Röttgen in Wissen: Lösungsansätze und Analyse statt Allheilmittel
Von Daniel-David Pirker
Wenige Stunden nach Kanzlerin Merkels Pressekonferenz widmete sich auch die Kreis-CDU der Flüchtlingswelle. Referent Norbert Röttgen gab erst gar nicht vor, ein Allheilmittel zu kennen. Vielmehr lieferte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag mögliche Lösungsansätze und eine ausführliche Analyse der aktuellen weltpolitischen Krisen.
Wissen. Die Stimmung könne von heute auf morgen kippen. „Wenn wir nicht ganz eilig etwas machen, kracht uns der Laden zusammen.“ Es werde „Riesenzoff“ geben. Er hätte heute Lösungen vermisst. Aus dem Mann sprach Leidenschaft und Sorge. Es ging um das Thema, das Deutschland derzeit wie kein anderes beschäftigt: die rund 800.000 Flüchtlinge, die nach Deutschland strömen, und wie mit ihnen umgegangen werden soll.
Der forsche Auftritt des Mannes im Frageteil bildete einen krassen Kontrast zur vorangegangen Rede des prominenten Referenten der CDU-Veranstaltung. Wobei Rede vielleicht der falsche Begriff ist für das was Nobert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, den zahlreichen Zuhörern im Foyer im Wissener Kulturwerk präsentierte. Vielmehr handelte es sich um eine Analyse, die erklärte, wie es überhaupt zu der Flüchtlingswelle kommen konnte und einen Gesamtüberblick der Krisen, die in den letzten Jahren Deutschland und die EU beschäftigten. Auch wenn es zwischenzeitlich so stickig wie in einem Bierzelt war, ein populistischer Einheizer à la Lafontaine wird aus dem 50jährigen nicht mehr. Was den Themen, die im Kulturwerk zur Sprache kamen, vielleicht auch am ehesten gerecht wurde.
Und sicher, Lösungsvorschläge gab es auch von „Muttis Klügstem“, wie Röttgen zumindest noch genannt worden war bis zu seinem Kabinettsrauswurf durch die Kanzlerin – insbesondere nachdem Vorschläge von den Fragestellern im Schlussakt der Veranstaltung eingefordert worden waren. Aber der ehemalige Politik-Aufsteiger wollte selbst allenfalls von Lösungsansätzen sprechen. Röttgen sagte zum Beispiel, dass die Flüchtlingsfrage ein hohes Maß an Flexibilität und unkonventionellem Handeln erfordere – so hoch, wie man es sich heute noch gar nicht vorstellen könne. Und war dabei ganz bei der Kanzlerin.
Gleiches galt für seine Ablehnung eines Einwanderungsgesetzes. Ein solches würde zum jetzigen Zeitpunkt eine falsche Botschaft „nach innen und außen“ setzen und zudem auf wenig Zustimmung stoßen. Immerhin dürften Qualifizierte bereits jetzt schon einwandern.
Vielmehr müsse sich um die schnelle Integration der Flüchtlinge gekümmert werden. Dazu gehörten ein früher einsetzender Sprachunterricht und zeitnähere Arbeitserlaubnisse. Schließlich würden die wenigsten in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Vor diesem Hintergrund erinnerte Röttgen auch daran, dass viele der syrischen Flüchtlinge eine Berufsausbildung vorweisen könnten.
Und das spätestens, wenn die Temperaturen fallen werden, heiße Eisen Unterbringung? Hier ist sich Röttgen sicher: „Das schaffen wir.“ Landrat Lieber signalisierte da von der ersten Reihe aus Zustimmung für den Kreis Altenkirchen. Tatsächlich ist er zuversichtlich, dass keine Containerunterbringungen nötig sein werden, wie sich im späteren Gespräch mit dem Kurier herausstellen sollte.
Gleichzeitig gibt Röttgen keine Entwarnung was den zukünftigen Zustrom von Asylsuchenden angeht: Das Problem sei in absehbarer Zeit nicht lösbar. Der Trend werde bleiben. Aber man könne Symptome zumindest lindern. Und dazu gehört laut dem Außenpolitiker auch das Problem an den Wurzeln zu packen. Damit zielte Röttgen noch nicht einmal hauptsächlich darauf ab, Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären oder Anerkennungsverfahren bereits in Nordafrika einzuführen. Während er Ersteres begrüßt, denkt er über Letzteres nur nach – auch weil dies anscheinend nur mit rechtlichen Umwegen realisierbar wäre.
Ein Lösungsansatz Röttgen ist es auf jeden Fall, die Wirtschaft der Staaten, aus denen geflüchtet wird, zu unterstützen. Wie das genau aussehen soll, erklärte er nicht. Umso konkreter wurde seine Analyse, wie es überhaupt zu der Flüchtlingswelle kommen konnte. Ein Grund: Die demografische Entwicklung in Afrika. Allein die Hälfte des weltweiten Bevölkerungswachstums spiele sich auf dem Kontinent ab.
Röttgen machte vor allem aber den Zerfall der nordafrikanischen Staaten verantwortlich: Libyen sei völlig ohne Regierungsgewalt oder Syrien praktisch zerfallen. Nun dringe der „Islamische Staat“ (IS) mit seiner Terrorherrschaft in das Machtvakuum hinein. Und die deutsche und europäische Außenpolitik laufe dieser Krise praktisch nur hinterher.
Überhaupt: die Krisen der letzten Jahre. Sie hätten die Politik in ihrer Gleichzeitigkeit unvorbereitet getroffen. Zumindest die Flüchtlingswelle sei eigentlich früher absehbar gewesen mit Blick auf die Entwicklungen in Nordafrika oder dem Massensterben im Mittelmeer. Eine Einschätzung, die der CDU-Kreisvorsitzende Josef Rosenbauer ebenfalls zu Beginn der Veranstaltung geäußert hatte.
Röttgens außenpolitischer Lösungsansatz für die Flüchtlingskrise ähnelt seinen Vorschlägen zur Ukraine-Krise, der Griechenland-Krise oder auch der Euro-Krise. Er forderte ein gemeinsames europäisches Vorgehen ein. Noch habe man zum Beispiel keine Afrikastrategie. Röttgen setzt grundsätzlich auf die Zeit nach den Wahlen in Polen oder dem Referendum über die EU-Mitgliedschaft in Großbritannien. Dann werde der innenpolitische Druck von den dortigen Regierenden weichen, der sie noch davon abhält, eine offenere Flüchtlingspolitik zu betreiben.
Grundsätzlich müsse aber Fairness in Sachen Flüchtlingsverteilung eingefordert werden, sagte Röttgen. Sicher, einfacher gesagt als realisiert. Das hat laut dem Bundestagsabgeordneten aus dem Rhein-Sieg-Kreis auch mit den angewachsenen scharfen Interessensgegensätzen zu tun, die mittlerweile zwischen vielen EU-Staaten bestehen. Kein Wunder. Denn die letzten Jahre hätten Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Es sei eine neue Mentalität gewachsen bei den Nationalregierungen, die vor allem nur noch auf den Applaus der eigenen Bevölkerung schiele.
Dabei sei ein gemeinsames europäisches Handeln nicht nur vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle mehr als nötig. Schließlich sei der Euro trotz dem jüngsten Abkommen mit Griechenland noch lange nicht gesichert auf Dauer, so wie die EU immer noch nicht immun sei gegen eine nächste Finanzkrise, wie sie 2008 die Märkte und Wirtschaftssysteme erschüttert hatte.
Ohne eine gemeinsame europäische Linie sei auch der Konflikt um die Ukraine nicht zu lösen. Was die Spannungen mit Russland letztlich auslöst hatte? Wieder die Schwäche einer Regierung im Innern, nämlich Putins. Er stabilisierte allerdings in der Interpretation Röttgens seinen innenpolitischen Führungsanspruch mithilfe der Aggression gegenüber der Ukraine. Er wolle als Gewinner aus dem Konflikt gehen, indem er einfach auf den wirtschaftlichen Kollaps des Nachbarstaats setzte. Diese Strategie könne die EU nur durchkreuzen, wenn sie die dortige Wirtschaft am Leben erhalte.
Und Apropos Ukraine: Auf diese Krise würde nun die deutsche Politik verweisen, um Untätigkeit gegenüber dem IS zu rechtfertigen, sagte Röttgen. Die Entschuldigung laute, man sei zu abgelenkt gewesen. Nur ein Beispiel für das Credo des Redners, das er immer wieder in verschiedenen Variationen wiederholte: „Alles hängt mit allem zusammen.“ Und mit Blick auf die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit der IS, nämlich den Hundertausenden, die nach Deutschland flüchten, wird den Zuhörern noch ein weiterer Satz Röttgens lange in Erinnerung bleiben: „Innen und außen kann man nicht mehr trennen.“ (ddp)
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