Kreisstraßen: Neujahrsempfang der schlechten Nachrichten
Die Bürgermeister erwartete auf dem Neujahrsempfang des Landrats schwere Kost, die manchem noch lange im Magen liegen wird. Es ging um den miserablen Zustand der Kreisstraßen. Für manche könnten in Zukunft die Gemeinden zuständig sein. Was die anwesenden Kommunalpolitiker nicht unbedingt jubeln ließ.
Altenkirchen/ Kreisgebiet. „Gibt es weitere Fragen – oder sind Sie alle so geschockt?“ Kreisbeigeordneter Konrad Schwan vertritt den noch erkrankten Landrat Michael Lieber und moderierte somit auch den Neujahrsempfang im Kreishaus. Und wenn ein Moderator sich für eine solche Frage entscheidet, war das zuvor Gesagte nicht einfach zu verdauen für die Zuhörer, in diesem Fall für die Ortsbürgermeister im Kreis. Der Leiter des Landesbetriebs Mobilität (LBM) Diez hatte über die Straßen im Landkreis referiert: über deren Zustand, über das Förderwesen und über die Systematik der Sanierung. Den umstrittensten Punkt hatte sich Lutz Nink für den Schluss aufgehoben. Es ging um die mögliche Abstufung von Kreisstraßen zu Gemeindestraßen. Das könnte für einige Orte weitreichende Konsequenzen mit sich ziehen. Und dann geht es nicht nur darum, dass der örtliche Winterdienst mehr zu tun haben wird.
Aber von Anfang an: Gleich zu Beginn hatte Nink keine guten Nachrichten parat. Überrascht hatte es wohl niemanden der Zuhörer, was der LBM-Leiter an Zahlen festmachte. Fast jede zweite Kreistraße (47 Prozent) wird mit der Zustandsnote 4,5 (nach Schulnoten 5+) oder gar schlechter bewertet. Zum Vergleich: Im Rhein-Lahn-Kreis ist dies bei 35 Prozent der Kreisstraßen der Fall und im Westerwald-Kreis bei 27 Prozent. Der Landesdurchschnitt beträgt 29 Prozent. Die Zahlen basieren noch auf Daten aus dem Jahr 2011. Momentan wertet der LBM neue Erhebungen aus. Damals wurden beispielsweise 12 Prozent der Kreisstraßen im AK-Land mit Zustandsnoten zwischen 1 und 1,49 bewertet. Im Rhein-Lahn-Kreis war dies bei 16 Prozent der Kreisstraßen der Fall und im Westerwald-Kreis bei 17 Prozent. Der Landesdurchschnitt betrug hier 23 Prozent.
2015 und 2016 flossen über das Land vom Bund jeweils 55 Millionen Euro in den kommunalen Straßenbau innerhalb der rheinland-pfälzischen Grenzen. Im vergangenen Jahr wurden die meisten Mittel davon in Straßen gesteckt, nämlich 47 Millionen Euro (2015: 44 Millionen Euro), der Rest in Radwege und Brücken. Aus den Fördermitteln kamen dem Kreis Altenkirchen 2016 2,4 Millionen Euro zugute, 2015 1,9 Millionen Euro. Die beiden letzten Jahre waren hier die magersten für das AK-Land seit 2010. Zwischen 2010 und 2014 schwankte die Fördersumme zwischen 3,5 Millionen Euro (2010) und 2,6 Millionen Euro (2012).
Bis das Geld vor Ort auch tatsächlich „verbaut“ wird, sind viele Beamte von verschiedenen Ebenen mit Prüfungen beschäftigt. Um es kurz zu machen: „Das alles hört sich relativ verrückt an“, fasste der LBM-Leiter das Procedere zusammen. Und dieses „Hin-und Her“ ist auch der Hauptgrund, weshalb es nahezu unmöglich ist, Baumaßnahmen jeweils vor dem Frühling zu starten.
15 bis 20 Straßen oder Brücken sind in der Regel in Planung für den Kreis (derzeit 18). Und fünf bis sieben Projekte können davon schließlich begonnen werden im Jahr. Man muss pro Projekt mit rund drei Jahren Vorlaufzeit rechnen. Im Durchschnitt verschlingt ein Kilometer Baumaßnahme dann etwa 1 Millionen Euro. Wie laufen die einzelnen Schritte konkret ab? Verkürzt so: Der Kreis erstellt eine Prioritätenliste, dann beauftragt er den LBM mit den Planungen. Wenn das Baurecht absehbar ist, wird die Maßnahme in den Haushalt gestellt, schließlich ein Förderantrag gestellt und eine Ausschreibung vorgenommen.
Momentan befinden sich 45 Projekte auf der Prioritätenliste für den Kreis Altenkirchen. Für betroffene Gemeinden nicht zwingend ein Grund zur Freude. Denn Nink zufolge ist der LBM angewiesen, diese Straßen auf eine mögliche Abstufung zu prüfen. Einige Ortsgemeinden müssen in Zukunft also damit rechnen, sich um mehr eigene Straßen zu kümmern – oder je nach Sichtweise zu sorgen. Zwar waren mögliche Abstufungen von Kreisstraßen laut Nink schon immer „Daueraufgabe“, doch nun hätten sich die Bedingungen geändert. Der LBM habe in der Vergangenheit, „nicht so genau hingeguckt“, was laut Definition Kreisstraße ist oder nicht. Allerdings gab es in den letzten Monaten etliche Beanstandungen des Rechnungshofs und verschiedene Gerichtsurteile, die den bisher genutzten Handlungsspielraum zugunsten der Kommunen auf Null sinken ließen.
Alles läuft auf die Frage hinaus, was überhaupt eine Kreisstraße ist. Geregelt ist dies im Landesstraßengesetz: Kreisstraßen dienen demnach dem Verkehr innerhalb eines Landkreises, mit benachbarten Landkreisen oder kreisfreien Städten oder dem Anschluss an Gemeinden an Bundes- oder Landesstraßen. Und zwar so, dass jede Gemeinde höchstens mit einer nicht in ihrer Baulast stehenden Straße an die genannten Verkehrswege angeschlossen ist. Für den LBM bedeutet dies: Wenn ein Ort über eine Bundes- oder Landesstraße erschlossen ist, braucht es keine Kreisstraße. Und weiter: Wenn eine Straße bis zu 700 Meter entfernt ist von einer Bundes- oder Landesstraße, „dann braucht es keine Kreisstraße“, erklärte Nink.
Außerdem müssten Ortsteile nicht durch eine Kreisstraße an den Hauptort angebunden sein. „Überall, wo das so ist, müssen wir bescheinigen, dass es keine Kreisstraße ist“, sagte der LBM-Leiter. Das bedeute nicht zwingend, dass es nicht mehr möglich sei für den Kreis, die betroffenen Straßen auszubauen. Allerdings muss der LBM nun eine ganze Reihe von Fällen prüfen. So könne eine Verbindung mit den Bundesmitteln über das Land noch ausgebaut und saniert werden – aber erst, wenn der LBM mit einer betroffenen Kommune eine Abstufung vereinbart hat.
Nink weiter: „Wenn es keine wichtige innerörtliche Haupt-Verbindungsstraße ist, dann können wir die Straße hier im Prinzip nur Instandsetzen. Dann spendieren wir noch eine neue Decke und es muss abgeschlossen werden.“ Wo entsprechende Projekte angedacht seien, müsse sich der LBM in den nächsten Monaten „leider“ (Nink) mit betroffenen Verbandsgemeinden zusammensetzen.
Wenn beispielsweise eine Kommune ausreichend mit Straßen versorgt sei, könne man sich auch darauf verständigen, dass man die Straße komplett einzieht, also einen Feldweg daraus macht und zurückbaut. Und um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Angesichts der derzeitigen Wetterlage bedeutet eine Abstufung, dass sich der örtliche Winterdienst zukünftig um die betroffene Straße kümmern muss. Bei manchen Fällen könne man sich auch darauf verständigen, dass der LBM diese Aufgabe weiterhin übernimmt, fügte Nink hinzu. Gegen Zahlung. (ddp)
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