Schweißtreibendes Duell zwischen Bäumer und Brato
Im September wird der neue und erste Bürgermeister der Verbandsgemeinde Betzdorf-Gebhardshain gewählt. Der Wahlkampf lag bisher in weiter Ferne. Das hat sich jetzt schlagartig geändert mit dem ersten Rede-Duell der beiden Kandidaten.
Gebhardshain. Selten passte die Formulierung „hitzige Debatte“ besser. Noch bevor die erste Frage fiel, tropften Simon Bäumer (CDU) und Bernd Brato (SPD) die Schweißperlen vom Stirn. Die Kreis-FDP hatte zum Schlagabtausch der Kandidaten um das Amt des Bürgermeisters in der künftigen Verbandsgemeinde Betzdorf-Gebhardshain geladen. Der Saal im Westerwälder Hof in Gebhardshain war bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen Sommer pur. Drinnen rote Köpfe und stickige Luft.
Das Duell zwischen Bäumer und Brato diente ganz sicher nicht zur Abkühlung. Die beiden ungleichen Kandidaten schenkten sich wenig in einem Schlagabtausch, der durchaus größtenteils gesittet ablief. In der Kommunalpolitik prallen selten ideologische Lager aufeinander, thematische Unterschiede zeichnen sich oft nur oberflächlich ab. Umso mehr waren der 26jährige Lehramtsstudent Bäumer und der amtierende Bürgermeister Betzdorfs bemüht, zu betonen, wo sie nicht einer Meinung sind.
Schwerpunkte setzten beide Kandidaten beim Thema Wirtschaft und dem langen Rattenschwanz, der hier dran hängt. Das Leib-und-Magen-Thema des Betriebswirtschaftlers Brato, der vor zehn Jahren selbst zur Überraschung vieler aus der Wirtschaft in die Verwaltung gewählt worden war. Er sei damals angetreten mit dem festen Willen zur Veränderung. Und die sei gelungen: „Es funktioniert ganz gut in Betzdorf.“ Der Sozialdemokrat sprach hier von einem „Erfolgsmodell“, das er ins Gebhardshainer Land tragen wolle im Fall eines Wahlsiegs im September. Der 57jährige Verwaltungschef verwies auf die Gründung der Regionalen Entwicklungsgesellschaft, einer Art ausgegliederten Wirtschaftsförderungsinstitution der Verbandsgemeinde. Durch diese Lösung seien schnelle und effiziente Lösungen möglich gewesen. Bestes Beispiel für den Erfolg der Gesellschaft ist für Brato die Revitalisierung des ehemaligen Lampertzgelände in Wallmenroth. Die Industriebrache habe man komplett „umdrehen“ können. Die Ansiedlung und Förderung von Firmen hat für Brato auch in Zukunft höchste Priorität. Den Schwerpunkt will er auf Industriearbeitsplätze setzen. Sie seien gut bezahlt. Zudem zögen Unternehmen aus dieser Branche wiederum neue Firmen an, die Technologien vorantreiben. Bestes Beispiel sei hier der Anbieter von Rechenzentren, ProRZ, auf dem Wallmenrother Gewerbegebiet.
Auch in Anspielung darauf erklärte Bäumer, er wolle Gebhardshain nicht einfach das Betzdorfer Modell überstülpen. Sehr wohl erkennt der CDU-Kandidat dabei die Vorteile der Regionalen Entwicklungsgesellschaft an. Doch zeigte er auch vermeintliche Defizite auf. Beispielsweise habe die CDU schon lange gefordert, das Gewerbegebiet Dauersberg zu erschließen. Nun plane man endlich das erste Drittel. Grundsätzlich will Bäumer, dass Gewerbeflächen schneller erschlossen werden, damit Firmen sich neu ansiedeln oder zumindest nicht abwandern. Das Thema Wirtschaft ist auch eng verbunden mit den kommunalen Finanzen. Und da steht Betzdorf bekanntlich sehr schlecht da.
Brato machte hier deutlich, dass der Verbandsgemeinde-Haushalt umlagefinanziert sei. Letztlich sei die Kommunalpolitik abhängig von Entscheidungen höherer Ebenen. Man sei allenfalls „Empfänger dessen, was oben entschieden wird“. Auch bei diesem Thema versuchte der Betzdorfer Bürgermeister erneut mit der Regionalen Entwicklungsgesellschaft zu punkten. Bei der damaligen Entscheidung für deren Gründung und späteren Projekten habe man nämlich eben nicht auf die Zuschüsse gehofft. Den Breitbandausbau habe man zum Beispiel „selbst in die Hand genommen“ in Kooperation mit Netcologne. So habe man sich Entscheidungshoheit gesichert, schnelles Internet in der Verbandsgemeinde möglich gemacht und könne nach rund 13 Jahren mit Gewinnen rechnen. Gleichwohl: Hoffnung auf einen ausgeglichenen Haushalt wollte Brato definitiv nicht machen.
Gegen das Internetprojekt wollte sich auch Bäumer nicht positionieren. Er bezeichnete es als „wunderbar“ und als ersten guten Schritt. Trotzdem sieht er „Luft nach oben“ trotz der voraussichtlichen Gewinne hierdurch. Mit einem Bürgermeister Bäumer wären darüber hinaus keine Einsparungen bei Schwimmbad und Co. zu erwarten. Schulden, so der junge Kandidat, will er durch mehr „Aktivität“ senken. Konkret stellte er sich hier den Tourismus vor aus dem man Kapital schlagen könne. Brato zweifelte hier zwar nicht an, dass Gebhardshain besser aufgestellt sei. Aber: „Mit Tourismus können Sie kein Geld verdienen.“ Die Einnahmen seien relativ bescheiden. Er werde weiterhin auf Industriearbeitsplätze setzen. Alles andere sei „Träumerei“. Bäumer hielt dagegen. Er verspricht sich durch eine Stärkung des Tourismus zum Beispiel mehr Arbeitsplätze in der Gastronomie und mehr Besucher in Freizeiteinrichtungen – was wiederum auch zu mehr Einnahmen führe.
Auch bezüglich der Wirtschaftsentwicklung in Betzdorf war die Erschließung der Bahnbrachen mal eine große Hoffnung. Und die ist zumindest vorerst zerschlagen. Brato sieht hier kein Vorankommen dank der Deutschen Bahn. Bäumer hingegen fragte rhetorisch: „Was ist passiert von Seiten der Stadt, damit die Bahn so blockiert?“
Eine Frage von Bäumers Mutter aus dem Publikum erregte großen Unmut bei Brato. Es ging um fehlende Einkaufsmöglichkeiten und den Niedergang der Geschäftswelt in Betzdorf. „Es ist unverschämt, wie Sie hier die Stadt kaputt reden!“, erwiderte der Betzdorfer Bürgermeister. Handtaschen könne man beispielsweise im Burghaus kaufen, Pfannen bei Pagnia. Bäumer selbst bezog sich auf die Gefühlslage der Bürger bezüglich der Einkaufsmöglichkeiten. Diese käme nun mal nicht von ungefähr. Es müsse verstärkt erklärt werden, was es wo zu kaufen gibt, und dafür geworben werden, was man als lebenswerte Region zu bieten habe.
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Und selbstverständlich: Eine Diskussion zwischen zwei Betzdorfern kann nicht ablaufen ohne das Verkehrsproblem zu behandeln. Unter anderem ging es um die Umgehungstraße Alsdorf. Bäumer stichelte und erinnerte daran, dass Brato auf der damaligen Demonstration für die Umgehung pointiert eben diese einforderte. Nach Bäumer sei aber nichts passiert seitdem. Er vermisst den Elan, die Sache im Speziellen und allgemein „einen großen Wurf“ voranzutreiben. Grundsätzlich sieht der CDU-Kandidat beim Thema Verkehr neue Chancen, die durch die Fusion der beiden Verbandsgemeinden entstünden. Bäumer will sich nicht mit Staus abfinden. Brato hingegen verwies auf die Zwänge planerischer Gesetzesvorgaben und Umweltbestimmungen, auf die man als Kommunalpolitiker keinen direkten Einfluss ausüben könne: „Wir kriegen eine Straße nicht so schnell genehmigt und gebaut, wie wir wollen.“
Und mit Staus schlügen sich Autofahrer in der ganzen Republik rum. Auch Brato selbst. Wenn er um 9 Uhr morgens einen Termin in Mainz habe, wisse er, dass er eine dreiviertel Stunde früher losfahren müsse. „Komischerweise wissen das die Eltern, die ihre Kinder morgens zur Schule fahren durch Betzdorf, nicht.“ Und sicher: Beide Kandidaten hätten nichts gegen einen späteren Schulanfang, auch um das Verkehrsproblem in Betzdorf zu entschärfen.
Apropos Schulen: Bäumer machte deutlich, dass er gegen Schulzusammenlegungen innerhalb des neuen Verbandsgemeindegebiets sei. Die Realschulen plus sollen ihre Eigenständigkeiten beibehalten. Generell ist dem angehenden Lehrer eine größtmögliche Schulvielfalt wichtig. Brato erinnerte vor diesem Hintergrund daran, dass die Realschule plus in Gebhardshain dem Kreis in Folge der Fusion angeboten werden soll. Auch betonte er, dass momentan an einem Schulentwicklungsplan gearbeitet werde. Und der stelle nach aktuellem Stand fest: Innerhalb Betzdorf gebe es eine Realschule plus zu viel. Auch vor der Tatsache sinkender Schülerzahlen wollte Brato keine Prognose abgeben. Ihm jedenfalls sei es wichtig, Schulen nicht gegeneinander auszuspielen.
Entwicklungspotential erhofft sich Bäumer von der Erschließung neuer Wohngebiete, vor allem in Stadtnähe. Diese würden durchaus nachgefragt. Allerdings seien entsprechende Flächen im Nutzungsplan mit einem Sperrvermerk versehen. Die Außergemeinden und zum Beispiel Kirchen hätten es verstanden, Wohngebiete in der Vergangenheit zu erweitern. In Betzdorf funktioniere das nicht so gut. Brato griff hier das Beispiel Wallmenroth auf. Hier habe die Gemeinde trotz bester Lage noch rund 28 Grundstücke nicht an den Mann gebracht. Seiner Erfahrung nach gebe es zwar Zuzug in die Verbandsgemeinde. Allerdings würden dann oft bereits vorhandene Häuser gekauft.
Größtenteils war es angesichts der Herkunft der beiden Kandidaten keine Überraschung, dass bei den meisten Themen vor allem die Verbandsgemeinde Betzdorf weite Teile der Diskussion einnahm. Gleichwohl drängten insbesondere Besucher auf Antworten zur zukünftigen gemeinsamen Verbandsgemeinde mit Gebhardshain. Sowohl Brato als auch Bäumer rückten vor allem die Vorteile der Fusion ins Licht. Unter anderem gehörten langfristig Einsparpotentiale in der Verwaltung dazu. Brato sagte außerdem: „Alle sitzen in der ersten Klasse.“ Niemand ginge als Verlierer aus dem Fusionsprozess heraus. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe habe man bereits bei der Erstellung des Vertragswerks geübt. Bäumer ergänzte, dass die beiden noch getrennten Verbandsgemeinden mit ihren unterschiedlichen Strukturen viel voneinander lernen könnten. Für ihn bedeute die neue Verbandsgemeinde auch einen Neuanfang und die Chance für neue Projekte – am besten mit einem jungen Bürgermeister, der die Entwicklung auch langfristig begleiten könne. Zusammen könne man mehr erreichen und gegenseitig von den jeweiligen Vorteilen profitieren. Und Brato rief dem Publikum zu: „Ich will, dass Gebhardshain genauso prosperiert wie Betzdorf!“ Mögliche Ängste, beispielsweise beim Thema Wassergebühren, konnten die beiden Betzdorfer entschärfen. Und was die Zukunft des Gebhardshainer Rathauses betrifft, betonten Brato und Bäumer, beide Häuser würden in Zukunft gebraucht. Hier und da werde nur mit Umbaumaßnahmen zu rechnen sein, sagte Brato. Er erklärte daneben, dass die Betzdorfer Servicequalität nach Gebhardshain übertragen werden solle.
Ängste nehmen, das wollten die beiden Kandidaten auch in Punkto Führung der zukünftig rund 260 Verwaltungsmitarbeiter. Bäumer unterstrich, dass er einen kommunikativen Führungsstil an den Tag legen würde. Und was seine naturgemäß mangelnde Verwaltungserfahrung angeht, zeigte er sich selbstbewusst: Auch Brato sei aus einem anderen Bereich gekommen. Und er selbst sah seinen fehlenden Rathaus-Stallgeruch sogar als Vorteil. So könne er Probleme ohne eine „Verwaltungsbrille“ lösen. Brato versteht die Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen für die Bürger. Und so gehe er auch mit seinen Mitarbeitern um. Er legt Wert darauf, Selbstständigkeit zu fördern und Motivationsarbeit zu leisten. Moderator Axel Bittersohl stellte hier zusammenfassend fest: Offenbar brauche man keine Angst sowohl vor einem Bürgermeister Brato als auch vor einen Bürgermeister Bäumer haben. (ddp)
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