Volkstrauertag ist Mahnung zum Frieden
Der Volkstrauertag wird traditionell in ganz Deutschland mit Kranzniederlegungen und Feierstunden zum Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt begangen. Stellvertretend für die kreisweiten Feiern in allen Städten und Orten berichtet der AK-Kurier aus Betzdorf. In der Ansprache betonte Landrat Michael Lieber die Bedeutung des Tages als wichtige Mahnung zum Frieden.
Betzdorf. Hat man die tragische Geschichte, die das Schwarz-Weiß-Foto erzählt, erst mal verstanden, brennt es sich nahezu ins Gedächtnis ein: Der junge Mann blickt mit einem sanften Lächeln hoffnungsfroh in die Ferne. Da will jemand mit aufrechter Haltung zeigen, wie stolz er ist, die Soldaten-Uniform tragen zu dürfen. Peter Kollwitz ist gerade mal 18 Jahre alt auf dem Foto.
Kurz nachdem es aufgenommen wurde, fällt der junge Soldat, am 22. Oktober 1914. Keinen Monat überlebte der Sohn der Künstlerin Käthe Kollwitz im Ersten Weltkrieg. Das Foto wird auf der Gedenkfeier zum Volkstrauertag im Betzdorfer Rathaus gezeigt. Schülerinnen der Bertha-von-Suttner Realschule plus tragen währenddessen Schriften von Käthe Kollwitz vor, in denen sie den Tod ihres jüngsten Sohnes verarbeitet hat.
Die Geschichte von Peter Kollwitz steht stellvertretend für die Schicksale der Millionen Soldaten, denen der Erste Weltkrieg ihr Leben nahm. Euphorisch waren sie vor 100 Jahren in die Schlacht gezogen – und kamen so oft nicht mehr nachhause.
Rund 60 Gäste haben sich im Betzdorfer Rathaus versammelt, um ihnen zu gedenken – und den Opfern von Gewalt, wie Landrat Michael Lieber betont. Es soll ein Zeichen gesetzt werden, dass „wir uns der Geschichte stellen“ und, wie Betzdorf Bürgermeister Bernd Brato vorher betonte, die Aufmerksamkeit vor den Folgen zu schärfen, wenn unachtsam mit dem Erbe der vorherigen Generation umgegangen werde.
Den Toten und Angehörigen erweise man mit der Gedenkfeier Respekt und rege gleichzeitig zum Nachdenken darüber an, wie Krieg und Gewalt verhindert werden könnten, erklärt Lieber. Immerhin seien die Mechanismen, die zum Kriegsausbruch führten, immer noch wirksam: „Nach wie vor scheint das Losschlagen einfacher zu sein als das Bemühen um eine friedliche Einigung. Nach wie vor gewinne Gewalt rasch eine Eigendynamik. Nach wie vor stirbt die Wahrheit als Erstes, wenn der Krieg sich verschärft.“
Besonders in diesen Zeiten, die vom Konflikt in der Ukraine geprägt seien, werde all dies bitter deutlich.
Das Grauen des Krieges machten Bücher, wie „Im Westen nichts Neues“ spürbar – Werke, die schließlich den Bücherverbrennungen der Nazis zum Opfer fielen. Die Nazis: Sie provozierten einen neuen Weltkrieg und verantworteten den millionenfachen Mord an Juden. Lieber erinnert an die 55 Millionen Toten, die der Krieg forderte, an die Millionen Verwundeten, an unzählige Flüchtlinge, an die Vertriebenen und an die Waisen.
„Am Ende“, sagt Lieber, „lag alles in Trümmern.“ Aber Deutschland machte sich an den Wiederaufbau und schaffte neues Vertrauen in aller Welt. Und in Europa insgesamt zog man die Lehren aus den Kriegen und setzte auf Annäherung und Zusammenarbeit. Das sei nur möglich gewesen, weil die Bürger und Politiker Gräben überwinden wollten. Die Idee von Europa als Friedensprojekt sei geboren worden und diene noch heute als Vorbild in der ganzen Welt.
Brato sprach vorher von einer „europäischen Lerngeschichte“, die durch Schuld und Katastrophen hindurch zu Frieden geführt hätte.
Trotzdem: „Krieg und Gewalt sind auch heute trauriger Alltag“, ergänzt Lieber. In den letzten Jahren seien sie immer näher gerückt, auch aufgrund der Auslandseinsätze der Bundeswehr wie in Afghanistan. Wieso Krieg entstehen und wie er verhindert werden könne, sei nach wie vor aktuell. Denn Soldaten kehrten verwundet oder traumatisiert in die Heimat zurück.
Die Folge: „Unter uns leben Opfer von Krieg und deren Angehörige.“ Und auch die Frage, wie man Gewalt und Rassismus entgegentreten könne, stelle sich jeder Generation aufs neue. Genau deshalb sei das Gedenken so wichtig. Gedenken sensibilisiere dafür, wenn Frieden, Freiheit oder die Menschenrechte bedroht seien und mache bewusst, wie wenig selbstverständlich diese Werte seien. Gedenken versuche außerdem den Opfern wieder ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Hinter den Millionen Toten stünden schließlich auch immer Einzelschicksale. Ein Einzelschicksal wie das von Peter Kollwitz.
Oder das von Ludwig Uhland, der 1809 das Gedicht „Der gute Kamerad“ schrieb, das nach der Gedenkfeier in seiner Liedform vom CVJM-Posaunenchor Betzdorf während der Kranzniederlegung am Ehrenmal in den Rainanlagen gespielt wird. Uhland schrieb die Zeilen während der Tiroler Befreiungskriege gegen Napoleon. Der junge Dichter hatte Beziehungen zu beiden Seiten, sowohl zu den Badenern, die unter französischem Befehl den Aufstand niederschlagen sollten, als auch zu den Befreiungskämpfern. Sein Förderer Leo von Seckendorf fiel in dem Krieg als österreichischer Hauptmann. Von den Nazis missbraucht, erzählt das Gedicht eigentlich von den Opfern des Krieges und der ohnmächtigen Trauer der Überlebenden – zeitlose Themen, wie an diesem Volkstrauertag wieder bewusst wird. (ddp)
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