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Schulte: Europa ist eine Erfolgsgeschichte
Am 7. Juni sind Wahlen: Kommunalwahlen - und Europawahlen. Der Alsdorfer Dr. Markus Schulte kandidiert auf der Landesliste der CDU an Platz 11 für das europäische Parlament. Schulte ist ein "echter" Europäer. Seit 2005 ist der Wirtschaftshistoriker bei der Europäischen Kommission in Brüssel beschäftigt, zur Zeit bei der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen mit dem Schwerpunkt Strukturreformen und Wirtschaftskrise. Der 42-Jährige ist mit einer Katalanin verheiratet und hat eine Tochter. Der AK-Kurier sprach mit Schulte über Probleme Europas, die Perspektiven und seine Vorstellungen von der europäischen Integration. Schulte ist auch Vorsitzender der Europaunion im Kreis Altenkirchen.
AK-Kurier: Auf den Europa-Wahlplakaten der Union heißt es "Wir in Europa". Wer ist mit "Wir" eigentlich gemeint? Alle Europäer, die Deutschen oder die CDU-Mitglieder?
Schulte: "Wir" meint in diesem Fall im Prinzip alle drei - Europäer, Deutsche, CDU-Anhänger. Aber natürlich sehen wir uns als CDU in besonderer Verantwortung in und für Europa, weil wir die Integration Europas von Anfang an mitgeprägt haben. Wichtige Weichenstellungen wurden von großen Christdemokraten wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl angestoßen wie die Einführung des Euros oder die Überwindung der Teilung Europas Europas nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Das war alles keine Selbstverständlichkeit. Damit die EU für uns auch in Zukunft eine Erfolgsgeschichte bleibt, müssen wir weiterhin hart arbeiten. Das fällt nicht vom Himmel.
AK-Kurier: Vielen Menschen betrachten die Europäische Union mit Skepsis, ja ist ist vielen sogar fremd. Wegen fehlender Informationen oder auch wegen politischer Überzeugungen. Wie wollen sie dieser Skepsis wirksam begegnen, sie überwinden?
Schulte: Ich spreche oft mit Menschen in unserem Landkreis und habe den Eindruck - ja diese Skepsis ist existent und man muss dies ernst nehmen. Die Menschen haben ein Gespür dafür, was richtig läuft und was nicht. Es gibt aber nicht nur Skepsis. Die Menschen wissen auch ganz genau: Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Mein Prinzip ist, kritische Fragen immer aufzunehmen und zu versuchen, sie in der Sache zu beantworten. Kritik auszublenden wäre ein Fehler. Denn oft gibt es berechtigte Kritik. Als Christdemokraten hören wir auf die Bedenken der Menschen. Deshalb setzen wir uns auch für mehr Transparenz bei den Entscheidungen ein, wie sie zum Beispiel der Lissabon-Vetrag bringt. Dadurch werden die Entscheidungsprozesse nachvollziehbarer und interessanter. Genauso betone ich aber stets auch die großen Vorteile, die wir hier in Deutschland durch das vereinte Europa haben. Das darf niemals vergessen werden.
AK-Kurier: Könnte es sein, dass viele Menschen Europa gegenüber kritisch eingestellt sind, weil sie den Eindruck haben, nicht mitreden zu dürfen, etwa durch eine Volksabstimmung zu den Lissabon-Verrägen wie zum Beispiel in Irland?
Schulte: Unsere Verfassung sieht Volksabstimmungen nicht vor. Ich hätte da auch ganz grundsätzliche Bedenken: Wir wählen die Parlamentarier, damit diese Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung des Parlament sollte nicht unterminiert werden. Wo Verfassungen aber eine solche Möglichkeit vorsehen, muss man das natürlich akzeptieren. Die Europa-Wahl bietet uns allen aber eine gute Möglichkeit, über die Richtung Europas mitzuentscheiden. Deshalb sollte jeder am 7. Juni zur Europa-Wahl gehen. Ich persönlich versuche, den Menschen hier bei uns europäische Themen näherzubringen. Ich finde dabei Gleichgesinnte und stoße auf viel Interesse. Das zeigt, dass es durchaus Begeisterung für Europa gibt, übrigens vor allem bei der Jugend.
AK-Kurier: Misstrauen bei den Menschen wird natürlich auch geschürt durch Entscheidungen, die viele nicht verstehen. Nehmen wir nur einmal als jüngstes Beispiel die Verpackungsverordnung. Sind hier nicht zuviele "erbsenzählende" Beamte am Werk, die genau das Gegenteil von dem erreichen, was eigentlich gewollt ist? Es müsste doch vom Schlechteren zum Besseren hin gehen, meinen die Bürger, hier, glauben sie, ist das einmal mehr umgekehrt.
Schulte: Das kann ich zwar nachvollziehen. Aber es gibt auch im nationalen Bereich Entscheidungen, die die Menschen alles andere als glücklich machen. Warum sollte das auf europäischer Ebene anders sein. Man sollte auch berücksichtigen, dass die nationalen Regierungen und auch das Parlament fast immer gemeinsam entscheiden. Man muss deshalb immer nachfragen, wer die Verantwortung für die einzelnen Entscheidungen trägt. Die Verhandlungen der Regierungsvertreter laufen allerdings bisher noch hinter verschlossenen Türen ab. Nur das Parlament verhandelt öffentlich. Es ist die einzig direkt demokratisch legitimierte Institution der EU und daher für die Bürger besonders wichtig. Nützlich wäre vielleicht ein Ausbau des wissenschaftlichen Apparates, der das Europäische Parlament unterstützt, um es weiter zu stärken. Dafür würde ich mich im Falle einer Wahl einsezen. Außerdem muss gelten, dass das, was zu Hause entschieden werden kann, nicht in Brüssel entschieden wird. Das ist mir ganz besonders wichtig.
AK-Kurier: Wie soll die Bürokratie in den europäischen Gremien abgebaut werden, eines ihrer Kernthemen?
Schulte: Bürokratie-Abbau ist sehr wichtig, weil das Arbeitsplätze schafft. Dafür ist es richtige Kärrner-Arbeit. In der EU und in den Mitgliedsländern wird daran gearbeitet. So sollen beispielsweise die bürokratischen Vorschriften für kleinere und mittlere Betriebe bis 2010 um ein Viertel verringert werden. Eines muss man aber wissen: Die so beklagte europäische Bürokratie hat ihren Ursprung zu einem großen Teil in den Mitgliedsländern selbst. Wenn die EU etwas regelt, zum Beispiel einen gemeinsamen Sicherheitsstandard, dann ist das Ziel ja nie, unnütze Bürokratie zu schaffen, sondern es geht dann darum, die Voraussetzung für einen möglichst einfachen Handel innerhalb der EU zu schaffen. Freier Handel nach fairen Regeln nützt wiederum vor allem der Exportnation Deutschland und auch den Unternehmen in unserer Region, wenn sie exportieren.
AK-Kurier: Deutschland zahlt viel Geld für die EU. Was kommt zurück? Das wollen die Menschen wissen.
Schulte: Von dem Geld, das wir einzahlen, kommt vieles zurück, zum Beispiel über Förderungsfonds im Forschungs- und Umweltbereich, aber auch für strukturschwache Gebiete oder für Innovationsförderung für kleinere oder mittlere Unternehmen. Das wird oft vergessen und manchmal wissen das oft die Empfänger solcher Mittel nicht, weil sie über Stellen des Landes ausgegeben werden und nicht überall "Europa" draufsteht. Der Hauptvorteil der EU für unsere exportorientierte Industrie und damit für unsere Arbeitsplätze und Löhne aber der offene Markt von über 400 Millionen Menschen. Dadurch, dass wir in der Handelspolitik alle gemeinsam auftreten, können wir entsprechend international auch gegenüber Ländern wie den USA oder China sehr viel stärker auftreten und zum Beispiel eher unsere Standard durchsetzen. Wir bekommen im Hinblick auf die politischen und wirtschaftlich-finanziellen Auswirkungen viel mehr von der EU zurück als wir an Geld "hineinstecken". Wir sollten nicht vergessen, dass wir heute nur von Ländern umgeben sind, mit denen uns Freundschaft verbindet. Das war nicht immer so.
AK-Kurier: Wir befinden uns derzeit in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise. Wie begegnet die EU als Einheit dieser Krise? Was man sieht, sind doch eher nationalstaatliche Lösungsansätze wie die umnstrittene Abwrackprämie.
Schulte: Ich denke, es ist zutreffend, dass wesentliche Aktionen wie zur Bankenrettung, Vermeidung von Arbeitslosigkeit, Unterstützung von Unternehmen oder der Einkommen auf nationaler Ebene unternommen werden. Die EU hat zum Beispiel, was den Arbeitsmarkt betrifft, nur wenige direkte Kompetenzen. Tatsache ist aber auch, dass die Anstrengungen zur Bewältigung der Krise koordiniert werden müssen. Kein Land darf die Krise dazu missbrauchen, durch unfaire Hilfen für eigene Unternehmen Arbeitsplätze in anderen Ländern zu gefährden. Das muss sichergestellt sein. Und das geht nur auf EU-Ebene. Die EU hat hier schnell gehandelt und es zum Beispiel ermöglicht, dass Unternehmen schneller und unbürokratisch geholfen werden kann. Wir sollten auch auf keinen Fall vergessen, dass der Euro für uns in dieser Krise ein Anker der Stabilität ist. Ohne Europa würde es auch in dieser Krise sehr viel schlechter aussehen.
AK-Kurier: Die CDU steht einer einheitlichen europäischen Sozialpolitik reserviert gegenüber. Warum? Wäre ein Grundkonsens der Mitglieder bezüglich elemantarer sozialer Standards nicht erstrebenswert?
Schulte: Ich bin der Meinung, wir sollten in der EU nur das machen, was wir gemeinsam auch wirklich besser tun können, zum Beispiel bei der Bekämpfung des Klimawandels. Wir in Deutschland haben einen starken Sozialstaat, der auch in der Krise Halt geben kann. Unser Sozialstaat wird nicht stärker werden, wenn darüber in Brüsssel entschieden würde. Wer also eine Sozialunion fordert, der muss auch sagen, wie das gehen soll. Die CDU ist der Meinung, dass in Europa nur soziale Mindeststandards gesetzt werden sollten. Die Kompetenz zur Gestaltung der Sozialpolitik selbst darf aber nicht an die EU abgegeben werden. Denn dabei würden wir garantiert nicht profitieren. Ich glaube auch nicht, dass es in Deutschland überhaupt akzeptiert würde, wenn zum Beispiel über deutsche Renten in Brüssel entschioeden werden sollte. Ich kann mir das ganz einfach nicht vorstellen.
AK-Kurier: Die CDU sagt: Das europäische Boot ist erst einmal voll. Dabei gibt es Länder wie Serbien oder Mazedonien, die die Voraussetzungen für einen Beitritt locker erfüllen könnten.
Schulte: Es ist ganz klar: Wir hatten in der Vergangenheit eine rasante Erweiterung. Die Überwindung der Teilung Europas war ein historischer Erfolg der europäischen Integrationspolitik. Übrigens ist Deutschland ein Gewinner dieser Erweiterung. Man darf aber eines nicht vergessen. Das Institutionengefüge war ürsprünglich für sechs, dann für 15 Mitgliedsstaaten gedacht. Bei 27 Mitgliedsstaaten ist es sehr viel schwieriger, sich zu einigen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Wir können deshalb keine weiteren Mitglieder aufnehmen, wenn wir nicht zuerst die Entscheidungsprozesse vereinfachen. Das ist im Lissabon-Vertrag vorgesehen. Deshalb sagen wir Christdemokraten ganz klar: Ohne die Verabschiedung dieses Vetrags wird es mit uns keine Erweiterungen der EU mehr geben.
AK-Kurier: Warum wendet sich die CDU so hartnäckig gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei?
Schulte: Wir brauchen ganz grundsätzlich erst einmal eine Erweiterungspause. Wir müssen uns aber darüber Gedanken machen, wo die Grenzen Europas liegen. Die CDU ist grundsätzlich der Ansicht, dass die EU nicht ungebremst erweitert werden darf, auch wenn es da Ausnahmen gibt. Unser befreundeter Nachbar Türkei soll auch in Zukunft priveligierter Partner sein, kann aber nicht Vollmitglied der EU werden. Ich glaube, es liegt auf der Hand, dass heute weder die EU noch die Türkei auf einen solchen Beitritt wirklich vorbereitet sind.
AK-Kurier: Wie denken Sie über das Problem der Flüchtlinge vor allem aus Westafrika (Senegal/Mauretanien)? Sie kommen auf Pirogen, die einst Küstenfischerboote waren, weil europäische Fischfangflotten, vor allem aus Spanien, die Fischgründe geplündert haben. Sollte nicht schleunigst Schluss sein mit der Subventionierung dieser Fischfangflotten? Sofort und nicht erst - wie geplant - 2013?
Schulte: Ich glaube nicht, dass die Zuwanderung aus Afrika sich so einfach aus der Fischerei-Politik der EU ergibt. Da spielen neben dem Gefälle im Lebensstandard und der Anziehungskraft Europas auch Schlepper eine Rolle. Man muss auch wissen, dass die EU der größte Geber von Entwicklungshilfe in der ganzen Welt ist. Auch in Afrika tut die EU sehr viel. Und: Die EU hat auch vor Jahren schon begonnen, die Landwirtschafts- und Fischereipolitik zu reformieren. Ich sage aber auch ganz klar, das geht mir nicht schnell genug. Wir dürfen nicht durch unsere Handelspolitik den Menschen die Möglichkeit nehmen, sich durch ihre eigene Arbeit zu ernähren.
AK-Kurier: Haben Sie Visionen bezüglich eines Europas der Zukunft?
Schulte: Meine Vision ist ein Europa als ein Raum von Freiheit, Sicherheit und Prosperität, in dem wir unsere demokratischen Werte in einer Vielfalt von Kulturen in Frieden Leben können. Und dass dieser Raum eine feste Form findet und dass dieses starke Europa im Sinne von Demokratie und Menschenrechten noch stärker über die eigenen Grenzen hinausstrahlt.
Die Fragen stellte Reinhard Schmidt