Höhepunkt der Literaturtage: Ortheil las im Kulturwerk
Der Höhepunkt der diesjährigen Westerwälder Literaturtage fand am Sonntagmorgen, 5. Juni mit der Lesung von Hanns-Josef Ortheil im Kulturwerk in Wissen statt. Der Gründer und langjährige Leiter der Westerwälder Literaturtage las aus seinem neusten Roman „Der Stift und das Papier“ vor. Gebannt hing das zahlreich erschienene Publikum an Ortheils Lippen und musste an der ein oder anderen Stelle kräftig schmunzeln.
Wissen. Maria Bastian-Erll, Programmleiterin der Westerwälder Literaturtage begrüßte den Schriftsteller im Kulturwerk. Ortheils autobiografischer Roman, einer von zehn Bänden, die einen „Westerwäldischen Romanzyklus“ bilden werden, spielt zum größten Teil in Wissen und beschreibt wie der ungefähr achtjährige Hanns-Josef Ortheil das Schreiben auf eine ungewöhnliche Weise erlernt. Er lernte nicht in der Schule schreiben, sondern mit der Hilfe seiner Eltern- im Besonderen mit der seines Vaters. Der Vermessungsingenieur war jedoch kein Pädagoge. Daher ergab sich „einer der merkwürdigsten Schreibunterrichte, die es je gegeben hatte“, wie Ortheil selbst sagt.
In dem Roman wurde der junge Ortheil in der Jagdhütte, die eigentlich ein Rückzugsort des Vaters war, unter Anweisung seines Vaters mit Bleistift, Pauspapier und dem Bilderwörterbuch Duden an das Schreiben herangeführt. Der Vater begann gemeinsam mit seinem Sohn sogenannte „Tagesseiten“ auf Pauspapier anzulegen, auf denen Beobachtungen des Tages festgehalten wurden. Bis heute hat Ortheil diese weitergeführt. Dabei sind bisher 440.000 Seiten entstanden, die allmählich digitalisiert und zum Teil öffentlich gemacht werden sollen.
Immer wieder ging Ortheil als Kind in dem Roman in den Wald. Der Wald ist für ihn „die große Zone der Beruhigung“. Dort entstanden einige Geschichten in seinem Kopf, was er damals „unheimlich“ fand, sagt Ortheil. Auch seine erste Veröffentlichung, eine Geschichte zu Ameisen, entstand in dem Wald.
Mit der Zeit verbesserte sich das Schreiben des Jungen Ich-Erzählers immer mehr und gehörte zum Alltag wie selbstverständlich dazu. Eines Tages fragt der Vater seinen Sohn, ob ihm das Schreiben Spaß mache. Dieser bejahte dies. Dann fragte der Vater, ob er auch erstaunt wäre und das Kind antwortete, dass es nicht über sich selbst erstaunt wäre, sondern über das was es schreibt, liest Ortheil.
Das Publikum hing während der Lesung gebannt an Ortheils Lippen, der mit Charme und Authentizität vorlas. Manchmal musste das Publikum auch kräftig über die kindliche Naivität des Ich-Erzählers schmunzeln. Zum Beispiel als Ortheil beschreibt, wie er „aussagekräftigere Rezepte“ aufschrieb, indem er beim Prozess des Kochens die Dinge, die er sah, beschrieb, wie er sie aus seiner kindlichen Perspektive empfand. Zudem rezitierte er ohne zu zögern sogenannte „Knisterdialoge“ der Erwachsenen oder übte die Verwendung von Wörtern, indem er diese in jedem erdenklichen Zusammenhang anwendete.
Als Kind hatte Ortheil lediglich für seine Eltern und sich geschrieben. Er wollte sein Geschriebenes darüber hinaus nicht vorlesen. „Heute sind wir dankbar, dass dies anders ist.“, sagte Bastian-Erll zum Abschluss der Lesung. (jkh)
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