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Nachricht vom 12.03.2015    

Kindeswohl ist Gesellschaftswohl

Kindeswohl ist Gesellschaftswohl – unter diesem Leitgedanken stand der Vortrag, mit dem Professor Dr. Kathinka Beckmann am Dienstag, 10. März, im Wissener Kulturwerk auf die Problematiken des Kinderschutzes in der kommunalen Sozialpolitik hinwies. Die SPD-Kreistagsfraktion und der SGK-Regionalverband hatten zu der Vortragsveranstaltung mit anschließender Diskussionsrunde geladen.

Andreas Hundhausen, Kreisvorsitzender der SPD, Bernd Becker, Fraktionssprecher, Prof. Dr. Kathinka Beckmann, Jugendamtsleiterin Susanne Nolden und der Beigeordnete des Kreises, Klaus Schneider (von links). Fotos: EK

Wissen. Fraktionssprecher Bernd Becker, der die Veranstaltung eröffnete, begrüßte neben dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenkirchen Heijo Höfer, auch den Kreisbeigeordneten Klaus Schneider, verantwortlich für das Jugenddezernat, den Kreisvorsitzenden der SPD, Andreas Hundhausen, die Leiterin des Jugendamtes Altenkirchen, Susanne Nolden, sowie den, etwas verspätet eintreffenden, Landtagsabgeordneten Thorsten Wehner, sowie alle Anwesenden im gut gefüllten kleinen Saal des Kulturwerkes.

Auf der achten Kinderschutzkonferenz im letzten Jahr in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern), an der sowohl Bernd Becker, als auch Prof. Dr. Beckmann als Referentin, teilnahmen, reifte der Plan, die ausgewiesene Expertin in puncto Kinderschutz in den Kreis Altenkirchen zu holen.

Gleich zu Beginn ihres Vortrages stellt Prof. Dr. Beckmann dann auch klar, dass sie keinesfalls “aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm heraus“ argumentiere, sondern vor ihrer Professur bereits acht Jahre als Sozialpädagogin tätig war, fünf davon im Krisenzentrum für gewaltgeschädigte Kinder in Düsseldorf, also im täglichen und direkten Kontakt mit schwer traumatisierten Kindern. Aus dieser Erfahrung heraus stellte sie die These auf, dass Kinder häufig nicht so untergebracht werden, wie die Diagnostik dies erfordern würde.

„Bei rund 81 Millionen Einwohner in Deutschland, sind lediglich 13 Millionen davon, also nur rund 15 Prozent, unter 18 Jahren. Die Sterblichkeitsrate ist in jedem Jahr um rund 200.000 Menschen höher als die Geburtenrate. Wir können es uns als Gesellschaft schlichtweg nicht leisten, auch nur auf ein Kind nicht gut aufzupassen“, argumentierte Prof. Dr. Beckmann.

Die Statistiken sprechen eine andere Sprache, denn allein im Jahr 2013 verstarben 153 Kinder unter 14 Jahren an den Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung. Unglaubliche Fallbeispiele, wie der kleine Junge, der seinen Vater beim Fußballschauen stört und zu Tode geschüttelt wird, oder die Geschwister, die bei brütender Hitze von der Mutter im Auto gelassen werden, damit diese “shoppen“ gehen kann, untermauern die Brisanz des Handlungsbedarfes. „Die Zahl der misshandelten Kinder belief sich im Jahr 2013 auf 4051 Kinder, es kann von einer Dunkelziffer ausgegangen werden, die um ein vielfaches höher ist“, führte Prof. Dr. Beckmann weiter aus.

Das im Jahr 2012 erlassene Bundeskinderschutzgesetz hat laut Prof. Dr. Beckmann zwar viele gute Ansätze, „wird jedoch den strukturellen Problemen im lokalen Raum nicht gerecht, man war schlicht und einfach nicht mutig genug“, so die Expertin. An einem Fallbeispiel aus ihrer Praxis im Krisenzentrum erläuterte sie im Folgenden den Zuhörern die Problematik, die bundesweit in der Jugendhilfe an der Tagesordnung ist. Aus Budgetgründen werden Kinder, entgegen der Empfehlung der Diagnostik, nicht in die hochwertige Betreuung, also einen stationären Behandlungsplatz, überführt, sondern es wird versucht, durch die Besuche einer Familienhilfe die Probleme zu lösen.



„Auf den ersten Blick ist dies zwar ungleich günstiger, doch in den meisten Fällen ist eine finanziell günstigere Unterbringung, die entgegen der Empfehlung ist, zu kurz gedacht, denn sie zieht in der Regel langfristig eine um so kostenintensivere Betreuung nach sich, rentiert sich also weder wirtschaftlich, noch pädagogisch“, erläutert die Kinderschutz-Expertin. Das dem so ist, hat Prof. Dr. Beckmann selbst bewiesen, denn in einer Studie untersuchte sie den Werdegang von 346 Kindern die Maßnahmen der Jugendhilfe bekamen. Sie fand heraus, dass sowohl die Fälle, bei denen die Empfehlung einer hochwertigen Betreuung seitens des Jugendamtes eingehalten wurde, sich langfristig als kostengünstiger herausstellten, pro Kind im Schnitt um rund 23.000 Euro, als auch, dass die Kinder mit einer Empfehlungsgemäßen Betreuung eher einen Schulabschluss erlangten, als die Kinder, bei denen das Jugendamt der Empfehlung nicht folgte.

Die Kommunen, welche fast die gesamte Finanzierung der Jugendhilfe übernehmen, müssten laut Prof. Dr. Kathinka Beckmann „aus der Hauptverantwortung genommen werden, damit die Ausgaben den Aufgaben folgen können und nicht umgekehrt“. Das bundesweite Ungleichgewicht, dass durch die kommunale Finanzierung der Jugendämter entstehe, sei entgegen der Chancengleichheit, denn laut der Expertin habe ein Kind in Stuttgart, wo auf einen Sachbearbeiter des Jugendamtes lediglich rund 20 laufende Fälle kommen, weitaus bessere Chancen auf eine adäquate Betreuung, als in Berlin-Mitte, wo ein Sachbearbeiter mehr als 160 laufende Fälle bearbeiten muss, ein Umstand, der schlicht nicht mehr zu erfüllen ist.

Die Forderungen an die Bundesregierung, der sich neben Prof. Dr. Beckmann auch weitere Gremien, Experten und auch der Städte und Gemeindebund anschließen, sind eine grundlegende Reform der sozialen Sicherungssysteme und die Ernennung eines unabhängigen Beauftragten für alle Belange von Kindern. „Wir brauchen eine widerspenstige und starke Kinder- und Jugendpolitik, doch diese wird von der Bundesregierung nicht gewünscht“, schloss die Kinderschutz-Expertin, die an der Universität Koblenz lehrt, ihren Vortrag.

Im Anschluss gab der Beigeordnete des Kreises Altenkirchen, Klaus Schneider, einen kurzen Überblick über die Situation der Jugendhilfe im Kreis und berichtete, dass neben einer hohen Falldichte und den Problemen einer veränderten Gesellschaft, der Kreis Altenkirchen auch mit einem Durchschnitt von 67,6 Fällen pro Sachbearbeiter zu kämpfen habe, der Landesdurchschnitt liegt bei rund 41 Fällen.

Susanne Nolden, Leiterin des Jugendamtes, betonte, dass im Kreis Altenkirchen in Gefährdungsfällen immer schnell gehandelt wird. Sowohl die Mitarbeiter des Jugendamtes, als auch die freien Träger leisteten eine hervorragende Arbeit. (EK)


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