Rathaus Wissen: Nach Einwohnerversammlung Vieles offen
Eigentlich stand die Entscheidung fest: In Wissen wird ein neues Rathaus gebaut. Der Widerstand aus der Bevölkerung wurde allerdings unterschätzt. Eine neue Wendung erhielt die Diskussion aufgrund einer möglichen Fusion mit der VG Hamm. Viel Klärungsbedarf im vollbesetzten Kulturwerk.
Wissen. Ein vollbesetztes Kulturwerk. Ein manchmal nervöser Bürgermeister, der aber rhetorisch geschickt agiert. Viele Meinungen, teils quer durch die Parteien. Und immer wieder: Ein Thema, natürlich das Rathaus. Soll es neugebaut werden für über sechseinhalb Millionen Euro neben der Westerwald Bank, so dass ein Lebensmittelmarkt entstehen könnte auf dem dann ehemaligen Rathaus-Grundstück? Investoren stehen wohl bereit. Oder soll die die Verwaltung zukünftig im alten Realschulgebäude untergebracht werden – oder vielleicht doch im Katasteramt? Ist gar ein weiteres teures Gutachten erforderlich?
Es liegt in der Natur der Sache, dass all diese Fragen auf der Einwohnerversammlung nicht final geklärt werden konnten. Wobei: Eigentlich war die Sache am 21. September bereits entschieden worden, wie in den Reden von Bürgermeister Wagener und der Fraktionssprecher aus Verbandsgemeinderat und Stadtrat oft erklärt wurde. Der Verbandsgemeinderat hatte sich mehrheitlich für die Neubauvariante entschieden, abzüglich einer mal angedachten Glasfassade und großen Sitzungssaal. Ob es tatsächlich dazu kommt? Nach der Einwohnerversammlung erscheint dies mehr als unsicher. Ihr waren Leserbriefe, Pressemitteilungen und offenbar grundsätzlicher Bürgerprotest vorausgegangen. Kein einziger Bürger, der sich nach den Ausführungen von Wagener und den Parteien zu Wort meldete, trat für einen Neubau ein. Ganz im Gegenteil.
Vor allem die Vertreter der Mehrheit in den Räten, der CDU, machten immer wieder deutlich: Wir nehmen die Bürgerkritik sehr ernst. Offenbar so ernst, dass man sich schließlich für die Einwohnerversammlung entschied. Mit ausschlaggebend war hier für die Christdemokraten auch die immer greifbarere Fusion der Verbandsgemeinden Altenkirchen und Flammersfeld. Bürgermeister Wagener wies in seinem ausführlichen Statement zu Beginn der Versammlung immer wieder darauf hin. Nach diesem Zusammenschluss blieben mit Wissen und Hamm zwei relativ kleine Verbandsgemeinden innerhalb der Kreisgrenzen übrig. Nach dem kürzlichen Rücktritt des Landtagsabgeordneten Thorsten Wehner (SPD) rückt der Bürgermeister der VG Altenkirchen in den Landtag nach – und muss sein Amt in der Kreisstadt aufgeben. Das könnte die Fusion seiner Verbandsgemeinde beschleunigen.
Wagener wies vor diesem Hintergrund darauf hin, dass seine Amtszeit in dreieinhalb Jahren endet. Dies könnte Anlass sein, die Frage der Fusion mit Hamm aufleben zu lassen. Einen ganz neuen Blick auf die Zukunft des Verwaltungsgebäude in Wissen ziehe dies mit sich, so der Verwaltungschef, der nicht wieder zu einer Wahl antreten wird. „Wir sollten die Chance nutzen, mit Hamm zu reden“, schlug Wagener vor. Wenn hier nicht gehandelt werde, „dann wird uns das Thema in drei Jahren auf die Füße fallen“, so Wagener weiter. Bezogen auf die Rathausdiskussion müsse man vor diesem Hintergrund nun erst einmal „innehalten“. In den Vorstellungen Wageners hätte eine gemeinsame Verwaltung nämlich ganz konkrete Auswirkungen auf den Platzbedarf eines neuen Rathauses. Im Hammer Verwaltungsgebäude seien nämlich die Werke angesiedelt. Würden diese nach Wissen verlagert, würde in Hamm wiederum Platz frei.
Klar ist auf jeden Fall: Der Bürgermeister wird das Thema Verwaltungsgebäude auf die Tagesordnung der Dezembersitzung des Verbandsgemeinderats setzen. Die Fraktionen sollten bis dahin miteinander geredet haben, bat Wagener. Er selbst stehe einem Aufschub beziehungsweise einer Übergangslösung bezüglich der Rathausfrage offen gegenüber.
Berno Neuhoff (CDU) äußerte sich später ähnlich: „Wir legen das Ding auf Eis.“ Der Rat müsse beschließen, erst einmal nichts zu machen. Als Zwischenlösung müssten Räumlichkeiten gemietet werden. Und Sebastian Boketta, der Vorsitzende des CDU-Gemeindeverbands: „Wir sind dazu bereit, über etwas Neues zu reden.“ Nach Gesprächen zwischen den Fraktionen solle es wieder eine Bürgerversammlung geben. Nach dem heutigen Abend sei ein Rathausneubau passe. Nachdem sie ausführlich den vergangenen Entscheidungsverlauf rekonstruiert hatten und die damaligen Beschlüsse pro Neubau erklärt hatten, hatten sich die Vorsitzenden der CDU-Fraktionen in den jeweiligen Räten ähnlich geäußert. Hermann-Josef Selbach, der Fraktionsvorsitzende der CDU im VG-Rat, sagte beispielsweise, dass das derzeitige Rathausgründstück zeitnah zur anderweitigen Nutzung bereitgestellt werden müsse. Immerhin stünden Investoren für einen Lebensmittelmarkt bereit, die Planungssicherheit haben müssten. Ob überhaupt ein Lebensmittelmarkt, womöglich ein Discounter, begrüßenswert ist an dieser Stelle?
Die Wortmeldungen der Einwohner lassen Skepsis durchblicken. Es war von „Heuschrecken“ die Rede; davon, ob ein zusätzlicher Discounter überhaupt gebraucht werde angesichts des derzeitigen Angebots und der demografischen Entwicklung; davon, dass man sich auf Investoren langfristig nicht verlassen könne, da sie ja gar nicht Betreiber der Märkte seien.
Unabhängig von den späteren Kritikpunkten diesbezüglich: Als Übergangsgebäude für die Verwaltung brachte Selbach das leerstehende Katasteramt ins Spiel. Zwar war die CDU ursprünglich gegen diese Alternative. Allerdings sehe man momentan keine andere Option.
Nicht alle Redner und Bürger stimmten der Analyse des Rathauschefs und seiner Partei zu was eine mögliche Fusion mit Hamm angeht. Allen voran der Vertreter der Grünen, Friedrich Hagemann. Denn: „Die Hammer zieren sich ja wie die Jungfrau.“ Außerdem dauere es noch zehn Jahre bis die VG Hamm unter 12.000 Einwohner zähle. Erst dann schreibt das Landesgesetz eine Fusion mit einer anderen Verbandsgemeinde vor.
Josef Schwan, der Fraktionsvorsitzende der SPD im VG-Rat, betonte, dass es keine gesetzliche Notwendigkeit zur Zusammenlegung der beiden Verbandsgemeinde gebe auf absehbare Zeit. Der CDU-Vorstoß für eine freiwillige Fusion sei nicht zielführend gewesen.
Ulrich Schmalz, der ehemalige Landtags- und Bundestagsabgeordnete, schlug eine andere Richtung ein. Immer noch unterhält der Christdemokrat einen kurzen Draht zu wichtigen Politikerin, darunter auch der für Fusionen zuständige Innenminister in Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz. Dieser habe kürzlich Schmalz bestätigt: Eine Fusion mit Hamm werde kommen. Zudem rief der lokale Elder Statesman die Landesprämie (zwei Millionen Euro) ins Gedächtnis, die winke, wenn sich zwei Verbandsgemeinden freiwillig zusammenschließen. Mit seinen Ausführungen gab Schmalz seinem Parteifreund Wagener also ordentlich Schützenhilfe. Zumindest was die Vorstellungen Wageners bezogen auf eine Fusion mit der Nachbar-VG angeht. Ganz anders sieht es bei den ursprünglichen CDU-Beschlüssen für einen Rathausneubau aus.
Schmalz plädierte für die Nutzung des leer stehenden Katasteramts. Das alte Realschulgebäude sei zu überdimensioniert. Der digitale Wandel, der auch in Verwaltungen verstärkt Einzug halten werde, lasse ohnehin den Personalbedarf und damit den Platzbedarf sinken. Damit reagierte Schmalz vorweg auf die spätere Erklärung Wageners, wonach das leere Katasteramt etwa ein Drittel zu klein sei für die Verwaltung. Ob die Digitalisierung tatsächlich Personal und damit Platz einspart? Die Bürger zeigten sich in ihrem Wortmeldungen hier gespalten.
Viel Applaus erntete Jürgen Linke, der Vorsitzende der SPD-Grünen-Fraktion im Stadtrat. Gerichtet an die CDU appellierte er, dass der Rathausneubau beerdigt werden müsse. Und: „Für die Rolle-Rückwärts habt ihr sehr lange gebraucht.“ Der CDU-Beschluss sei in der Bevölkerung nicht gewollt und müsse zurückgenommen werden. Die Christdemokraten sollten deutlich sagen, was sie wollten. Ins gleiche Horn hatte Linkes Genosse aus dem Verbandsgemeinderat, Josef Schwan, zuvor geblasen. Nach wie vor gebe es gute Gründe für den Umbau der Realschule. Leerstand würde vermieden und Räume könnten für weitere Nutzungen zur Verfügung gestellt werden. Und falls es tatsächlich zu einer Kreisreform kommen sollte, könnten dort weitere Räume zur Verfügung gestellt werden für die Auslagerung einzelner Abteilungen. Auch Reinmund Konradi (FWG) forderte, die Verwaltung in das alte Realschulgebäude unterzubringen.
In der mehrstündigen Versammlung wurde mehr als deutlich: Die Lage ist verzwickt, ein Ausweg noch lange nicht in Sicht. Könnte ein Bürgerbegehren die Lösung sein? FWG, Grüne und SPD äußerten sich hier positiv. Bis 20. Januar 2017 wären 960 Unterschriften nötig, um einen Bürgerentscheid zu beantragen. Jürgen Linke von der SPD sagte gar, man hätte schon auf der Einwohnerversammlung Unterschriften einholen sollen angesichts der massiven Bürgerbeteiligung im Kulturwerk.
Bürgermeister Wagener könnte sich ebenfalls ein Bürgerbegehren vorstellen – sofern sich die Fraktionen nicht einig würden. Auch sein Parteifreund Hermann-Josef Selbach machte klar, dass sich seine Partei einem Bürgerbegehren grundsätzlich nicht verschließe. Nur mache dies derzeit keinen Sinn, da vorher erst einige Fragen geklärt werden müssten.
Nach einer mehrstündigen Einwohnerversammlung ist zumindest eines klar: Die Bürgerbeteiligung wird in der Verbandsgemeinde Wissen in Zukunft gestärkt.
Die CDU und Bürgermeister Wagener zeigten sich an mehreren Stellen geradezu reumütig und änderungsbereit. Besonders Wagener betonte, dass man in der Vergangenheit die Bürger stärker hätte beteiligen müssen. Für die Zukunft gelobte er Besserung: „Das, was wir heute Abend hier gemacht haben, machen wir öfter.“ Und Berno Neuhoff: „Wir haben die Botschaft verstanden.“ Sebastian Boketta, der Vorsitzende des CDU-Gemeindeverbands, sagte : „Wir können uns ändern, wir werden uns ändern.“ (ddp)
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