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Nachricht vom 01.05.2015    

Märchen-Zerstörer Flassbeck auf DGB-Kundgebung

Sparen, Löhne senken, Steuern kürzen. Für Heiner Flassbeck kommen diese Forderungen Märchen gleich. Der Ökonom war Gastredner auf der zentralen Mai-Kundgebung des DGB Kreisverbandes in Wissen. Er hatte zahlreiche Thesen parat, die so gar nicht in den Zeitgeist passen wollen.

Heiner Flassbeck wollte in seinem Vortrag mit vermeintlichen Wirtschaftsmythen aufräumen. Fotos: Daniel Pirker

Wissen. „Vom kranken Mann Europas zum ökonomischen Stuperstar“. Oder greifbarer: „Deutschlands Wirtschaft brummt“. Die deutsche Öffentlichkeit scheint sich einig zu sein, wenn man nur einige Schlagzeilen der letzten Monate betrachtet.

Eine Erfolgsformel, nach der sich auch Krisenländer wie Griechenland richten sollen, lautet: Löhne senken, Sparen, Schulden abbauen. Glaubt man Heiner Flassbeck, sind die Fans dieses Mantras Märchen aufgesessen. Der Wirtschaftswissenschaftler sprach auf der traditionellen Mai-Kundgebung des DGB im Wissener „Garten“. „Alle sind gefangen in diesem schwäbischen Hausfrauendenken“, sagte der Ökonom, der Oskar Lafontaine während seinem Intermezzo im Finanzministerium als Staatssekretär diente.

Niedrige Löhne gehen auf Kosten des Wirtschaftswachstums
Diese Zeiten sind längst vorbei. Tatsächlich wäre Flassbeck als verlängerter Arm des amtierenden Finanzministers schwer vorstellbar. Immerhin gehen seine und Schäubles Denkansätze diametral auseinander. Denn Flassbeck ist davon überzeugt: Das deutsche Wachstum geht auf Kosten des Auslands. Es würden schlicht globale Zusammenhänge ausgeblendet.

Für Flassbeck besteht das größte Problem in dem Handelsüberschuss Deutschlands; sprich: Es werden mehr Güter exportiert als importiert – und das seit langer Zeit. Einen Grund dafür macht Flassbeck in den relativ niedrigen Löhnen aus. Sie ermöglichten günstige und damit attraktive Produkte für das Ausland.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssten andere Länder also ebenfalls Löhne senken. Das ist zum Beispiel eine der Kernforderungen an Griechenland. Wenn nun aber weltweit diese Appelle Realität würden, stellt sich für Flassbeck die Frage: „Wer kauft das ganze Zeug dann?“ Man könne nämlich Menschen schlicht nicht niedrig entlohnen und erwarten, dass dann die Wirtschaft floriere.

Staat muss mehr investieren
Für Deutschland hingegen gelte, dass die vergleichsweise niedrigen Löhne Produkte für das Ausland relativ günstig und damit attraktiv machten. Die Folge: Deutschland exportiere mehr als es von anderen Nationen importiere. Die wiederum müssten dafür Geld leihen. Deutschland handele damit nach der Devise: „Wir wachsen mit den Schulden der Ausländer.“

Damit müsse Schluss sein: „Wir müssen die nächsten zehn bis 15 Jahre über unsere Verhältnisse leben.“ Schließlich werde schlicht zu wenig investiert, sei es von den Verbrauchern, dem Staat oder den Unternehmen. Steuersenkungen, die Gerhard Schröders Regierung nach Flassbecks Abgang im Finanzministerium durchgesetzt hatte, hätten hier auch keine Abhilfe geschaffen. Da niedrigere Abgaben für Unternehmen nicht zu höheren Investitionen motiviert hätten, könnten Erhöhungen nun auch nicht schaden, merkte der 64jährige flapsig an.

Außerdem müsste nun die öffentliche Hand mehr investieren und Schulden aufnehmen. Der Wirtschaftswissenschaftler sprach hier von 100 Milliarden Euro.
Der Staat selbst habe sich hier mit der Verabschiedung der Schuldenbremse aber selbst ins Abseits geschossen und „kriecht nun Unternehmen in den Hintern, damit sie Investitionen tätigen“, sagte Flassbeck in Anspielung auf entsprechende Pläne des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel. Bleiben als Stellschraube für mehr Binnennachfrage also nur noch die Löhne übrig. Sie müssten laut Flassbeck erhöht werden und über der Produktivität liegen.



Festhalten an derzeitiger Politik Gefahr für Währungsunion
Die Brisanz von Flassbecks Analyse wurde deutlich, als er einen Blick nach Frankreich wagte. Die wirtschaftliche Situation könne bei der nächsten Wahl Marine Le Pen ins Amt bringen, die Führerin der rechtsgerichteten Front National. Sie werde Frankreich mit Sicherheit aus der Währungsunion stoßen und die neue Währung kräftig abwerten – mit katastrophalen Folgen für Deutschland. Millionen von Arbeitsplätzen gingen dann auf einen Schlag verloren.

Höhere Löhne auch für die Region gefordert
Bezogen auf den Kreis Altenkirchen plädierte auch der Vorsitzende des DGB-Kreisverbands, Bernd Becker, für höhere Löhne. Immerhin sei die Entlohnung innerhalb der Kreisgrenzen vergleichsweise zu gering. So werde in Neuwied im Durchschnitt zehn Prozent mehr gezahlt und ihn NRW 20 bis 30 Prozent mehr. Becker forderte: „Das ist ein Zustand, der sich ändern muss.“
Becker hob daneben die Bedeutung der gewerkschaftlichen Anstrengungen bei der Standort-Sicherung des Faurecia-Werks in Scheuerfeld hervor. Dies sei ein gutes Beispiel für die Leistung von Gewerkschaften. Die IG Metall hatte sich massiv für das Bleiben des Automobilzulieferers in der Region eingesetzt.

Der Erste Bevollmächtigte der IG-Metallverwaltungsstelle Betzdorf, Uwe Wallbrecher, ging auch grundsätzlich auf die Situation der Tarifverträge in der Region ein. Die sei in der Vergangenheit durchaus schon mal komfortabler gewesen.

IG Metall kämpft für Tarifbindung
Als Beispiel führte er hier das Betzdorfer Unternehmen Elco an. Die Gewerkschaft kämpft hier für einen Tarifvertrag. Man sei in Verhandlungen, sagte Wallbrecher. Explizit betonte er, dass ein Erzwingungsstreit möglich wäre, um eine Tarifbindung für Elco zu erreichen.
Eine Kanzlei, die Druck auf Betriebsräte ausgeübt habe, hätte man bereits „raus gestreikt“. (Über den Warnstreik und das vermeintliche Vorgehen der Kanzlei berichtete der Kurier hier ausführlich.)
Mit Hilfe einer Kanzlei werde laut Wallbrecher ebenfalls der Betriebsrat der Westerburger Firma Niveau Fenster versucht, einzuschüchtern.

Ein positives Bild konnte Wallbrecher mit Blick auf die Mitgliederentwicklung präsentieren: Im Vergleich zum letzten Jahr habe man 132 Mitglieder zusätzlich verzeichnen können im Gebiet der Verwaltungsstelle.

Landrat sichert Flüchtlingen Solidarität zu
Landrat Michael Lieber erinnerte daran, dass heute vor 70 Jahren der erste Nachkriegs-Landrat vereidigt worden war. Für Lieber „ein Zeichen für den Neuanfang“. Vor diesem Hintergrund rückte der Landrat ins Bewusstsein, dass sich Deutschland damals einer Herausforderung stellen musste, die einer heutigen ähnlich ist: der Aufnahme von Flüchtlingen. Damals hätte man es geschafft, die Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Und das gelte mit Blick auf die Kommunen auch für die aktuelle Situation. Daneben unterstrich er die große ehrenamtliche Hilfsbereitschaft bei diesem Thema. (ddp)








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