Gedenken in Betzdorf: Lehren aus Judenverfolgung ziehen
Jedes Jahr wird den jüdischen Opfern des Nazi-Regimes in Betzdorf gedacht. Was hat die Verfolgung und Auslöschung der Juden in Deutschland mit dem Heute zu tun? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Betzdorfer Gedenkveranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November 1938.
Betzdorf. Ein Anti-Flüchtlings-T-Shirt, auf dem ein Maschinengewehr prangt. Pegida-Demonstrationen, auf denen symbolisch Politiker gehängt werden. Tägliche Berichte über Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Deutschland 2015. Was hat das Beschriebene mit dem Deutschland von 1938 zu tun, konkreter der Nacht vom 9. auf dem 10. November, als der Terror der Nazis gegen die Juden seinen vorläufigen Höhepunkt in der Öffentlichkeit erreicht hatte? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden in den Redebeiträgen auf der Gedenkveranstaltung in Betzdorf. Das grüne Stadtratsmitglied Marion Pfeiffer appellierte an die zahlreichen Zuhörer im Sitzungssaal des Rathauses: Jeder sei in der Pflicht, hinzusehen und Partei zu ergreifen, wenn sich feindselig gegen Flüchtlinge geäußert wird. Als Positiv-Beispiel führte sie die Kundgebung für Toleranz in Bad Marienberg an. Das „Hinsehen“, so die Kommunalpolitikerin, sei der Grundstein, um Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Gerade jetzt gelte es das Gelernte auch anzuwenden. Daran müsse ständig gearbeitet werden.
Parallelen zur Gegenwart zog ebenfalls Bürgermeister Bernd Brato in seiner Ansprache. Es sei erschreckend, wie die Ideologie und Propaganda noch heute den öffentlichen Raum erobere. Deswegen dürfe niemand wegschauen, wie es die Mehrheit der Deutschen im November 1938 tat. Angriffe auf Einzelne bedrohten die Bürgerrechte insgesamt. Brato appellierte, dass sich an die Seite der Unterdrückten gestellt werden müsse. Sein Credo: „Ohne Vergangenheit keine Gegenwart.“ Gedenken so der Bürgermeister, sensibilisiere gegenüber Intoleranz, Antisemitismus und Gewalt. „Wir sind jeden Tag gefordert, den Schutz der Bürgerrechte wahrzunehmen“, betonte Brato.
Ausgrenzung, Gruppendruck, Demütigung oder Gewalt – die Leitlinien der Nationalsozialisten sind auch heute nicht ausgestorben, wie ein Beitrag von Schülerinnen der Bertha-von-Suttner-Realschule plus demonstrierte. Die vier jungen Frauen zeigten Parallelen zwischen der Vergangenheit und dem Heute auf.
Dass Juden in der Region nicht erst seit dem Nazi-Regime unterdrückt und benachteiligt wurden, erläutere der Geschäftsführer des Betzdorfer Geschichtsverein in einer detailliert ausgearbeiteten Rückschau, die bis ins 12. Jahrhundert ging. Judenhass, so Bäumer, gab es überall, wie er an einem Beispiel aus Hamm von 1784 veranschaulichte. Oftmals konnte kein Vergehen darin gesehen werden, einen Juden zu töten. Nach einer Phase der Gleichstellung der jüdischen Bürger durch die preußische Gesetzgebung 1848 sollte es kein Jahrhundert dauern bis zur „Endlösung“ der Nazis.
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„Juden sind in Betzdorf unerwünscht!“ Dies stand bereits 1935 auf einem Schild am Betzdorfer Bahnhof. Im gleichen Jahr degradierte das Gesetz Juden zu Bürgern zweiter Klasse. Noch fand jüdisches Leben in Betzdorf statt. Wenige Jahre später, im November 1938, wurden schließlich Schaufenster und Fenster jüdischer Geschäfte und Häuser in Betzdorf zerstört. Der jüdische Betraum hinter dem Bayrischen Hof wurde geplündert und zerlegt. Anfang der 1930er gab es noch rund 40 jüdische Bürger in Betzdorf, am „Ende der schlimmen Zeit“ (Bäumer) waren 21 davon verschollen, vermisst oder ermordet. „Mit dieser Veranstaltung wollen wir ihrer gedenken. Wir wollen die Geschichte, die unsere Geschichte ist, aufarbeiten und wollen sie insbesondere den jungen Generationen ans Herz legen“, so Bäumer abschließend. Das Ziel dabei: Zu verhindern, dass solche schrecklichen und unfassbaren Ereignisse sich nicht wiederholen.
Wie in jedem Jahr marschierten die Teilnehmer am Ende der Gedenkstunde vom Rathaus zum Bahnübergang Richtung Viktoriastraße. Dort legten Bürgermeister Brato für die Stadt sowie die Jusos (Jugendorganisation der SPD) gemeinsam mit den Grünen jeweils einen Kranz nieder an der Gedenkrosette. (ddp)
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