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Nachricht vom 29.12.2016    

Zwischen Aleppo und Aschenbrödel

Jan Hamshoro aus Syrien absolviert momentan ein Praktikum im Apollo-Theater in Siegen und wird bis März in dem Stück „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ zu sehen sein. Die Schauspielerei ist seine größte Leidenschaft. Trotz schwieriger Lebensumstände und Flucht hielt er immer an ihr fest und das mit Erfolg.

Jan Hamshoro auf der Seitenbühne bei der Vorbereitung einer Vorstellung Foto: Jan Vering

Siegen. „Liegt die Armbrust bereit? Wer hat den Schuh gesehen? Und was ist mit den Tannenzapfen? Die sind eben ein bisschen zu weit nach hinten geflogen, der König hätte fast einen abgekriegt.“ - Um 10.15 Uhr beginnt für Jan Hamshoro die zweite Konzentrationsphase dieses Tages: Die erste Vormittagsvorstellung von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist gut gelaufen. Die Schauspieler ruhen sich jetzt aus, während 500 Kinder lautstark und mit leuchtenden Augen das Siegener Theater verlassen.

Jetzt muss auf und neben der Bühne sehr schnell alles klar gemacht werden für die zweite Vorstellung. Die beginnt in 45 Minuten; dann werden 500 neue Kinder erwartungsfroh den Saal füllen. Der 21-jährige Syrier, der ein Praktikum im Apollo-Theater absolviert, hat die Augen überall und geht mit dem Textbuch in der Hand noch einmal sämtliche Abläufe des Stücks durch. Alle Requisiten müssen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle bereit liegen. Eine Theatervorstellung ist Teamwork, und im Team arbeiten, das kann Jan Hamshoro.

Das hat er in seiner Geburtsstadt Aleppo gelernt, wo er seit seinem 15. Lebensjahr als Schauspieler in der Theatergruppe „algasanya“ mitgewirkt hat. Drei Inszenierungen stellte diese engagierte Amateurtruppe auf die Beine. Mit einem Stück über die Kostbarkeit der Sprache wurden sie sogar nach Damaskus eingeladen. Klar, dass er nach dem Abitur Theaterwissenschaft studieren will. „Darstellen ist meine größte Leidenschaft“.

Aber dann kommt Assads Krieg immer näher: Gefolterte Kinder in Daraa, Fassbomben und Giftgas in Damaskus, internationale Dschihadisten strömen über die türkische Grenze ins Land, die Millionenstadt Aleppo wird zum Zentrum des Hasses zwischen Schiiten und Sunniten. Keine Chance auf ein Studium oder nur eine geregelte Arbeit. Darum verlegt sich Jan auf Kurzfilme, in denen er starke Bilder für die Not der Kriegsgeneration findet und die er auf YouTube veröffentlicht.

Ende 2014 schlagen die Bomben immer näher ein, die Familie flieht zunächst zu Verwandten in einen Vorort von Aleppo, dann nach Istanbul. Jan arbeitet in einer türkischen Textilfabrik – „Stoffe zuschneiden, Anzüge bügeln und verpacken“; aber daneben baut er gleich wieder eine Theatergruppe auf, die zwei Inszenierungen realisiert, und startet ein Internet-Radioprogramm.



Im August 2015 geht die Flucht weiter, weil es für eine syrische Familie kurdischer Herkunft in Erdoğans Türkei immer schwieriger wird. Jan und seine Schwester landen in der Gemeinde Wenden. Umgehend beginnt er mit einem Deutschkurs, schafft sein Deutsch B 1-Zertifikat, kann sich inzwischen mit Einheimischen fast fehlerfrei selbst über komplexe Themen unterhalten. Er spricht gut Englisch, natürlich kurdisch, dazu arabisch und türkisch. Also engagiert er sich als Dolmetscher bei der Flüchtlingshilfe Wenden/Gerlingen. Ehrenamtlich, denn: „So viele Deutsche helfen uns mit ihrer Zeit und ihrem Geld, da kann ich etwas zurückgeben.“

Der Kontakt zum Siegener Theater entstand über die Apollo-Flüchtlingsaktion „Der schöne Sonntag“. Klar, dass dieses zeitintensive Praktikum bezahlt wird. „Am Anfang war es schon schwer für mich“, sagt Jan. „Ich hatte natürlich gehofft, ich könnte mehr machen. Aber auch der längste Weg beginnt mit dem ersten kleinen Schritt, darum sehe ich diese Hospitanz als wichtige Chance.“ Er hat viel gelernt von den deutschen Profis, sowohl von den Schauspielern als auch von den Technikern. Vielleicht zahlen sich ja die neuen Kontakte irgendwann aus. Er will sich bewerben bei einer Filmhochschule. Die Hochschulreife bringt er mit – und viele Erfahrungen. Und eine offene, freundliche Art im Umgang.

Am 27. und 28. Februar sowie am 1. März stehen noch einmal fünf Vorstellungen von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ auf dem Apollo-Spielplan. Vier Schulvorstellungen und am Rosenmontag (27. Februar) eine 16-Uhr-Vorstellung, zu der die Kinder verkleidet kommen können. Dann ist Jan Hamshoro hinter der Bühne wieder voll im Einsatz – als Meister der Tannenzapfen, des Prinzessinnenschuhs und der Armbrust.


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