen Gremien und Vereinen hoch gehalten werden muss. „Notfalls mit einer gemeinsamen Kampagne.“
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